Die „merk-würdige“ Ergebnisse des ‚“Roland Rechtsreports“- Vertrauen in Justiz – oder doch nicht?

Die Deut­schen haben nach wie vor hohes Ver­trau­en in die Jus­tiz, fürch­ten aber gleich­zei­tig, dass es dort nicht mit rech­ten Din­gen zu­geht. So heißt es im kürz­lich ver­öf­fent­lich­ten Ro­land Rechts­re­port. Was aber soll einem das sagen? Was halten die Deutschen eigentlich von ihrem Rechtsstaat? Dieser sowohl faktisch als auch demokratietheoretisch nicht unwichtigen Frage nimmt sich seit 14 Jahren jedes Jahr aufs Neue der Roland Rechtsreport an. Medien, aber auch der Deutsche Richterbund oder der Bund Deutscher Kriminalbeamter sprechen darüber und zitieren daraus. Herausgeber ist die Roland Rechtsschutz-Versicherungs-AG, die sich auf die Fahnen schreibt, eine "Langzeitanalyse des Vertrauens in wichtige gesellschaftliche und staatliche Institutionen sowie die Ermittlung der grundsätzlichen Einstellungen zum deutschen Rechtssystem" zu liefern.

Die Befragung wird durch das renommierte Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführt. Dieses führte für den aktuellen Report 1.013 Interviews mit einem – nach eigenen Angaben– repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung ab 16 und wertete diese aus.

Der diesjährige Report ist spannend, zeigt er doch auffällige Diskrepanzen: Ähnlich wie im Vorjahr vertraut demnach die große Mehrheit der Menschen im Land grundsätzlich ihren Gerichten. Doch gleichzeitig üben dieselben Menschen auch massiv Kritik, die einen objektiven Betrachter an der Gerechtigkeit der Justiz zweifeln lassen müsste.

Demnach hat weiterhin ein hoher Anteil von 67% der Befragten Vertrauen in die hiesigen Gesetze und die Gerichte. Gleichzeitig aber haben ganze 82% der Deutschen den Eindruck, dass viele Verfahren zu lange dauern und 77% halten die Gerichte für chronisch überlastet. Die Werte bedeuten eine leichte, wenn auch keine gravierende Steigerung gegenüber dem Vorjahr. 

Widersprüchliche Aussagen

Während lange Verfahren und überlastete Gerichte die prinzipielle Gerechtigkeit vor Gericht noch nicht infrage stellen müssten, lässt ein anderer Wert stärker zweifeln: 62% der Befragten glauben laut dem Report, dass ein günstiges Urteil davon abhängt, ob man sich einen prominenten Anwalt leisten kann. 58% glauben, dass in Strafverfahren Urteil und Strafmaß stark vom jeweiligen Gericht abhängen.

Schließlich sorgen sich auch viele Bürgerinnen und Bürger um die vermeintlich zu laschen Urteile der deutschen Strafjustiz. Die Hälfte hält die Urteile für grundsätzlich zu milde, bei Urteilen gegen jugendliche Straftäter sind sogar über 60% dieser Ansicht. Schließlich bemängeln 55%, dass die Gesetze in Deutschland für Normalbürger kaum verständlich seien.

Auch bestimmte Positivaussagen über Gerichte fanden unter den Befragten erstaunlich wenig Anklang. So stimmten lediglich 32% der Aussage zu, dass sie großen Respekt vor Richtern haben und nur 30% glauben, dass die Gerichte gewissenhaft und gründlich arbeiten. Noch weniger – gerade einmal 27% – denken, dass man sich darauf verlassen kann, dass bei Gerichten "alles mit rechten Dingen zugeht". Was diese Aussage überhaupt bedeuten soll, sei einmal dahingestellt. Aber fast 70% vertrauen einer Institution, deren Aufgabe es ist, Gerechtigkeit zu schaffen – und nur 30% glauben, dass es dort "mit rechten Dingen zugeht"? Die Deutschen scheinen sehr vertrauensselig zu sein, könnte man meinen.

Manipulative Fragen?

Insgesamt zeigt sich: Je konkreter die Fragen werden, desto weniger vertrauen die Bürgerinnen und Bürger der Arbeit der Gerichte. Hierzu ist es wichtig, sich das Studiendesign zu vergegenwärtigen: Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde eine Liste mit Institutionen vorgelegt und dazu gefragt: "Könnten Sie mir bitte zu jedem Punkt auf dieser Liste sagen, wie viel Vertrauen Sie in jeden haben, ob sehr viel Vertrauen, ziemlich viel, wenig oder überhaupt kein Vertrauen?" Hier schnitten Recht und Justiz noch gut ab.

Darüber hinaus wurde den Befragten eine weitere Liste mit vermeintlich gängigen Aussagen über die deutsche Justiz vorgelegt – etwa "Viele Verfahren dauern zu lange", "Gegenüber jugendlichen Straftätern müssten die Gerichte härter durchgreifen" – und die Zustimmung zu diesen Aussagen abgefragt. An dieser Stelle zeigte sich eine hohe Übereinstimmung mit den präsentierten negativen Aussagen.

Diese Vorgehensweise scheint nicht unproblematisch. Negativ vorformulierte Fragestellungen können zu statistischen Verzerrungen führen, wie Rainer Schnell, Professor für Empirische Sozialforschung an der Universität Duisburg-Essen im Gespräch mit beck-aktuell erklärt: "Die Fragen laufen alle in dieselbe Richtung. Dies kann einen Effekt produzieren, den wir in der Sozialforschung inhaltsunabhängige Zustimmungstendenz nennen. Befragte sind dabei stärker geneigt, in eine bestimmte Richtung gestellten Fragen pauschal zuzustimmen als bei balancierten Fragen. Das ist besonders bei bildungsfernen Schichten sehr ausgeprägt. Dazu gibt es bestimmt mehr als 10.000 Forschungsarbeiten."

Ist die Studie repräsentativ?

Fraglich nur, ob sich bei einer anderen Fragestellung eine positivere Einstellung zur Justiz gezeigt hätte. Die Teilnehmer der Studie stimmten nämlich auch über Positiv-Aussagen ab ("Die Gerichte arbeiten gründlich und gewissenhaft"), wobei nur um die 30% Zustimmung zustande kamen. Allerdings legt das Forschungsinstitut in seinem Report nicht offen, in welcher Reihenfolge die Fragen gestellt wurden, sodass auch hier für die Leserinnen und Leser viel Spielraum für Interpretation besteht. Eine Erklärung für die Diskrepanz zwischen Grundvertrauen und Kritik könnte etwa sein, dass ersteres auch zuerst abgefragt wurde, bevor die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Negativ-Aussagen konfrontiert wurden. So könnten sie ihr Vertrauen möglicherweise hinterfragen, wenn sie zuvor über Missstände in der Justiz nachdenken.

Doch auch das übrige Studiendesign des Allensbach-Instituts weckt bei Sozialforscher Schnell Zweifel an der Aussagekraft der Befunde. Zum einen arbeite das Institut als praktisch einziges mit Quoten-Stichproben, was in der Wissenschaft seit Langem kritisiert werde. Bei dieser Art von Stichprobe wird die Auswahl der Befragten nicht dem Zufall überlassen, sondern geschieht entlang sogenannter Kontrollmerkmale wie Geschlecht, Alter, Einkommen und Bildungsgrad. Außerdem sei die Stichprobe von nur gut 1.000 Befragten viel zu gering, um kleinere prozentuale Abweichungen zu beschreiben, bemerkt Schnell. In dem in der Studie beschriebenen leichten Rückgang des Vertrauens in Gesetz und Gerichte von 70 auf 67, bzw. 69 auf 67% sieht er daher nicht mehr als ein "Zufallsrauschen". "Das ist statistisch nicht belegbar" stellt Schnell klar. Er kritisiert auch die Praxis des Instituts, nicht den vollständigen Fragebogen zu veröffentlichen, womit unklar bleibe, wie das Gespräch mit den Befragten im Detail abgelaufen sei.

Überzeugende methodische Rechtfertigung?

Mit der Kritik konfrontiert verteidigt sich das Allensbach-Institut auf Anfrage von beck-aktuell: "Bei jeder Grafik führen wir den Fragetext im Wortlaut an, so dass sich jeder ein Bild machen kann", erklärt Projektleiter Michael Sommer. "Dass der Fragebogen inklusive Chronologie nicht im Rechtsreport abgedruckt wird, ist eine Entscheidung der Roland Rechtsschutz-Versicherungs-AG, die die alleinige Verantwortung darüber hat, was veröffentlicht wird und was nicht." 

Die Methodik der Fragestellung, Teilnehmer gezielt mit Negativaussagen über die Justiz zu  konfrontieren, sei zudem ein "in der Umfrageforschung völlig übliches Fragemodell", so Sommer. Die auffällige Diskrepanz zwischen dem erklärten Grundvertrauen in die Gerichte einerseits und der hohen Zustimmung zu negativen Aussagen andererseits erklärt der Projektleiter so: "Beim Vertrauen in die Gerichte geht es um das Institutionenvertrauen. Das Vertrauen in die Gerichte wird im Kontext anderer politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Institutionen erfragt. Hier zeigt sich seit Jahren bzw. Jahrzehnten, dass die Bevölkerung ein hohes Maß an Vertrauen in die Gerichte und auch in die Gesetze in Deutschland hat." Bei den anderen Fragen gehe es dagegen um den "Rechtsalltag", erklärt Sommer. "Die Antworten zeigen, dass es – trotz des insgesamt hohen Vertrauens in das deutsche Rechtssystem – durchaus viel Kritik gibt und auch die positiven Aspekte nur wenig Zustimmung erhalten. Das muss aber kein Widerspruch sein."

Die Verwendung der umstrittenen Quoten-Stichprobe rechtfertigt Sommer mit der geringen Auskunftsbereitschaft der ausgewählten Personen. Beteiligungsquoten von mehr als 30% seien heute "kaum noch realisierbar". Interviewwillige und Interviewverweigerer unterschieden sich strukturell deutlich, was dann zu Repräsentativitätsproblemen führe. Diese versuche man durch das Quotenverfahren zu kompensieren. "Die Qualität unserer Quotenumfragen ist durch eine Vielzahl von Studien belegt, insbesondere auch bei vielen Rechtsgutachten wurde die Repräsentativität anerkannt", betont der Projektleiter.

Wie auch immer man nun zur Methodik des Allensbach-Reports stehen mag, so dürften zumindest generelle Trends im Zustimmungsverhalten über mehrere Jahre aus der Studie ablesbar sein. Der Wert eben dieser steht allerdings auf einem anderen Blatt.

Befragte ohne Betroffenheit und Erfahrung

Die Zustimmungswerte basieren nämlich oft gar nicht auf persönlichen Erfahrungen der Befragten. So gaben lediglich 23% an, in den letzten zehn Jahren an einem Gerichtsprozess als Zeuge, Kläger oder Beklagter beteiligt gewesen zu sein. 

Der Report bestätigt auch, dass Bürger immer weniger dazu tendieren, bei Problemen Gerichte in Anspruch zu nehmen. Stattdessen nehme der Anteil an außergerichtlicher Streitbeilegung stetig zu. Dies beruhe auf dem Vorurteil, dass Verfahren zu lange dauerten und die Rechtsprechung an deutschen Gerichten oft uneinheitlich sei, folgern die Studienmacher. Es ist also zu vermuten, dass die meisten Teilnehmer der Studie eher mutmaßen oder Klischees wiedergeben statt eine fundierte persönliche Meinung.

Auch wenn man über die Aussagekraft des Roland Rechtsreport im Detail streiten kann, sollten die Befunde der Studie nicht ignoriert werden – auch in den Medien, die das Bild der Öffentlichkeit von Institutionen stark prägen. Denn gängige Vorurteile sollten nicht nur die Justiz dazu bringen, sich selbst zu hinterfragen, sondern auch jene, die diese Vorurteile reproduzieren. 

Ein Trost für die Justiz: Im Vergleich zu anderen staatlichen und gesellschaftlichen Autoritäten kommt sie vergleichsweise gut weg. Schlusslicht der Umfrage ist die aktuelle Bundesregierung, der nur noch 23% der befragten Bürgerinnen und Bürger vertrauen – im Vorjahr waren es noch 36%. In Ostdeutschland ist das Vertrauen in die Regierung, aber auch in Medien, Verwaltung und Kirche noch einmal deutlich geringer.

Die Befragung muss in Frage gestellt werden. Insbesondere unterscheiden sich die Rechtsbereiche, was das Vertrauen der Menschen anbelangt. Gerade im Familienrecht ist die Ablehnung sehr stark. Dies betrifft sowohl die einzelnen Gerichte, Richterinnen und Richter, involviert aber auch die Anwältinnen und Anwälte, Gutachter und Gutachterinnen und sonstige „Experten und Expertinnen“.

Hinzukommt insbesondere, dass ein Aspekt völlig ausgeblendet wurde. Justiz ist teuer, man muss sie sich leisten können.- Unsere Erfahrung ist, dass Betroffene bei Scheidungsfragen auf Justiz verzichten, einfach weil das Kostenrisiko zu groß ist. Das fördert den positiven Trend, Konflikte eigenverantwortlich mittels Coaching zu lösen.

Quelle dpa beck-aktuell