Editorial zu Trennungskindern im Fokus

Liebe Mitglieder, liebe Freundinnen und Freunde unseres Verbandes!

Der neue ISUV-Report Nr. 172 ist erschienen und steht Mitgliedern im Mitgliederlogin zum Download zur Verfügung. In dieser Reportausgabe stehen trotz – oder gerade wegen – der vielfältigen Krisen, die wir gerade beobachten können, die Kinder im Fokus.

Wir leben in unsicheren Zeiten: Die allgemeine politische Weltlage macht vielen Menschen Angst. Immer noch blicken wir auf den Konflikt in der Ukraine, auf diesen Krieg in Europa, der noch vor einem Jahr unvorstellbar erschien. Es ist klar, wer ihn begonnen hat, es ist unklar, wie er beendet werden kann: mehr Waffen oder mehr Diplomatie? Krieg bis zum Sieg einer Seite? Kann es den Sieg einer Seite überhaupt geben? Diese Fragen verunsichern Menschen, lösen Ängste aus, spalten die Gesellschaft.

Die Lebenshaltungskosten sind, wie seit meinem ersten Editorial vor einem Jahr, weiterhin hoch, die Inflationsrate verharrt auf hohem Niveau bei 8,7% im Februar. Auch wenn damit zu rechnen ist, dass ab März die Gas- und Strompreisbremsen greifen werden, ist in vielen Haushalten die Lage weiterhin angespannt.

Dramatisch dabei ist, dass die Mittelschicht, die eigentlich immer breit und Garant für eine gewisse Stabilität war, unter anderem auch deshalb, weil dort ein Großteil des Steueraufkommens erbracht wurde, im Schrumpfen begriffen ist. Besonders am unteren Ende besteht eine große Gefahr abzurutschen in die unteren Einkommensklassen. In einer noch immer großen Bevölkerungsgruppe tritt langsam an die Stelle von Zuversicht und der Sicherheit, mit einer ordentlichen Berufsausbildung ein sicheres Auskommen und Aussicht auf Wohneigentum zu haben, die Angst.   

Armut ist kein Randgruppenphänomen mehr.

Die untere Mittelschicht ist von Energiekrise und Inflation besonders betroffen. Nur ein Beispiel: Ein Haushalt, der mehr als zehn Prozent seines Nettoeinkommens für Energie ausgibt, gilt als "energiearm". Die Anzahl der energiearmem Haushalte verdoppelte sich zwischen 2021 und Mai 2022 in der Einkommensklasse der unteren Mittelschicht auf knapp 41 Prozent.

Das setzt natürlich Trennungsfamilien einem besonders hohen Druck aus. Unterhaltszahler, die von ihrem durch die großen finanziellen Belastungen geschrumpften Einkommen einen laut Düsseldorfer Tabelle gestiegenen Unterhaltsbetrag zahlen müssen, gehören zu ebenjenen Angehörigen der Mittelschicht, die von einem Abstieg in die Armut bedroht sind. Ein ISUV-Mitglied schrieb dazu sehr treffend: „Bürgergeld rückt immer näher.“

Kinder, um nun wieder zurück zu meinem ursprünglichen Thema zu kommen, spüren die Ängste ihrer Eltern. Kinder brauchen ein Gefühl der Sicherheit, um gesund und psychisch widerstandsfähig aufzuwachsen.

Was Kinder in einer solchen Situation darum umso weniger gebrauchen können, ist das Gefühl, dass ihre Eltern sie über ihren eigenen Problemen, Sorgen und Ängsten aus dem Blick verlieren. Wenn nicht einmal mehr der bisher als sicher empfundene Mikrokosmos der eigenen Familie sicher ist, wenn man das Gefühl hat, dass man allein dasteht mit seinen Ängsten, erschüttert das das Urvertrauen, das durch eine Trennung ohnehin schon sehr strapaziert ist.

Insbesondere Trennungskinder brauchen, besonders in der Anfangsphase, mehr Halt, Liebe und Geborgenheit – von beiden Elternteilen. Kinder empfinden im Moment der Trennung ihrer Eltern eine große Machtlosigkeit. Es entstehen Verlustängste, Unsicherheit, die Frage, ob sie ihren Eltern überhaupt noch etwas wert sind.

In dieser Situation brauchen sie Eltern, die weiterhin gemeinsam für sie da sind – darin sind sich alle Trennungsforscher einig. Ihre Kinder sollten sich zu jeder Phase der Trennung geliebt fühlen – von Mama und Papa.

Versuchen Sie, zwischen der Paarebene und der Elternebene zu unterscheiden – holen Sie sich ruhig Hilfe, falls Ihnen das nicht gelingt, das ist keine Schande. Machen Sie sich nicht gegenseitig schlecht – das erzeugt in Ihren Kindern einen inneren Konflikt, den sie nicht bewältigen können. Lassen Sie so viel Kontakt wie möglich zu. Schaffen Sie es, fair und konstruktiv miteinander umzugehen, verringern Sie nicht nur die Gefahr für psychische Spätfolgen erheblich, Sie leben Ihren Kindern auch vor, wie man Konflikte gut und friedlich löst.

Vor allem: Versuchen Sie, sich friedlich und außergerichtlich zu einigen, natürlich gerne mit der Hilfe von Anwälten und/oder Mediatoren, aber versuchen Sie den Gang vor Gericht zu vermeiden, er ist für Kinder immer belastend. Die beste Lösung für Ihre (Trennungs-)Familie können nur Sie selbst finden, weil nur Sie wissen, was für Sie am besten ist. Lösungen von Gerichten sind immer nur die Lösung Außenstehender und damit immer die schlechteren Lösungen. Unsere Kontaktstellenleiterinnen und Kontaktstellenleiter helfen Ihnen gerne bei Ihrem individuellen Fall, uns allen liegt das Wohl der Kinder am Herzen. Wir beraten konsequent integrativ, neutral und geschlechterunabhängig und sehen uns in solchen Fällen als Anwälte der Kinder.

Das Thema beschäftigt uns auch in unserer politischen Arbeit. Wir fordern bei unseren politischen Gesprächen immer die Abkehr von starren Umgangsmodellen. Wir fordern gesetzgeberische Impulse, durch die die Kooperation der Eltern gleich nach der Trennung gefördert wird. Warum soll eine Pflichtmediation nicht am Anfang der Trennung stehen, noch vor den Anwaltsschreiben? Umgänge sollten individuell und flexibel gestaltbar sein.

Sie werden es gemerkt haben: Das Thema berührt und bewegt mich sehr, dieser Report ist mir eine Herzensangelegenheit. Es ist mir ein großes Anliegen, für die mehr als 120.000 Scheidungskinder in Deutschland etwas zu bewegen, ihnen eine Stimme zu geben, sie in den Fokus ihrer Eltern, aber auch der Gerichte und der Anwaltschaft zu rücken.

Nur in den seltenen Fällen physischer und psychischer Gewalt in Familien halte ich es für wichtig und gerechtfertigt, den Kontakt zum gewalttätig agierenden Elternteil einzuschränken oder zu unterbinden. In allen anderen Fällen halte ich ein gemeinsames Getrennterziehen, so schwer es angesichts großer Verletzungen und Enttäuschungen auch sein mag, für das einzig richtige und für ein „Opfer“, das man seinen Kindern zuliebe sicher erbringen kann.

Ich wünsche Ihnen eine schöne Frühlings- und Vorsommerzeit, bunt und angenehm, wie diese Zeit sein sollte. Denken Sie an Ihre Kinder und an sich selbst und versuchen Sie, trotz schwieriger Zeiten immer die eine oder andere schöne Seite an einem Tag zu finden.

Ihre
Melanie Ulbrich
ISUV-Bundesvorsitzende