„Kinder- und Jugendstärkungsgesetz“: Sinnvolle und fragwürdige neue Regelungen – System Familie stärken

Die Bundesregierung will die Kinder- und Jugendhilfe stärken und ausbauen. Die soziale Situation von Kindern und Jugendlichen, die in Heimen oder bei Pflegeeltern leben oder eine Behinderung haben, soll mit einem Bündel von Maßnahmen verbessert werden. Das neue „Kinder- und Jugendstärkungsgesetz“ will für Kinder und Jugendliche, die zu Hause Gewalt und Vernachlässigung erleben, Anlaufstellen schaffen.

„Die Reform ist notwendig, richtig und gut gemeint. Sie wird im Detail je nach Engagement der Länder Verbesserungen, insbesondere für Kinder und Jugendliche mit Behinderung, bringen. Was fehlt ist eine dringend notwendige Neustrukturierung und Neuausrichtung der Behörde Jugendamt als Träger der Kinder- und Jugendhilfe“, fordert ISUV-Vorsitzender, Rechtsanwalt Klaus Zimmer.

Der Verband begrüßt, dass Pflegefamilien und Pflegeheime künftig stärker kontrolliert werden sollen. „Es ist sehr begrüßenswert, dass Ärzte künftig beim Kinderschutz eingebunden werden, sie sehen am ehesten ob und was schiefläuft beim Kindeswohl. Allerdings ist datenschutzrechtlich in Bezug auf Schweigepflicht und in Bezug auf Strukturierung des Austausches noch Klärungsbedarf“, hebt ISUV-Pressesprecher Josef Linsler hervor.

Der Verband begrüßt, dass „Ombudsstellen“ in den Ländern geschaffen werden. „Unabdingbar ist, dass diese Stellen vom Jugendamt unabhängig sind.“ (Linsler) Kinder und Jugendliche finden hier hoffentlich einen engagierten und empathischen Ansprechpartner. Aber auch Eltern, denen die Kinder weggenommen wurden, denen der Umgang verweigert wird, können sich an Ombudsstellen wenden.

Die „Hilfe aus einer Hand“ – also Zentrierung und Verwaltungsvereinfachung – für Kinder und Jugendliche mit Behinderung ist sinnvoll. Sehr begrüßenswert auch die Absicht, Straßenkinder von der Straße zu holen und sie zu integrieren versuchen.

Neu, im ersten Moment ganz unverfänglich und „nett“, aber bei näherem Hinsehen bedenklich ist die Regelung, dass Kinder sich künftig direkt ohne Rücksprache mit den Eltern ans Jugendamt wenden können. „Das kann – und wird zu Verwerfungen im Verhältnis zwischen Kindern und Eltern, zwischen Eltern und Jugendamt führen, das zeigt schon jetzt die Praxis“, warnt Pressesprecher Linsler.

Neu ist auch, dass auf Anordnung des Familiengerichts Kinder künftig dauerhaft in Pflegefamilien untergebracht werden können. „Wir lehnen das ab, es fördert die Entfremdung der Kinder von den leiblichen Eltern durch die Pflegeeltern. Bei kriminellen Eltern ist das im Sinne des Kindeswohls notwendig und gerechtfertigt. Viele Eltern wenden sich in einer Notlage ans Jugendamt und bitten um Hilfe. Statt die Eltern zu unterstützen und mit ihnen lösungsorientiert zu arbeiten, werden die Kinder in Obhut genommen. Beispiele von Mitgliedern zeigen, dass das Narrativ von den Pflegeeltern als den schlechthin besseren Eltern individuell hinterfragt werden muss. Der Kontakt zu den leiblichen Eltern ist identitätsstiftend und entsprechend offenzuhalten. Wir hoffen, dass der Bundesrat diese Regelung nicht einfach durchwinkt.“(Linsler)

Erfolgreicher Kinder- und Jugendschutz setzt eine Reform des Jugendamtes, einen Paradigmenwechsel bei Zielsetzung und Selbstdefinition voraus. „Mehr Kommunikation und Mediation, weniger Behörde und autoritäre ritualisierte Strukturen, mehr Transparenz, keine einseitigen Beistandschaften, lösungsorientiertes empathisches Arbeiten mit Kindern und Eltern, nach Trennung der Eltern Gemeinsam Erziehen fördern, bei Bindungsintoleranz, bei Umgangsverweigerung nicht wegschauen, … Wer Kinder und Jugendliche stärken will, muss systemisch die Familie – Kinder und Eltern - im Blick behalten“, fordert Linsler und stellt fest: „Dafür bedarf es nicht einfach nur mehr Personal, vielmehr ist die Bereitschaft notwendig, das Jugendamt neu aufzustellen und auszurichten.“