„Die Düsseldorfer Tabelle lässt mir nicht einmal die Hälfte meines Einkommens. Leistung lohnt sich nicht.“

„Ich verdiene gut, rund 4000 netto, für meine zwei Kinder zahle ich gerne Unterhalt, auch meiner Exfrau muss ich gezwungenermaßen Unterhalt zahlen, obwohl sie auch 1280 EURO verdient. Mir bleiben von 4000 noch 1660 EURO zum Leben: Miete, Nebenkosten, Versicherungen, Auto, ja da sind auch noch Betreuungskosten an zwei Wochenenden und einmal in der Woche, dann muss man auch was essen, nicht immer nur Pizza oder Spaghetti“, schreibt uns ein ISUV-Mitglied.

Seit 1. Januar 2024 ist der Unterhalt für Kinder gemäß Düsseldorfer Tabelle 2024 (DTB) nochmals um 9 Prozent angehoben worden. Unterhaltspflichtige Mütter und Väter sind ungehalten. Sie verweisen darauf, dass die Inflationsrate inzwischen unter 4 Prozent liegt. Wer nicht zu wenig verdient und daher nicht durch Selbstbehalte geschützt ist oder nicht über zusätzliche Einkünfte verfügt, den trifft diese erneute Anhebung der Unterhaltsforderungen mit voller Wucht.

Vom Nettoverdienst bleiben Unterhaltspflichtigen der Mittelschicht, die dem früheren Ehegatten und zwei Kindern Unterhalt schulden, weniger als die Hälfte ihres Nettoeinkommens. „Die Höhe des Kindesunterhalts hat inzwischen jedes Verhältnis zu dem Einkommen, das in der Trennungsfamilie zu verteilen ist, verloren. Wie kann es sein, dass der Schuldner mehr als die Hälfte seines Einkommens für Unterhalt abgeben muss? Schließlich hat auch er einen Haushalt zu finanzieren“, fragt die ISUV-Vorsitzende Melanie Ulbrich.

Juristischer Hintergrund

„Die Düsseldorfer Tabelle 2024 entspricht nicht dem Gesetz, dieser Überzeugung sind wir bei ISUV“, sagt Ulbrich und sie verweist auf das Gesetz. Das Gesetz formuliert sehr ausgleichend gerecht: Einerseits steht dem minderjährigen Kind von seinen (Trennungs-) Eltern der „angemessene Unterhalt“ zu. In der Praxis setzt die Düsseldorfer Tabelle 2024 diese Forderung gegenüber Kindern um, indem sie bei steigendem Einkommen des Schuldners auch höheren Kindesunterhalt festschreibt.

Allerdings steht auch dem oder der Unterhaltspflichtigen entsprechend „angemessener Unterhalt“ zu, der ihm oder ihr zur Bestreitung der Lebenshaltung verbleiben muss. Jedoch die Düsseldorfer Tabelle 2024 schreibt die Höhe des angemessenen Unterhalts starr auf 1.750.- € fest, ohne den Erwachsenenunterhalt entsprechend dem Kindesunterhalt zu dynamisieren. Praktisch bedeutet das, ob der Unterhaltspflichtige nun 3.000.- € oder 6.000.- € netto monatlich verdient, sollen sich Unterhaltspflichtige mit 1750 EURO bescheiden.

Das trifft auf heftigen Widerspruch der Betroffenen weiß Melanie Ulbrich: “Unsere Mitglieder kritisieren und fragen, wie es sein kann, dass bei identischem Wortlaut im Gesetz für die Kinder die Unterhaltshöhe nach der Höhe des Einkommens der Eltern dynamisiert wird, jedoch für Unterhaltspflichtige der angemessene Selbstbehalt starr auf 1750 EURO festgelegt wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob der oder die Unterhaltspflichtige im Monat 3.000.- € oder 8000 EURO verdient.

Widerspruch zwischen Gesetz und juristischer Praxis

Das Gesetz garantiert Unterhaltspflichtigen, dass ihnen grundsätzlich genug verbleiben muss, um dem Einkommen entsprechend angemessen leben zu können. Doch die Praxis sieht anders aus: Verdient er oder sie netto monatlich 4.000.- €, so verbleiben bei zwei Kindern und einem unterhaltsberechtigten Ex-Ehepartner der oder dem Unterhaltspflichtigen gerade noch 1660.- €, also knapp 42%; verfügt der Schuldner über 6.000.- € netto, so sind es nach Begleichung der gleichen Unterhaltsansprüche nur noch 2.550.- €, die für den Lebensunterhalt und die Betreuung der Kinder reichen müssen.

„Beim Mittelstand verteilt die Düsseldorfer Tabelle 2024 das in der Trennungsfamilie vorhandene Einkommen nicht angemessen und damit nicht gerecht. Das kritisieren unsere Mitglieder zurecht“, sagt Melanie Ulbrich. Die in der Düsseldorfer Tabelle 2024 festgeschriebenen Unterhaltsbeträge „sind vielmehr unverhältnismäßig hoch.“

Schon seit Jahren, aber sehr heftig in den letzten zwei Jahren kritisieren ISUV-Mitglieder: „Die Düsseldorfer Tabelle lässt mir nicht einmal die Hälfte meines Einkommens. Leistung lohnt sich nicht.“ Der Verband pocht auf die Durchsetzung des Grundsatzes: Beide betreuen, Beide bezahlen.

Eine solche Belastung ist „unverhältnismäßig“, sagen Familienrechtler, vor allem wenn man bedenkt, dass im Familienrecht beim Zugewinn- oder beim Versorgungsausgleich stets darauf geachtet wird, dass dem Ausgleichspflichtigen die Hälfte seiner Ansprüche, seines Vermögens verbleibt. Genau das will das Gesetz auch bezüglich des Unterhalts.

Diese im Gesetz angelegte gleichmäßige Behandlung von Unterhaltsberechtigten und Unterhaltspflichtigen wird heute nicht beachtet. Der oder die Unterhaltspflichtige wird in den Rechten aus Artikel 2, Absatz 1 GG, dem Recht auf freie Selbstbestimmung innerhalb rechtsstaatlicher und damit verhältnismäßiger Grenzen verletzt. „Unwidersprochen von Juristen schützt das Gesetz den angemessenen Unterhalt der Unterhaltspflichtigen. Die Anmerkungen zur Düsseldorfer Tabelle höhlen diesen Schutz aus. Den Unterhaltspflichtigen bleibt zu wenig von ihren Einkünften. Das ist vom Grundgesetz so nicht gewollt. Es kann auch nicht sein, dass Unterhaltspflichtigen zu wenig bleibt, so dass sie Kinder nicht angemessen betreuen können“, kritisiert Ulbrich.

Juristische Alternativen – ISUV-Forderungen

Was ist zu ändern, um die aufgezeigten verfassungsrechtlichen Risiken zu vermeiden? Es kommt darauf an, dass der „angemessene Unterhalt“, der Unterhaltspflichtigen zusteht, ebenso dynamisch angepasst wird wie der angemessene Unterhalt, der den Kindern zusteht. Verteilungsgerechtigkeit wird in der Düsseldorfer Tabelle durch die „Bedarfskontrollbeträge“ zu erreichen versucht.

Diese Bedarfskontrollbeträge sind nach den „Anmerkungen“ zur Düsseldorfer Tabelle dazu gedacht, „eine ausgewogene Verteilung des Einkommens zwischen den Unterhaltspflichtigen und den unterhaltsberechtigten Kindern“ zu gewährleisten. Bei einem Netto-Einkommen von 4.000.- € verblieben dem Schuldner danach immerhin 2150.- € und bei 6.000.- € doch 2850.- €, also deutlich mehr als nach der aktuellen Praxis. Allerdings sind die Bedarfskontrollbeträge nicht verpflichtend, die meisten Oberlandesgerichte wenden sie nicht an. 

Auch ISUV stimmt der Auffassung von Juristen zu, ein erster Schritt für mehr Gerechtigkeit zwischen Unterhaltsberechtigten und Unterhaltspflichtigen wäre die konsequente Umsetzung der Bedarfskontrollbeträge in der familienrechtlichen Praxis. „Eine saubere Lösung wäre jedoch erst dann gegeben,“ sagt die ISUV-Vorsitzende, „wenn den Unterhaltspflichtigen gesetzlich garantiert wird, dass ihnen von ihrem Netto-Einkommen zumindest die Hälfte bleibt. Dies schafft Transparenz und Rechtssicherheit.“

Bei ISUV sieht man die Düsseldorfer Tabelle 2024 in einer „Einbahnstraße“. Nachweislich kommen mit jeder Unterhaltserhöhung mehr „Mangelfälle“, d. h. immer mehr Unterhaltspflichtige können den geforderten Unterhalt nicht zahlen und haben dann monatlich nur den Mindestselbstbehalt von 1450 EURO zur Verfügung – und der wird mit juristischen Winkelzügen teilweise unterschritten.

„Was in der Diskussion immer zu kurz kommt, Unterhaltspflichtige der Mittelschicht zahlen unangemessen viel und ihnen bleibt entsprechend unangemessen wenig. Das ist leistungsfeindlich, es demotiviert, das fördert nicht Betreuung. Es widerspricht der Maxime „Beide betreuen – Beide bezahlen“, kritisiert die ISUV-Vorsitzende.