„Modernisierung von Sorgerecht und Umgangsrecht“ oder nur Alter Wein in neuen Schläuchen?

Für ISUV stand von Anfang an die gelebte gemeinsame elterliche Sorge als Kernforderung im Mittelpunkt. Gemeinsame elterliche Sorge sollte nicht nur ein Rechtsanspruch sein, sondern im Alltag gelebt werden.

Bis heute beschränkt sich die gelebte gemeinsame elterliche Sorge auf „Umgang“. Dies ist Regel in 90 Prozent der Fälle: Ein Elternteil betreut, der andere hat „Umgang“.

ISUV hat sich immer am Begriff „Umgang“ gestört und wollte diesen recht beliebigen Begriff durch „Betreuung“ ersetzen. Leider hat sich bezüglich Begrifflichkeit in den Eckpunkten nichts geändert. ISUV hat immer das Prinzip kritisiert: Einer betreut – Einer bezahlt. Diese Maxime hat dazu geführt, dass ein Elternteil von der alltäglichen Betreuung ausgeschlossen und auf „Umgang“ reduziert wurde.

Der Umsetzung der gemeinsamen – gelebten - elterlichen Sorge gilt bis heute unser Engagement. Die tatsächliche praktische Umsetzung wird so lange nicht sein, solange man an dem dichotomischen Grundsatz festhält, „Einer betreut, Einer bezahlt“ festhält. Wir fordern, dass dieser Grundsatz durch die Maxime ersetzt wird „Beide betreuen, Beide bezahlen“. Dann gestalten beide Elternteile auch nach Trennung und Scheidung den Alltag sowohl materiell als auch ideell. Beide Ehe-malige praktizieren und bilden dann eine Trennungsfamilie.

In der Trennungsfamilie steht das Kindeswohl im Mittelpunkt. Die Auffassung von ISUV war und ist, dass die tatsächlich gelebte gemeinsame elterliche Sorge gerade nach Trennung und Scheidung dem Kindeswohl am meisten dient. Elterliche Sorge – gemeinsame elterliche Verantwortung besteht nicht nur formal in „regelmäßigen Umgang“, sondern ganz praktisch in Betreuung im Alltag. Dabei ist wichtig, dass nicht nur quantitativ Stunden gezählt werden, sondern dass qualitativ gemeinsamer Alltag gelebt werden kann. 

Die Frage ist jetzt, versucht Bundesjustizminister Marco Buschmann mit den Eckpunkten einerseits zu Sorge und Umgangsrecht andererseits mit den Eckpunkten zum Unterhalt einen ersten, einen zögerlichen Schritt in die Richtung „Beide betreuen, Beide bezahlen“?

Im Interview: ISUV-Bundesvorsitzende Melanie Ulbrich

Wir fragten die ISUV-Vorsitzende Melanie Ulbrich für die aktuelle Ausgabe unserer Verbandszeitschrift "ISUV-Report" nach ihrer Einschätzung, den Perspektiven, Defizite, Schwachstellen, Nachbesserungsbedarf der Eckpunkte „Modernisierung von Sorgerecht, Umgangsrecht“.

Report: Wo sehen Sie in den Eckpunkten zum Sorgerecht einen Modernisierungsschub?

Einen Modernisierungsschub sehe ich an verschiedenen Stellen. Familie begegnet uns inzwischen in den verschiedensten Erscheinungsformen. Die Eckpunkte, so wie sie momentan vorliegen, tragen dieser Tatsache Rechnung. Das ist ein großer Fortschritt gegenüber dem Jetzt-Zustand. Auch die Stärkung der Eigenverantwortung der Eltern, halte ich für einen großen Schritt in Richtung Modernisierung. Die Tendenz zu immer mehr Individualität und Selbstbestimmung ist in vielen gesellschaftlichen Bereichen zu erkennen; und besonders in der Familie, die ja das Privateste ist, das wir haben, wollen die Menschen sich immer weniger fremdbestimmen lassen. Das größere Mitspracherecht der Kinder im Trennungs- und Scheidungsprozess ist außerdem ein wichtiges Kriterium dafür, dass das Familienrecht moderner wird. Anders als früher werden Kinder inzwischen als eigenständige Persönlichkeiten gesehen, die auch in jungem Alter schon dazu in der Lage sind, bei Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, mitzureden. Eine bessere Beachtung des Kindeswillens kann bestimmt dazu beitragen, dass Kontaktabbrüche zu einzelnen Elternteilen seltener werden. Besonders in diesem Bereich hat unser Verband allerdings noch einen großen Konkretisierungsbedarf, genauso wie bei den Begriffen Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung, für die wir konkretere Definitionen und ein einheitliches Bewertungssystem fordern, um die Gefahr von Beliebigkeit bei den Gerichten auszuschließen.

Report: Im Papier ist die Rede davon, dass „Autonomie und Gestaltungsmöglichkeiten der Eltern gestärkt“ werden sollen. Was ist gemeint, wie soll, wie kann das geschehen?

Gemeint ist damit etwas, worauf wir bei ISUV schon sehr lange in unserer Arbeit mit Trennungsfamilien hinweisen: Eltern, die sich trennen, sollen mit Hilfe von Elternvereinbarungen die „Paarfamilie“ in eine Trennungsfamilie umwandeln können, ohne dazu gleich Anwälte oder Gerichte einsetzen zu müssen. Dazu braucht es natürlich eine ausführliche Beratung dieser Trennungseltern, die ergebnisoffen auf die verschiedenen Formen der Betreuung hinweist und die Eltern dabei unterstützt, eine Vereinbarung zu treffen, die individuell zu ihrer Familie passt und dabei die Berufstätigkeit beider Eltern und die Koordination von Arbeits-, Kindergarten- und Schulzeiten berücksichtigt. Dazu gehört auch das sogenannte „kleine Sorgerecht“, das es den Eltern erlaubt, auch andere Personen zu benennen, die das Kind betreuen dürfen. Das gewährleistet nicht nur, dass Eltern viele Alltagsdinge, wie zum Beispiel das Abholen aus Kindergarten oder Schule erleichtert werden können, sondern auch, dass Kontakte zu Großeltern oder anderen Bezugspersonen, die auch vor der Trennung bestanden haben, weitergeführt werden können.

Report: Das Leitbild der Trennungsfamilie lautet: Getrennt, aber gemeinsam erziehen, Verlust eines Elternteils nach Trennung und Scheidung vermeiden. Immer wieder ist davon die Rede, dass jährlich 50 000 Kinder nach der Trennung einen Elternteil verlieren. Meinen Sie die Vorschläge in den Eckpunkten können daran etwas ändern?

Die Eckpunkte werden das nicht auf der Stelle ändern. Sie vermögen es aber hoffentlich, einen gesellschaftlichen Gesinnungswandel zu bewirken. Weg von der Vorstellung, dass Scheidung immer nur Streit und Gerichtsverhandlung bedeutet und hin zu der Erkenntnis, dass Kommunikation auf einer sachlichen Ebene nötig ist, um selbstbestimmt über sein weiteres Leben verfügen zu können und gleichzeitig zu gewährleisten, dass die Kinder möglichst unbelastet und psychisch gesund aufwachsen können. Deshalb müssen unserer Meinung nach Coaching und Mediation im reformierten Familienrecht gestärkt werden. Strengere Sanktionen bei Umgangsverweigerungen oder -streitigkeiten halten wir für nur ein bedingt gutes Mittel, da sich solche Maßnahmen auch negativ auf das Kind auswirken können. Allerdings können auch jetzt schon Zwangsgelder verhängt werden, davon könnte man häufiger Gebrauch machen.

Report: Damit Trennungsfamilie gelebt und Verantwortungsgemeinschaft nach Trennung und Scheidung tatsächlich praktiziert wird, ist es entscheidend, dass Kinder und Eltern sowie Vater und Mutter auch in der „heißen“ Trennungsphase im Gespräch bleiben. Entscheidend ist, dass der Gesprächsfaden zwischen den Ehe-maligen und zwischen den Kindern nicht reißt. Greifen die Eckpunkte diese Problematik auf, werden Lösungsaspekte angeboten?

Sie bieten an einer Stelle Lösungsaspekte an, indem sie davon sprechen, dass das Wechselmodell auch Gegenstand der Beratung nach § 17 SGB VIII sein soll. Das ist unserer Meinung nach aber nicht ausreichend. Eine Beratung, ein Coaching, sollte nach einer Trennung mit Kindern obligatorisch sein. Diese Beratung sollte ergebnisoffen alle Betreuungsformen gegenüberstellen und den Eltern die Möglichkeit geben, die Betreuung ihrer Kinder individuell zu regeln. Dem Wechselmodell sollte nichts als Exotisches anhaften, es sollte eine normale Möglichkeit unter vielen sein. Bei ISUV haben wir einen großen Erfahrungsschatz, was das Coaching von Trennungseltern betrifft, und wir wissen, dass es immens wichtig ist, gerade am Anfang im Gespräch zu bleiben. Wenn das nicht der Fall ist, desto schwieriger ist es, nach einiger Zeit wieder ins Gespräch zu kommen, weil sich Positionen verhärtet haben. Wir fordern, dass die Beratung im Gesetz viel stärker verankert wird. Das ist vor allem für die Kinder wichtig, die von Anfang an das Gefühl haben sollten, dass sie eine Rolle spielen, dass sie wichtig sind und dass sie möglichst schnell das Gefühl haben, in einem verlässlichen System mit einer verbindlichen Regelung leben. Eine solche Beratung kann von den Jugendämtern schon allein wegen der schlechten Personalsituation, die überall herrscht, nicht geleistet werden. Wir regen deshalb an, an dieser Stelle auch Verbände wie ISUV, die die entsprechende Expertise haben, in das Beratungssystem einzubeziehen.

Report: Die ISUV-Erfahrungen zeigen, nicht selten kann ein Elternteil, manchmal können auch beide Elternteile nicht akzeptieren, dass Kinder in der Regel beide Elternteile lieben. Entscheidend ist deswegen, dass beide Elternteile vor und gleich nach der Trennung die „richtigen“ Ansprechpartner, verständnisvolle, engagierte, erfahrene, empathische Vertrauenspersonen finden. Welche Eigenschaften muss der „richtige“, der geeignete Ansprechpartner mitbringen?

Als Ansprechpartner in einer solchen Situation muss man vor allem gut und unkompliziert erreichbar sein, denn Fragen und Nöte treten zu jeder Tageszeit auf und sind nicht abhängig von Bürozeiten. Außerdem muss man in der Lage sein, sehr emotionale Konflikte versachlichen zu können. Empathie und Vermittlungsfähigkeit sind weitere wichtige Eigenschaften. Für sehr wichtig halte ich außerdem, dass man in der Lage ist, auch einen rechtlichen Überblick über die Situation zu geben und in einer Trennungsbegleitung den Menschen vermitteln kann, was sie als Trennungspaar ohne Anwalt und Gerichte regeln können. Viele Punkte bei einer Trennung oder Scheidung kann man untereinander regeln, ohne zu Gericht ziehen zu müssen. Das gewährleistet unter anderem, dass man eine Trennung sehr selbstbestimmt hinter sich bringen kann.

Report: In den Eckpunkten wird immer wieder das Jugendamt als der Ansprechpartner für Eltern genannt. Muss es denn immer das Jugendamt sein, was spricht dafür, was dagegen?

Für das Jugendamt spricht möglicherweise, dass es von vielen Menschen als „Autorität“ gesehen wird. Das bringt den einen oder die andere vielleicht dazu, sich auf eine Vermittlung oder Beratung dort einzulassen. Das kann aber gleichzeitig auch der Grund sein, der gegen das Jugendamt spricht. Für viele ist eine Beratung beim Jugendamt kein niedrigschwelliges Angebot. Gegen das Jugendamt spricht außerdem die bereits erwähnte schlechte Personalsituation in den meisten Jugendämtern. Außerdem schicken sie sich streitende Paare häufig wieder weg mit dem Hinweis, dass sie niemanden beraten, der sich streitet. Das ist in einer Trennungssituation aber häufig der Fall. Der richtige Ansprechpartner für eine Trennungsbegleitung ist ISUV. Hier beraten Menschen, die sich aufgrund eigener Erfahrungen in eine Trennungssituation einfühlen können. Bei ISUV erhält man Hilfe zur Selbsthilfe und muss sich in einer so wichtigen und emotionalen Phase nicht fremdbestimmt vorkommen.

Report: Es ist ISUV-Grunderfahrung, das juristische Scheidungsverfahren wird der Trennungs- und Scheidungssituation nur teilweise gerecht. Daher stellen die Eckpunkte und hoffentlich dann auch der Gesetzentwurf auf „Autonomie und Gestaltungsmöglichkeiten  der Eltern“ ab.

Ja, das ist zu hoffen. Größere Gestaltungsmöglichkeiten im Trennungs- und Scheidungsprozess sind ISUV-Grundforderungen. Aber ich betone noch einmal, dass die Entstehung solcher Vereinbarungen moderiert werden muss.

Report: Die Gestaltungsmöglichkeiten der Eltern sollen „das Kindschaftsrecht weniger streitanfällig“ machen. Ist das nicht sehr idealistisch gedacht, gerade wenn man bedenkt, dass die Trennungssituation eine zutiefst emotionale existentielle Situation ist?

Womit wir wieder bei dem wichtigen Punkt der Beratung oder des Coachings wären. Gerichte, aber auch Anwälte, also die juristische Ebene, können diese hochemotionale Mixtur von Liebe, Schuld, Verletztheit, Scheitern usw. nicht auffangen. Da bedarf es der menschlichen Ebene, die mit Empathie den Weg weist. Darum ist es so wichtig, dass Trennungsbegleitung und Mediation im Gesetz verankert werden. Ich sehe die Reform auch als eine Chance, das Familienrecht menschlicher zu machen, denn gerade hier hat man es eben mit Gefühlen zu tun.

Report: Es ist unbestritten, gemeinsame elterliche Verantwortung dient in der Regel dem Kindeswohl am besten. Daher kann auch die Weigerung eines Elternteils, sich an Mediation oder Coaching zu beteiligen, nicht die Ursache dafür sein, dass die Maxime „getrennt, aber gemeinsam erziehen“ nicht praktiziert wird. Sollte im Gesetzentwurf daher nicht eine Pflicht zur Mediation oder zu Coaching bestehen?

Hier steht meiner Meinung nach das Recht des Kindes an erster Stelle. Eltern haben eindeutige Pflichten gegenüber ihren Kindern. Die Verweigerung eines Gesprächs darf auf keinen Fall erfolgreich sein. Sonst bleibt alles so, wie es jetzt ist: Der Elternteil, der das Gespräch verweigert, stellt den anderen Elternteil und das Kind vor vollendete Tatsachen, aus denen sich dann verfestigte Lebensumstände ergeben, die im schlimmsten Fall dazu führen, dass das Kind einen Elternteil dauerhaft verliert.

Report: Aus dem heftigen Diskurs, ob das Wechselmodell oder das Residenzmodell dem Kindeswohl mehr dient, wurde Konfrontation, ja eine „Glaubensfrage“. Die Eckpunkte weichen dieser Diskussion nicht aus und sprechen von „Partnerschaftlicher Betreuung nach Trennung“. Vielfach wurde gefordert, das Wechselmodell als Leitmodell ins Gesetz zu schreiben. Ist diese Forderung zielführend?

Ich halte die Forderung nicht für zielführend. Leitbild sollte sein „getrennt, aber gemeinsam erziehen“ und das funktioniert auf verschiedene Weisen, dazu braucht man kein „echtes“, also symmetrisches, Wechselmodell. Es geht vielmehr darum, den Kindern nach einer Trennung beide Elternteile zu erhalten und keinen Elternteil auszuschließen von echter Erziehungsarbeit und Betreuung. Indem das Wechselmodell ins Gesetz aufgenommen wird, erhalten Gerichte eine größere Rechtsicherheit, und das ist ein wichtiger Punkt, den die Reform aufgreift. Eltern ein Modell überzustülpen, führt zu Unzufriedenheit, das ist beim Wechselmodell nicht anders als beim Residenzmodell. Auch wenn das Wechselmodell eine gute Möglichkeit ist, Kindern beide Elternteile gleichwertig zu erhalten, passt es einfach nicht auf jede Familie. Meiner Meinung nach muss man die Freiheit der Eltern achten und sich nicht in zu vielen Vorschriften ergehen. Wie immer im Familienrecht wird es auch hier auf Einzelfallentscheidungen hinauslaufen. Wenn man Eltern von Anfang an auf alle Betreuungsmöglichkeiten, die es gibt, hinweist, ist das gut, danach muss man ihnen ihre Entscheidungsfreiheit lassen. Lehnt ein Elternteil eine Mitbetreuung durch den anderen vehement ab, sollte man in der Beratung herausarbeiten, was die Gründe für diese Ablehnung sind, und versuchen in kleinen Schritten zu einem Modell zu kommen, das dem Kind beide Elternteile erhalten kann.

Report: Vereinbarungen sollen künftig eine große Rolle spielen. Betreuung kann zwischen den Eltern vereinbart werden, aber auch mit Dritten – „Kleines Sorgerecht“. Wie realistisch ist das?

In Patchwork- oder Großfamilien, die funktionieren, wird das ja automatisch praktiziert und bedarf keiner Regelung. Das „kleine Sorgerecht“ kann zu einem stressfreien Alltag verhelfen. Es birgt aber auch die Gefahr für „Schlammschlachten“ und Streitpunkte, die sich wiederum negativ auf das Kind auswirken können. Ich halte das für eine Regelung mit viel Streitpotential, die sehr gut ausgestaltet werden muss.

Report: Ziel ist auch die „Rechte des nicht mit der Mutter verheirateten Vaters“ zu stärken. Voraussetzung ist, dass Mutter und Vater zusammenwohnen. In diesem Fall kann der Vater eine „einseitige, beurkundete Erklärung“ abgeben um das Sorgerecht zu erlangen. Ist das nicht zu wenig für Gleichstellung der Kinder unabhängig davon, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht?

Eine alte ISUV-Forderung ist gemeinsame elterliche Sorge ab Geburt und Feststehen der Vaterschaft. Den Betroffenen und ISUV ging und geht es schon immer um die Gleichstellung von Kindern und Vätern. Elterliche Sorge darf nicht, davon abhängig sein, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht. Das ist inzwischen europäischer Standard. In vielen europäischen Ländern haben unverheiratete Väter   schon seit vielen Jahren die gemeinsame elterliche Sorge ab Geburt. Die in den Eckpunkten vorgesehene Regelung, dass der Vater bei gemeinsamem Wohnsitz die gemeinsame elterliche Sorge erhält, wenn er sie beantragt, ist eine Minimallösung. Fakt ist, dass viele unverheiratet Väter in sehr vielen Fällen von Geburt an mitbetreuen. Kommt es zur Trennung, dann sind sie erst einmal rechtlos gegenüber dem eigenen Kind, das sie mitbetreut haben. Uns sind genügend Beispiele bekannt, wo Väter von einem Tag auf den anderen zuerst einmal von der Betreuung ausgeschlossen sind und sie sich mühsam den Umgang erstreiten müssen. Eine gemeinsame elterliche Sorge ab Geburt signalisiert, dass jedes Kind – unabhängig ob die Eltern verheiratet sind - Anspruch auf die Erziehung durch beide Eltern hat. Gemeinsame elterliche Sorge für alle Kinder ab Geburt, hätte in vielen streitigen Fällen befriedende Wirkung. Natürlich gibt es Ausschlussgründe bei nachgewiesener Partnerschaftsgewalt und sexuellem Missbrauch. Dies gilt grundsätzlich unabhängig, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht.  

Report: Das Thema häusliche Gewalt spielt bei Trennung und Scheidung immer öfter eine Rolle. In den Eckpunkten ist von „gesetzlichen Neuregelungen und Klarstellungen“ die Rede. Ist das notwendig, reichen die bestehenden Regelungen nicht aus?

Ich halte das durchaus für notwendig und freue mich darüber, dass das Thema häusliche Gewalt mehr in den Fokus der Gerichte und aller beteiligten Parteien gerückt werden soll. Ermitteln Gerichte nach der Reform wirklich gründlich bei Anzeichen häuslicher Gewalt, bedeutet das, dass die gefährdeten Kinder viel besser als jetzt geschützt sind, aber auch Elternteile, die ungerechtfertigte Gewalt- und Missbrauchsvorwürfe aus taktischen Gründen erheben, werden entlarvt. So kann, wenn das Gesetz gründlich durchdacht ist und gut umgesetzt werden kann, sowohl eine bessere Prävention zugunsten der Kinder geleistet werden, es können aber auch Kontaktabbrüche ohne sachlichen Grund vermieden werden, die für die Kinder ebenfalls dramatisch sind. Was jedoch heißt genau, „das Familiengericht soll umfassend und systematisch ermitteln“? Das muss im Gesetz sehr viel konkreter gefasst werden. Außerdem bedeutet es, dass die Gerichte und wieder auch die Jugendämter, die bei häuslicher Gewalt regelmäßig in diese Fälle involviert sind, personell viel besser ausgestattet werden müssen. Den Familiengerichten fehlen zum Beispiel Ermittlungshelfer. Polizeiliche Gefährdungseinschätzungen müssten im Verfahren Verwendung finden können, die Zusammenarbeit zwischen Jugendämtern und Familiengerichten neu überdacht werden. Außerdem, auch das ist eine alte Forderung von vielen Seiten, müsste die Richterschaft zum Umgang mit häuslicher Gewalt gesondert geschult werden. Wichtig ist mir ebenfalls, dass entsprechenden Anzeichen oder Vorwürfen sofort nachgegangen wird und dass mit Beginn der Ermittlungen nicht automatisch auch der Umgang ausgesetzt wird. Bis zur Klärung des Sachverhaltes kann viel Zeit vergehen, die immer gegen das Kind und das Verhältnis zum betroffenen Elternteil arbeitet. Auch wenn sich die Vorwürfe als unbegründet erweisen, ist es nach einiger Zeit schwierig, wieder einen vertrauensvollen Umgang aufzubauen. Hier sollte der begleitete Umgang das Instrument der Wahl sein, der aktuell allerdings in sehr wenigen Fällen wirklich durchgeführt werden kann, weil es auch hier an Fachkräften mangelt.

Report: In den Eckpunkten ist davon die Rede, dass „gemeinsame Sorge nicht nur bei Gewalt gegenüber den Kindern, sondern auch bei Partnerschaftsgewalt regelmäßig nicht im Betracht kommt.“ Fordert eine derart einschneidende Regelung nicht geradezu zu „Gewaltmissbrauch“ heraus?

Grundsätzlich ist das der richtige Gedanke, denn auch Kinder, die selbst keine körperliche Gewalt erfahren, aber in einem gewaltgeprägten Umfeld aufwachsen, werden missbraucht und leiden. Trotzdem muss auch hier gelten, dass ohne Beweise und gründliche Ermittlungen niemandem das Sorgerecht entzogen werden darf.

Report: Ein wichtiger Aspekt ist auch die „Stärkung der Kinderrechte“. Demnach sollen Kinder eine eigenes Recht auf Umgang“ erhalten, u.a. mit Großeltern, Geschwistern, anderen Bezugspersonen sowie grundsätzlich auch mit leiblichen Elternteilen. Sicherlich eine sinnvolle Regelung, aber welche Auswirkungen hat sie in der Praxis?

Das familiale System wie die Kinder es von vor der Trennung kennen, bleibt erhalten, sie werden nicht von Menschen getrennt, die ihnen nahe und wichtig sind und mit denen sie auch bisher regelmäßigen Kontakt hatten, zum Beispiel von ihren Großeltern und Geschwistern oder Halbgeschwistern. Ich finde das richtig und ich finde es auch wichtig, dass Kinder in diesen für sie wichtigen Dingen gehört werden sollen. Sie fühlen sich ernstgenommen und erfahren eine gewisse Selbstwirksamkeit. Beachten muss man dabei allerdings, dass sehr junge Kinder leicht manipuliert werden können. Deshalb müssen auch diese Anhörungen von entsprechend ausgebildeten Fachkräften durchgeführt werden und das, was Kinder in diesen Anhörungen sagen, muss Eingang in die Entscheidungsfindung des Gerichts finden. Das Mitentscheidungs- und Widerspruchsrecht für Kinder ab 14 halte ich für richtig.

Report: Nochmals nachgefragt: Wer konkret setzt die Stärkung der Kinderrechte in der Praxis durch?

Die Familiengerichte und die Jugendämter müssen das in der Praxis durchsetzen. Die Kinder sollten grundsätzlich ohne Eltern gehört werden. Das Gesetz gäbe auf jeden Fall den Impuls mehr auf Kinder und deren Gefühle und Bedürfnisse einzugehen.

Report: Welches Fazit kann man ziehen zur angedachten „Modernisierung von Sorgerecht und Umgangsrecht“? Nur alter Wein in neuen Schläuchen oder mehr?

Es ist natürlich mehr. Wer jetzt noch mehr erwartet hat, einen „großen Wumms“ etwa, dem muss ich sagen, dass man das Familienrecht nicht von heute auf morgen vollkommen verändern kann. Veränderungen im Familienrecht kann man nicht mit der Brechstange herbeiführen. Wie in keinem anderen Rechtsgebiet muss man hier die Menschen mitnehmen, denn das Familienrecht hat mehr als alle anderen Rechtsgebiete mit Emotionen zu tun, mehr als jedes andere Rechtsgebiet greift das Familienrecht in unser Innerstes ein. Bei einer Reform des Familienrechts kommt es auch darauf an, gesellschaftliche Entwicklungen und Weiterentwicklungen anzustoßen und vielleicht auch vorwegzunehmen, dies allerdings nicht in zu hohem Maße. Die Reform des Familienrechtes, wie sie in den Eckpunkten beschrieben ist, trägt bereits vollzogenen gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung. Endlich werden alle Familienformen beachtet und man erkennt an, dass beide Eltern viel stärker gemeinsam betreuen wollen, als das noch vor einigen Jahren der Fall war.

Diese Reform kann außerdem einen sehr großen Schub für die Gleichberechtigung der Frau bedeuten und einen großen Schub für die gleichberechtigte Aufteilung der Erziehungsarbeit. Die Selbstbestimmung der Eltern wird viel stärker als bisher geachtet und Artikel 6 Grundgesetz findet endlich viel mehr Beachtung. Ja, diese Reform ist sehr viel mehr als alter Wein in neuen Schläuchen und ich bin überzeugt, dass das eine gute und wichtige Reform ist. Ich bin überzeugt, dass diese Reform wichtig ist für die Entwicklung unserer Gesellschaft.

 

Fragen: Josef Linsler