Kindesunterhalt beim Jugendamt festlegen: Was man wissen und beachten sollte
Gehen wir von der häufigen Situation aus: Der Kindesvater zieht im Jahre 2020 aus der gemeinsamen Ehewohnung aus und hat der Kindesmutter Kindesunterhalt für die beiden Kinder im Alter von 8 und 14 Jahren zu zahlen. Er verdient € 4.000,00. Beide wollen den Kindesunterhalt einvernehmlich regeln. Nach Prüfung der Einkommensbelege ermitteln beide einen Kindesunterhalt von € 581,00 für das erste und von € 701,00 für das zweite Kind.
Dem Vater verbleibt nach Abzug des Kindesunterhalts noch ein Einkommen von € 2.718,00. Um die Einigung abzusichern und weiteren Streit zu vermeiden, lässt der Vater diese Unterhaltsbeträge für jedes Kind in einer Urkunde festschreiben. Die Urkunde wird vom Jugendamt erstellt, nachdem die Eltern wie in unserem Fall eine entsprechende Vereinbarung getroffen haben oder aber das Jugendamt eine entsprechende Berechnung entgegengenommen hat.
Vorteile dieses Vorgehens sind:
- In der Jugendamtsurkunde wird der Unterhaltsbedarf für jedes Kind festgesetzt. Damit verschaffen sich beide Elternteile gegenseitig Sicherheit.
- Verfahrenskosten für die Durchsetzung dieser Unterhaltsforderung entfallen. Gerichts- und Anwaltskosten.
- Der Unterhaltsgläubiger, hier die Mutter in Vertretung der Kinder, kann diesen Unterhalt im Falle ausbleibender Zahlungen sofort vollstrecken.
- Eine Jugendamtsurkunde hat die gleiche rechtliche Bedeutung wie ein gerichtlicher Beschluss.
Wichtig: Die Jugendamtsurkunde ist ein vollstreckungsfähiger Titel nach § 794 ZPO. Es kann sofort ohne „Vorwarnung“, also ohne ein streitiges familiengerichtliches Verfahren, vollstreckt werden. Fehlt zwischen den Eltern die Kommunikation, dann sind betroffene Unterhaltspflichtige meist völlig überrascht, wenn gepfändet wird.
Inhaltliche Standards:
- Anerkennung der Mutterschaft und der Vaterschaft,
- Benennung des Kindes als Anspruchsinhaber,
- Es muss ein geschuldeter Betrag erschließbar sein, der sich in der Regel an der Düsseldorfer Tabelle orientiert, nur dann kann vollstreckt werden.
Dynamische Jugendamtsurkunde
Die Angabe des Betrages wird meist so festgelegt:
Für die Zeit ab dem 01.07.2024 schuldete der Unterhaltsverpflichtete monatlich 128% des Mindestunterhalts der 3. Altersstufe nach § 1 Abs.1 Mindestunterhaltsverordnung.
Der Unterhaltsverpflichtete schuldet dem Kind einen Unterhalt in Höhe von 128% des Eingangssatzes der Düsseldorfer Tabelle abzüglich des anteiligen Kindergeldes.
Diese Formulierung mag den Eindruck erwecken, dass der geschuldete monatliche Unterhaltsbetrag offengelassen wird. Dies täuscht, denn mit dieser Formulierung soll für die folgenden Jahre eine kontinuierliche Steigerung des Zahlbetrages entsprechend der Steigerung der Unterhaltssätze in der Düsseldorfer Tabelle festgelegt werden. Dabei orientiert sich die Unterhaltshöhe an den Gehaltsstufen der Düsseldorfer Tabelle.
Im Falle einer Erhöhung der Unterhaltssätze muss somit keine neue Jugendamtsurkunde ausgestellt werden. Vielmehr passt sich die Jugendamtsurkunde „dynamisch“ der neuen Unterhaltshöhe an. Die Bezeichnung "dynamisch" bezieht sich also darauf, dass die festgelegten Beträge in der Urkunde nicht starr sind, sondern sich „automatisch“ an den mit der Einkommensstufe neuen Satz des Kindesunterhalts anpassen.
Unterhaltsschulden - Vollstreckung
Wenn der Gerichtsvollzieher kommt, fordert er den komplett geschuldeten Unterhalt, also sowohl für den in der Vergangenheit geschuldeten und gegenwärtig nicht gezahlten Unterhalt.
Beispiel: Der Unterhaltsverpflichtete zahlte in der Zeit vom 01.01.2023 bis zum 30.06.2024 keinen Kindesunterhalt. Daraus ergibt sich folgender Unterhaltsrückstand: Das erste Kind hatte 2023 einen Unterhaltsanspruch von € 675,00 monatlich und 2024 von € 701,00, summa summarum eine Gesamtforderung von € 8.100,00 für das Jahr 2023 und von € 4.206,00 für das Jahr 2024, insgesamt ein Gesamtunterhaltsrückstand von € 12.306,00.
Das zweite Kind hatte 2023 einen Unterhalsanspruch von konkret von € 558,00 und 2024 von € 581,00. Hieraus ergibt sich eine Gesamtforderung von € 6.696,00 für 2023 und von € 3.486,00 für 2024. Er muss damit eine Gesamtunterhaltsforderung für das 2. Kind in Höhe von € 10.182,00 ausgleichen. Die Gesamtschulden liegen damit im Vollstreckungsfall bei € 22.488,00.
Ganz wichtig ist, wenn nicht gezahlt werden kann, dann sofort mit dem Jugendamt Kontakt aufnehmen und eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt einschalten. Manche Jugendämter lassen mit sich reden.
Vorteil für ISUV-Mitglieder
Im Vorfeld der Ausstellung einer Jugendamtsurkunde ist es wichtig, den Unterhaltsanspruch anhand vollständiger Unterlagen – Nachweise aller Nettoeinkommen im Verlauf eines Jahres, abzugsfähige notwendige Ausgaben für Versicherungen - genau zu ermitteln. Berechnungen des Jugendamtes sollten von einem Anwalt überprüft werden. ISUV-Mitglieder können dabei im Rahmen einer schriftlichen Rechtsanfrage Hilfe von einem ISUV-Kontaktanwalt bekommen.
Was tun, wenn sich das Einkommen ändert?
Grundsätzlich gilt: Eine dynamische Jugendamtsurkunde muss auf Grund ihrer dynamischen Natur nicht zwingend durch eine neue Urkunde ersetzt werden, wenn sich das Einkommen des Unterhaltspflichtigen ändert. Diese Änderungen können automatisch berücksichtigt werden, sofern sie im Rahmen der Urkunde und der zugrunde liegenden Regelungen (wie der Düsseldorfer Tabelle) vorgesehen sind und die bisherige Einkommensstufe einschlägig bleibt. Ist eine neue Einkommensstufe maßgeblich, so ist die Urkunde insgesamt anzupassen.
Wenn beide Elternteile sich einig sind, dass die Bedingungen der Urkunde geändert werden sollen, können sie gemeinsam zum Jugendamt gehen, um eine Anpassung der Urkunde zu veranlassen. Dies kann in Form einer Neuberechnung des Unterhalts und der Ausstellung einer neuen oder angepassten Urkunde geschehen.
Die Einkünfte können sich sowohl durch Einkommenssteigerungen aber auch durch den Wegfall einzelner Einkommensarten ändern. Es ist wichtig, dass alle relevanten Einkommensquellen berücksichtigt werden, einschließlich Arbeits- und Tarifverträgen, Provisionen und Zulagen.
Der Unterhaltsschuldner trägt die Beweislast für die Einkommensänderungen, die eine Anpassung der Unterhaltszahlungen rechtfertigen. Dies bedeutet, dass er oder sie nachweisen muss, wenn das Einkommen gesunken ist und somit eine Reduzierung des Unterhalts angemessen ist.
Ebenso muss derjenige, der eine Erhöhung des Unterhalts aufgrund gestiegenen Einkommens verlangt (häufig die Kindesmutter), die entsprechenden Einkommenssteigerungen nachweisen.
Was ist eigentlich eine „Dynamische Jugendamtsurkunde“?
Eine dynamische Jugendamtsurkunde ist eine besondere Form der Urkunde, die von einem Jugendamt ausgestellt wird. Sie dient in der Regel dazu, rechtliche Ansprüche, insbesondere Unterhaltsansprüche, festzulegen und durchzusetzen. Die Bezeichnung "dynamisch" bezieht sich darauf, dass die festgelegten Beträge in der Urkunde nicht starr sind, sondern sich automatisch anpassen, beispielsweise an Änderungen im Einkommen des Unterhaltspflichtigen oder an gesetzliche Änderungen.
Die häufigste Anwendung ist die Festlegung von Unterhaltsansprüchen für Kinder. Der Betrag, den der unterhaltspflichtige Elternteil zahlen muss, wird in der Urkunde festgelegt. Der Unterhaltsbetrag kann sich automatisch ändern, ohne dass eine neue Urkunde ausgestellt werden muss. Dies erfolgt meist anhand bestimmter Parameter wie der Entwicklung des Einkommens des Unterhaltspflichtigen oder der Änderung gesetzlicher Vorgaben, wie etwa der Düsseldorfer Tabelle.
Eine Jugendamtsurkunde hat die gleiche rechtliche Wirkung wie ein gerichtlicher Beschluss. Das bedeutet, dass der darin festgelegte Unterhaltsanspruch notfalls zwangsweise durchgesetzt werden kann, z.B. durch Gehaltspfändung.
Wichtigster Vorteil: Die dynamische Anpassung bietet den Vorteil, dass bei Veränderungen der Lebensumstände nicht jedes Mal ein gerichtliches Verfahren notwendig ist, um die Unterhaltsbeträge anzupassen. Dies spart Zeit, Kosten und nicht zuletzt Nerven für alle Beteiligten. Gleichzeitig ist beim Kindesunterhalt Rechtssicherheit insofern für Unterhaltsberechtigte gesichert, weil das Jugendamt den Unterhalt einfordert.
Wie lässt sich eine dynamische Jugendamtsurkunde ändern?
Eine dynamische Jugendamtsurkunde kann unter bestimmten Umständen geändert werden.
Wenn beide Elternteile sich einig sind, dass die Bedingungen der Urkunde geändert werden sollen, können sie gemeinsam zum Jugendamt gehen und eine Anpassung der Urkunde veranlassen.
Da die Urkunde dynamisch ist, werden bestimmte Änderungen (wie Änderungen der Düsseldorfer Tabelle) automatisch berücksichtigt. Wenn diese Anpassungen nicht ausreichen, kann ein Antrag auf Überprüfung und Anpassung beim Jugendamt gestellt werden.
Wenn keine Einigung zwischen den Eltern erzielt werden kann, muss einer der Elternteile beim Familiengericht eine Abänderungsklage einreichen. Das Gericht prüft dann, ob eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse eingetreten ist, die eine Anpassung des Unterhaltsanspruchs rechtfertigt. Dies könnte beispielsweise bei einer erheblichen Einkommensänderung eines Elternteils oder bei geänderten Bedürfnissen des Kindes der Fall sein.
Erhebliche Veränderungen der finanziellen Situation oder der Lebensumstände eines Elternteils (z.B. Verlust des Arbeitsplatzes, erhebliche Gehaltserhöhung, Geburt weiterer Kinder) können ebenfalls Anlass für eine Abänderung sein.
Beachte: Sofort aktiv werden, nicht aussitzen. Sofort einen Antrag stellen auf Änderung. Der Elternteil, der die Änderung beantragt, muss die wesentlichen Veränderungen nachweisen können.
Keinesfalls die Unterhaltszahlungen einfach einstellen, sondern den rechtlichen Rahmen berücksichtigen. Das Jugendamt bietet teilweise Beratung und Unterstützung an, um die beste Vorgehensweise für eine Änderung der Urkunde zu finden. ISUV-Mitglieder sollten sich mittels schriftlicher Rechtsauskunft oder mittels Berechtigungsscheines beraten lassen.
Befristung einer Jugendamtsurkunde
Mit 18 Jahren werden Jugendliche volljährig und müssen sich um „ihren“ Unterhalt selbst kümmern. Nicht selten zeigt sich dann das Problem der fehlenden zeitlichen Befristung des Unterhaltstitels. Die Jugendamtsurkunde begrenzt die Unterhaltspflicht nicht automatisch bis zum Erreichen des 18. Lebensjahrs. „Läuft“ die Urkunde dann weiter, kann der Unterhalt dann auch für die Folgezeit fällig und damit auch vollstreckbar werden.
Beachte: Bleibt eine Jugendamtsurkunde mit Erreichen des 18. Lebensjahres des Unterhaltsberechtigten wirksam, so muss sie vor dem Familiengericht abgeändert werden. Eine zeitliche Befristung sollte daher immer in die Urkunde aufgenommen werden, darauf sollten Eltern achten.
Aus der Praxis: Das Erreichen des 18. Lebensjahres stellt einen Abänderungsgrund dar. Sind sich sie Parteien darin einig, die Jugendamtsurkunde außer Kraft setzen zu lassen, können sie dieses über einen Notar bewirken, indem sie eine neue entsprechende Urkunde über den Unterhalt protokollieren lassen um damit die Jugendamtsurkunde für kraftlos erklären. Sind sie sich darin jedoch nicht einig, so muss derjenige vor dem Familiengericht einen Antrag auf Abänderung stellen, der eine Änderung zu seinen Gunsten erreichen möchte.
Die Abänderung der Jugendamtsurkunde erfolgt über die Regelung des § 239 FamFG. Danach ist eine Abänderung möglich, wenn der Urkunde eine Unterhaltsvereinbarung zugrundliegt, die infolge nachträglicher Veränderungen nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage geboten ist. Dies ist in der Regel mit Erreichen des 18. Lebensjahres der Fall.
Wird kein Abänderungsantrag gestellt, dann sind Unterhaltspflichtige oft überrascht, dass weiterhin auf Grund der Urkunde gepfändet wird.
Reduzierter Unterhalt in Jugendamtsurkunden
Im Rahmen einer Jugendamtsurkunde kann auch ein reduzierter Unterhalt tituliert werden, wenn es sich um einen sogenannten Mangelfall handelt. Ein Mangelfall liegt vor, wenn das Einkommen des Unterhaltspflichtigen nicht ausreicht, um den vollen Unterhalt nach den üblichen Maßstäben – in der Regel die der Düsseldorfer Tabelle - zu zahlen, weil auch der Selbstbehalt berücksichtigt werden muss.
Wenn nun der festgeschriebene Unterhalt in der Jugendamtsurkunde angezweifelt wird, hat derjenige, der einen höheren Unterhalt geltend machen möchte - in der Regel der betreuende Elternteil - die Möglichkeit, diesen gerichtlich durchzusetzen.
Der betreuende Elternteil kann beim Familiengericht eine Abänderungsklage erreichen. In diesem Verfahren muss der Kläger nachweisen, dass die Voraussetzungen für eine Erhöhung des Unterhalts vorliegen.
Nachteile einer dynamischen Jugendamtsurkunde
Eine dynamische Jugendamtsurkunde bietet, wie beschrieben, Vorteile, dennoch gilt es auch mögliche Nachteile zu bedenken:
- Die Berechnung und regelmäßige Anpassung erfordert aktuelle Informationen über Einkommensverhältnisse. Die Praxis zeigt, dies ist nicht selten ein Störfaktor.
- Der Unterhaltsschuldner muss regelmäßig seine Einkommensverhältnisse offenlegen, um die korrekte Berechnung des Unterhalts zu gewährleisten. Dies wird als Gängelung empfunden, wenn der Unterhaltsberechtigte noch Jahre nach der Scheidung Einblick in die Einkommensverhältnisse bekommt, der Unterhaltsberechtigte aber sein Einkommen nicht offenlegen muss.
- Der bürokratische Aufwand ist erheblich, da es notwendig ist, immer wieder aktuelle und vollständige Unterlagen vorzulegen (z.B. Gehaltsabrechnungen, Steuerbescheide), um Einkommensveränderungen nachzuweisen.
- Wegen des unterhaltsrelevanten Einkommens gibt es oft Streit. Die Frage ist, welchen Aufwand kann ich abziehen, ist z. B. ein Nebenjob unterhaltsrelevant, sind Mieteinnahmen, die sich mit den Kreditschulden decken, unterhaltsrelevant?
- Es zeigt sich, dass in der Praxis oft Fragen im Zusammenhang mit der Jugendamtsurkunde von Mitgliedern gestellt werden. Manchmal sind Jugendämter nicht up to date. Deswegen wird regelmäßig bei ISUV rechtlicher Rat in Anspruch genommen, um die Berechnungen und Anpassungen der Unterhaltszahlungen zu verstehen und zu überprüfen.
Wichtig: Auch wenn nahezu alle glauben, die Dienstleistungen des Jugendamtes sind kostenfrei, dennoch kosten manche Anpassungen oder Verfahren etwas - Entsprechend also nachfragen.