Gendern macht dick – lässt den Papierverbrauch anschwellen

Gendern nervt, weil ganz einfach unpraktisch ist, Lesefluss beeinträchtigt. Das wissen und erfahren alle. Jetzt hat die Wissenschaft das Gendern unter die Lupe genommen. Es liegt nahe, dass das Be­mü­hen um ge­schlech­ter­ge­rech­te Spra­che un­ele­gan­te, schwe­rer ver­ständ­li­che und nicht zu­letzt um­fang­rei­che­re Texte her­vor­bringt. Ro­land Schim­mel hat ge­mes­sen, wie viel län­ger ju­ris­ti­sche Texte wer­den, wenn man sie ge­schlechts­neu­tral for­mu­liert:

Ich habe das an zwei Rechtstexten ausgezählt, weil für die eine Vermutung halbwegs sorgfältiger Formulierung streitet: am Tierarzneimittelgesetz (TAMG) und an der Juristischen Ausbildungs- und Prüfungsordnung von Rheinland-Pfalz. Beide vom Gesetzgeber gegendert, gehorchend dem Willen – ja, welches Wahlvolks eigentlich?

In Sachen Geschlechtergerechtigkeit sind sie auf dem Stand der Forderungen von vor etwa 20 Jahren. Sie berücksichtigen Männer und Frauen, dem Höflichkeitsverständnis des 19. Jahrhunderts folgend: die Damen zuerst. Die zahllosen nichtbinären Identitäten kommen nicht vor. Im TAMG werden nur Menschen gegendert, nicht Tiere, so dass – anders als noch in Noahs Arche – der Kleinnager keine Gesellschaft von der Kleinnagerin erhält. Die ewige Diskriminierung des Katers gegenüber der Katze durch hartnäckige Nichtnennung wollte der Gesetzgeber offenbar ebenfalls nicht beenden. Gendern kann eine Einbahnstraße sein.

Der Gesetz- und der Verordnungsgeber sind mutig genug, um stellenweise von Personen zu sprechen. Darunter passen auch andere Geschlechtsidentitäten als männlich oder weiblich. Wenn es in § 6 Abs. 6 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung heißt „Die Aufsicht führende Person fertigt eine Niederschrift an […]“, wird so zugleich die himmelschreiende Benachteiligung juristischer Personen bei der Prüfungsaufsicht beseitigt. Der Weg ist frei für Aktiengesellschaften, oder wenigstens Vorständinnen, als Aufsichtführende.

Zwei bis 30 Prozent dicker

Beim Tierarzneimittelgesetz fällt der Umfangszuwachs noch recht übersichtlich aus. Das Ersetzen von „der Tierarzt, der“ durch „die Tierärztin oder der Tierarzt, die oder der“  hat den Normtext nur um rund zwei Prozent länger werden lassen. Die Lektüre lohnt trotzdem, allein weil man Kostbarkeiten wie die Hofmischerin entdecken kann.

Ziemlich viele zu verdoppelnde Personenbezeichnungen finden sich dann in der Ausbildungs- und Prüfungsordnung. Da zu den Richtern und Rechtsanwälten, Rechtsreferendaren und Ausbildern, Vorsitzenden und Präsidenten nicht nur deren weibliche Pendants treten, sondern auch Artikel und Pronomina angepasst und ergänzt werden müssen, legt der Text insgesamt um beachtliche 7,5 Prozent zu.

In Teilen des Verordnungswerks ist die Differenz noch deutlich höher. Bei einzelnen Paragraphen und Absätzen beträgt der Zuwachs schon mal ein Drittel. Setzt man durchschnittliche fünf Prozent an, hätte die beliebte Loseblattsammlung Sartorius, Verfassungs- und Verwaltungsgesetze, statt derzeit 4.916 Seiten fürderhin durchgegendert derer 5.162 - bei gleicher inhaltlicher Aussage. Ein geschlechtergerechtes Lehrbuch würde teurer werden, weil es mehr Papier bräuchte. Wiederum bei gleicher Aussage. Ist das nötig?

Und wenn der Gesetzgeber schlampt?

Geschlechtsneutralisierte Gesetze werden aber nicht nur dicker, sondern auch unverständlicher. Beim Lesen tauchen neue methodische Fragen auf: Was geschieht, wenn im Ministerium die lästige Aufgabe des Genderns eines ansonsten fertigen Gesetzestexts unsorgfältig abgearbeitet wird und vor der Verkündung im Bundesgesetzblatt niemand mehr korrekturliest? So heißt es in § 73 Abs.  3 TAMG: „Die Person, bei der die Probe zurückgelassen worden ist und die nicht die Herstellerin oder der Hersteller ist, hat die Probe sachgerecht zu lagern und aufzubewahren und sie auf Verlangen der Herstellerin oder des Herstellers auf dessen Kosten und Gefahr einer oder einem von der Herstellerin oder dem Hersteller bestimmten Sachverständigen zur Untersuchung auszuhändigen.“

Bedeutet das Fehlen des „deren oder“ nun, dass zwar ein Hersteller die Kosten und Gefahren zu tragen hat, eine Herstellerin aber nicht? Da lauert eine Geschlechtsdiskriminierung mit allen damit verbundenen Rechtsproblemen. Oder bedeutet es nur, dass der Leser sich nötigenfalls sowieso die weibliche Form hinzudenkt, so dass man sich den Aufwand auch hätte sparen können? Schwierig. Weil derlei wohl immer wieder passieren wird (im TAMG knapp 30-mal), könnte es lohnen, die Frage einmal in einer juristisch-methodenwissenschaftlichen Untersuchung klären zu lassen. Ich sollte schleunigst einen Drittmittel-Förderantrag stellen.

Prof. Dr. Roland Schimmel lehrt Wirtschaftsprivatrecht und Bürgerliches Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences.

Quelle beck-aktuell