ISUV Wahlprüfstein 10 – Wo sich Parteien noch zurückhalten: Verankerung des Wechselmodells im Familienrecht – Njet alleine gegen gemeinsame Elternschaft trotz Trennung und Scheidung reicht nicht mehr

Immer wieder erleben wir, dass Kandidatinnen und Kandidaten aller Parteien uns auf die Schulter klopfen und unsere Forderungen begrüßen, jedoch in der Öffentlichkeit nicht dazu stehen, geschweige denn dafür werben.  Alle unsere Wahlprüfsteine – ob Versorgungsausgleich, gerechte Besteuerung von Familien, steuerliche Berücksichtigung von Kindesunterhalt und Ausgaben für Bildung - bringen wichtige Themen auf die Agenda, zu denen sich Parteien oft nicht oder nur vage äußern. Dies gilt insbesondere für die rechtliche Verankerung eines Wechselmodells, wie dies in einigen europäischen und außereuropäischen Rechtsordnungen schon der Fall ist.

Trennt sich eine Familie mit Kindern, stellt sich immer die Frage nach dem Verbleib der Kinder. Die klassische Rollenverteilung - das Kind bleibt bei der Mutter, während der Vater zu Barunterhalt verpflichtet ist – widerspricht  dem gesellschaftlichen Wandel. Es gibt viele Väter, die sich heute schon stärker in die Erziehung der Kinder einbringen möchten und auch können. Darüber hinaus gibt es auch genügend Mütter, die sich nach einer Trennung beruflich weiterentwickeln wollen.

Die Regelung des Residenzmodells entspricht  nicht mehr wissenschaftlichen Erkenntnissen bezüglich Kindeswohl, aber auch nicht der gesellschaftlichen Realität. ‚Die klassische Umgangsregelung - das Kind bleibt bei der Mutter und der Vater sieht sein Kind jedes zweite Wochenende für zwei Tage ist zu starr und hat sich wissenschaftlich überholt. Kinder benötigen für eine gesunde Entwicklung beide Elternteile. Kinder benötigen des Weiteren ausreichend Zeit mit jedem Elternteil, um eine belastbare, vertrauensvolle und liebevolle Beziehung zu beiden Elternteilen aufbauen zu können.

Das Wechselmodell ist die beste Form des Umgangs, denn sie bietet beiden Elternteilen die Möglichkeit, die emotionale Bindung zum Kind aufzubauen, die es für eine optimale Entwicklung benötigt. Nachweislich schafft es für Kinder die beste Situation, mit der sie die Folgen der Scheidung überwinden können:

  • Kinder müssen sich nicht hin und her gerissen fühlen, wenn Papa und Mama sich trennen. Das Kind hat „Zugriff“ gleichermaßen auf beide Elternteile.
  • Das Wechselmodell erfordert in hohem Maße Kommunikation und Kooperation zwischen beiden Elternteilen und kann damit die Grundlage für eine erfolgreiche und ""partnerschaftliche"" Konfliktlösung - im Sinne des Kindes - herbeiführen.

Es gibt zahlreiche gute Gründe für die gesetzliche Einführung und praktische Umsetzung eines Wechselmodells. Natürlich gibt es auch lösbare Fragen, die sich bei Vereinbarung des Wechselmodells regeln lassen:

  • Durch das Wechselmodell, sollte sich das soziale Umfeld des Kindes nicht ändern Die räumliche Entfernung zwischen beiden Elternteilen sollte gering sein.
  • In welchem Umfang ist das Wechselmodell zu vereinbaren? Das bisher favorisierte und „als legitim anerkannte paritätische Wechselmodell“ sieht eine Betreuung des Kindes zu gleichen Teilen vor (50:50). Dies dürfte in der Praxis schwer zu erreichen sein.

ISUV meint dazu: Nicht Gerichte und Behörden entscheiden, welche Betreuungsanteil und welche Unterhaltsanteil von jedem Elternteil zu leisten sind, so dass ein Wechselmodell vorliegt, sondern die Eltern selbst. Die starre 50 : 50 Regelung ist wirklichkeitsfremd.

Neben den Fragen aus Sicht des Kindes sind natürlich auch rechtliche Fragen zu beantworten:

  • Wo ist das Kind gemeldet? 
  • Wer bezieht das Kindergeld?
  • Wer zahlt wem wie viel Kindesunterhalt?
  • Wer zahlt wem wie viel Ehegattenunterhalt?

ISUV setzt grundsätzlich auf individuelle, jeweils kindgerechte Vereinbarungen, die von den Eltern ausgehandelt werden.

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ISUV meint

Nach Auffassung des ISUV bietet das Wechselmodell Antworten auf viele soziale, rechtliche und gesellschaftliche Fragen.

  • Im Vordergrund stehen die Kinder. Vereinbaren Eltern das Wechselmodell profitieren vor allem die Kinder davon, dass beide Elternteile „erhalten“ bleiben.
  • Beide Eltern übernehmen Pflichten für Erziehung und Unterhalt der Kinder.
  • Das Wechselmodell ermöglicht beiden Elternteilen gleichermaßen die Erwerbstätigkeit.
  • Mit dem Wechselmodell und der daraus resultierenden Erwerbstätigkeit beider Elternteile kann das Risiko für Scheidungs- und Kinderarmut stark reduziert werden.
  • Bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit ist zudem das Risiko der Altersarmut reduziert

Die Politik scheut noch, das Wechselmodells im Familienrecht zu verankern oder gar als die primäre Umgangsregelung zu fordern und zu fördern. Wieder einmal geht es primär ums Geld und weniger um das Kindeswohl: Politiker befürchten die stärkere Inanspruchnahme der Sozialkassen. ISUV meint: Mit dieser „kindeswohlfernen“ Begründung, deklassiert sich die Politik selbst.

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Wahlprüfstein 10 in unserem Forum

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Übersicht der ISUV Wahlprüfsteine

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Das meinen die Parteien

CDU/CSU

Wir wollen Familien, egal ob mit zusammenlebenden, getrennten oder geschiedenen Eltern nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben. Wir wollen ihnen jedoch ermöglichen so zu leben, wie es zu ihrer individuellen Situation am besten passt. Trennungsfamilien benötigen immer besondere Unterstützung. Diese liegt jedoch nicht darin, ein Lebensmodell vorzuschreiben.

FDP

Die FDP steht dem Wechselmodell grundsätzlich offen gegenüber. Die Vor- und Nachteile dieses Modells sind jedoch noch intensiver zu beleuchten.

Piraten

Eine ausschließlich historisch begründete Bevorzugung ausgewählter Familienmodelle lehnen wir ab.

Die Linke

Zusammenfassende Stellungnahme zu mehreren Wahlprüfsteinen

Die Linke sieht die derzeit bestehenden Regelungen zum Selbstbehalt als ausreichend an, vor allem da der Selbstbehalt zu Beginn des Jahres 2013 angehoben wurde. Die rechtlich vorhandenen Mechanismen zur Durchsetzung von Unterhaltsverpflichtungen hält DIE LINKE. ebenfalls für ausreichend.

Das Wechselmodell ist durchaus eine gute Variante, um nach einer Trennung Verantwortung für das Kind zu übernehmen. Sie setzt aber voraus, dass Mutter und Vater weiterhin miteinander kommunizieren und es keine größere räumliche Trennung zwischen den Elternteilen gibt. Die Eltern wären gezwungen beispielsweise im gleichen Bundesland zu bleiben, damit das Kind nicht durch unterschiedliche Schulsysteme zusätzlichem Stress ausgesetzt wird. DIE LINKE. wird aber nicht auf eine gesetzliche Regelung drängen, da aus unserer Sicht vor allem das Kindeswohl im Vordergrund stehen muss.

Auch wir sind der Meinung, dass Kindererziehung nicht zu Altersarmut führen darf. Wir wollen daher die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, damit Eltern trotz Kindererziehung erwerbstätig sein und ausreichend eigenständige Alterssicherungsansprüche aufbauen können. Außerdem wollen wir, dass auch für vor 1992 geborene Kinder drei Jahre zum Durchschnittsverdienst in der Rente anerkannt werden, und eine solidarische Mindestrente einführen, die unabhängig von Beitragsjahren vor Armut im Alter schützt. Der Versorgungsausgleich in der Alterssicherung ist vom Grundsatz her richtig und in besonderen Härtefällen bestehen jetzt schon Ausnahmeregelungen. Das beste Mittel gegen Altersarmut und Härten des Versorgungsausgleichs sind aus unserer Sicht ausreichende eigenständige Alterssicherungsansprüche beider Partner.

DIE LINKE setzt sich für die Aufnahme von Kinderrechten auf Grundlage der UN-Kinderrechtskonvention ins Grundgesetz ein und hat dazu in der laufenden Legislaturperiode einen Antrag in den Bundestag eingebracht (Bundestagsdrucksache 17/4677). Wir wollen allerdings nicht einen Rechtsanspruch auf beide Eltern, sondern den Vorrang des Kindeswohls dort verankern.

Grüne

Es ist in der Tat wünschenswert, wenn sich nach Trennung und Scheidung beide Eltern weiterhin um das Kind kümmern. Auch die Berufstätigkeit beider Elternteile ist angesichts der Scheidungs- und Kinderarmut aber auch aus der Perspektive der Geschlechtsgerechtigkeit positiv zu bewerten. Inwieweit hier eine gesetzliche Verankerung erfolgen sollte, gilt es allerdings noch zu prüfen.

SPD

Die SPD ist grundsätzlich der Ansicht, dass die gemeinsame Sorge dem Wohl des Kindes am besten dient, dies gilt auch für einen gleichmäßig verteilten Umgang und die gemeinsame Betreuung, insbesondere wenn die Eltern miteinander kommunizieren können und in der Lage sind, gemeinsam am Kindeswohl orientierte Entscheidungen zu treffen. Dies wirkt sich in einer Vielzahl von Fällen positiv aus, indem sich Eltern auch nach einer Trennung für ihr Kind engagieren und häufig den persönlichen Kontakt zu ihm pflegen. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um Kinder verheirateter oder nicht verheirateter Eltern handelt. Voraussetzung des Wechselmodells ist die Fähigkeit beider Elternteile zum Konsens. In zahlreichen Fällen ist dies nicht gegeben, weshalb eine gesetzliche Verankerung des Wechselmodells als Grundsatz erst einmal nicht hilfreich scheint. Wir behalten dieses Modell während der Weiterentwicklung eines modernen Familienrechts jedoch im Blick.

ISUV meint, es kann nicht so sein, dass die praktische Umsetzung eines Wechselmodells davon abhängt, ob beiden Elternteilen die Umsetzung gefällt. Richtlinie ist nach unserer Auffassung nur das Kindeswohl. Es kann nicht Maxime sein, dass ein Elternteil sich weigert zu kommunizieren und er damit das Wechselmodell zu Fall bringen kann. Die gesetzliche Einführung des Wechselmodells bedeutet sehr wohl auch einen Paradigmenwechsel in dem Sinne: Njet alleine reicht nicht mehr, da müssen Argumente kommen, da muss belegt werden, da folgt Mediation, da wird eine positive Konditionierung fürs Kind veranschaulicht - kurz Kommunikation ist Pflicht! Ein Njet alleine genügt nicht mehr.  

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