Auf dem Rücken der Bürger - überlange Prozesse
Herr Rixe, wie lange hat das längste Verfahren vor deutschen Gerichten gedauert, über das der Europäische Gerichtshof zu urteilen hatte?
Rixe: Es handelte sich um einen 29 Jahre andauernden Amtshaftungsprozess eines Bauunternehmers.
Was sind die Ursachen für unangemessen lange Verfahren?
Rixe: Die Ursachen sind vielfältig. Zum einen ist die Justiz personell und sächlich nicht hinreichend ausgestattet. Andererseits ergeben sich Verfahrensverzögerungen durch die Arbeitsweise von Richtern und Sachverständigen, soweit sie nicht an der Beschleunigungsbedürftigkeit der Sache ausgerichtet ist, sowie durch die nicht zeitgerechte Mitwirkung von Verfahrensbeteiligten.
Angemessene Frist, was heißt das konkret in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren?
Rixe: Es gibt keine absolute Frist, ab der ein Verfahren als überlang zu bewerten ist. Maßgeblich sind nach der Rechtsprechung des BVerfG und des EGMR die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Für kindschaftsrechtliche Verfahren ist in § 155 FamFG geregelt, dass diese beschleunigt durchzuführen sind.
Welche juristischen Mittel gibt es, um unangemessen lange Verfahren zu verhindern?
Rixe: Die Zivilgerichte haben außerhalb der gesetzlichen Regelung eine sog. "Untätigkeitsbeschwerde" entwickelt. Diese kann eingelegt werden, wenn das Verfahren überlang zu werden droht sowie zur Beschleunigung bereits unverhältnismäßig langer Verfahren.
Kommt es nur im Bereich des Familienrechts zu unangemessen langen Prozessen?
Rixe: Nein. Nicht nur die Familiengerichtsbarkeit ist betroffen, betroffen sind auch alle anderen Gerichtsbarkeiten, insbesondere die Verwaltungsgerichte, Sozialgerichte und Finanzgerichte.
Warum dauern gerade Sorge- und Umgangsrechtsverfahren so lange?
Rixe: In diesen Verfahren besteht die große Gefahr, dass ihr Ergebnis wegen der zwischenzeitlichen Entfremdung des Kindes allein durch die Verfahrensdauer bestimmt wird. Vor diesem Hintergrund verzögern betreuende Elternteile oft zielgerichtet das Verfahren, ohne dass die Gerichte dem immer wirksam entgegentreten. Zudem sind kindschaftsrechtliche Verfahren häufig komplex wegen der angespannten Beziehungen der Eltern, der Vielzahl anzuhörender Personen sowie der Notwendigkeit der sachverständigen Klärung von kinderpsychologischen Fragestellungen.
Die Bundesregierung hat den "Gesetzentwurf über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren" vorgelegt. Halten Sie diesen Gesetzentwurf für effizient, um Verfahren zu verkürzen?
Rixe: Nein. Die Regelungen des Entwurfs sind nicht geeignet, Verfahren ausreichend zu beschleunigen, da sie nur eine Entschädigung für bereits überlange Verfahren vorsehen. Die geplante "Verzögerungsrüge" als Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch stellt lediglich eine Vorwarnung gegenüber dem Richter dar, nicht aber einen förmlichen Rechtsbehelf. Zudem soll die bisherige Untätigkeitsbeschwerde abgeschafft werden. Das Interesse des betroffenen Bürgers geht aber vorrangig dahin, sich wirksam gegen eine drohende überlange Verfahrensdauer wehren zu können, nicht aber am Ende des Verfahrens eine bescheidene Entschädigung zu erhalten.
Nach diesem Entwurf stünde dem Vater nach neun Jahren eine Entschädigung von € 10.800 zu. Ist eine derartige Entschädigung effizient?
Rixe: Eine solche Entschädigung stellt ersichtlich keine angemessene Wiedergutmachung dafür dar, dass das Kind dem Vater während des überlangen Verfahrens entfremdet und am Schluss aus diesem Grund auch noch der Umgang ausgeschlossen wurde.
Was muss nach Ihrer Auffassung unbedingt in den Gesetzentwurf, um lange Verfahren, insbesondere im Umgangs- und Sorgerecht einzuschränken?
Rixe: Es fehlt eine Beschleunigungsbeschwerde, mit der ein bereits verzögertes oder überlanges Verfahren zügig zum Abschluss gebracht werden kann.
Kontakt:
Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (ISUV / VDU e.V.)
ISUV-Bundesvorsitzender Josef Linsler
Ulrichstr. 10
97074 Würzburg
Tel.: 0931/66 38 07
Mobil 0170/45 89 571
j.linsler@isuv.de
Fachanwalt für Familienrecht Georg Rixe
Hauptstraße 60
33647 Bielefeld
Tel. 0521/41 10 01
g.rixe@isuv.de
Pressesprecherin Caroline Kistler
Fachanwältin für Familienrecht
Maximilianplatz 17
80333 München
Tel. 089/59 99 73 73
c.kistler@isuv.de