Nachtrag ISUV-Report Nr. 171: Bürgergeld statt Grundsicherung
Seit dem 01.01.2023 gehört es der Vergangenheit an, das Arbeitslosengeld II, das im Volksmund als Hartz IV bekannt war. Ersetzt wurde es durch das sog. Bürgergeld als ein Teil der von der Ampel im Koalitionsvertrag vereinbarten Sozialreform mit der Erhöhung der Regelbedarfssätze, s. Report Nr. 171, S. 6. Weitere Teile, s. Report Nr. 171, S. 7, waren zwischen der Ampel und der Union als Oppositionspartei bis zuletzt umstritten.
Erst nach dem Beitrag im Report Nr. 171 haben sich die Ampel-Regierung und die Union im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat, Art. 77 Abs. 2 GG, auf einen Kompromiss bei der Sozialreform geeinigt, die zum 01.01.2023 Gesetzeskraft erlangt hat. Dabei musste die Ampel im Vergleich zu ihrem Gesetzentwurf, s. Report 171, S. 6, der Union in drei wesentlichen Punkten entgegenkommen.
1. Vertrauenszeit
Streitpunkt war vor allem die im Gesetzentwurf der Ampel geregelte Vertrauenszeit als Kernelement der Reform. In den ersten sechs Monaten des Bürgergeldbezugs sollten die Betroffenen vor Sanktionen – außer bei hartnäckigen Terminverstößen – geschützt werden, um sie während dieser Zeit bei der Arbeitsplatzsuche weniger unter Druck zu setzen. Erhält der Betroffene trotz fehlender Mitwirkung das Bürgergeld ungekürzt, bleibt sein Untätigsein folgenlos. Unter anderem deswegen hat die Union die Vertrauenszeit abgelehnt; sie ist im neuen Gesetz nicht mehr enthalten. Verweigert ein Leistungsbezieher die Mitwirkung bei der Arbeitsplatzsuche, wird dieses Verhalten vom ersten Tag an sanktioniert. Dabei kann das Bürgergeld im Höchstmaß bis zu 30 % gekürzt werden; die Sanktionen lassen sich rechtfertigen als Ausdruck des Prinzips des Forderns, s. Report Nr. 171, S. 6 ; noch unter Hartz-IV ließ die Ampel ab Mai letzten Jahres die geltenden Sanktionen aussetzen, - sog. Sanktionsmoratorium- um zu testen, ob der Leistungsbezieher bei der Arbeitsplatzsuche genauso mitwirkt – u. a Einhaltung von Terminabsprachen - , wenn er keine Sanktionen zu befürchten hat; als Ergebnis des Tests haben vor der Aussetzung der Sanktionen neun von zehn Betroffenen die sanktionsbewehrten Weisungen des Job-Centers erfüllt, nach deren Wegfall allenfalls noch fünf von zehn, s. Schilling, FAZ- Sonntagszeitung, 27.11.2022, Titelseite. Der Anreiz, sich auf einen Arbeitsplatz vermitteln zu lassen , sank offensichtlich wegen des Ausbleibens von Sanktionen.
2. Karenzzeit
Auf Drängen der Union ist die Karenzzeit für Betroffene, die Arbeit suchen, von ursprünglich zwei Jahren auf ein Jahr herabgesetzt worden. Während dieser einjährigen Karenzzeit dürfen die Betroffenen ihre Wohnung behalten, auch wenn sie eigentlich zu groß ist. Die Angemessenheit der Wohnung wird erst nach einer Karenzzeit von zwölf Monaten geprüft. Ausgenommen hiervon sind die Heizkosten. Die Übernahme dieser Kosten erfolgt stets nur im angemessenen Umfang.
3. Schonvermögen
Zwischen Ampel und Union war der Vermögensfreibetrag von ursprünglich EUR 60.000,00 für den Haushaltsvorstand und in Höhe von jeweils EUR 30.000,00 für weitere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft während der einjährigen Karenzzeit umstritten. Die Union setzte eine Kürzung von EUR 60.000,00 auf EUR 40.000,00 und für jede weitere Person der Bedarfsgemeinschaft von jeweils EUR 30.000,00 auf jeweils EUR 15.000,00 durch. Nach einem Jahr sind nur noch EUR 15.000,00 an Vermögen je Person erlaubt, d.h. dieses Schonvermögen bleibt beim Bürgergeld unverwertbar.
4. Ergänzendes
Ab dem 01.07.2023 tritt die zweite Stufe des Bürgergeldgesetzes in Kraft. Die Freibeträge für alle Erwerbstätigen werden verbessert. Bei einem Einkommen zwischen EUR 520,00 und EUR 1.000,00 bleiben 30 % anrechnungsfrei. Bei jungen Menschen ist ein Hinzuverdienst bis zur Minijob-Grenze von EUR 520,00 aus Schüler- und Studentenjobs, Ausbildungsleistungen sowie sozialen Freiwilligendiensten ungekürzt möglich, d. h. dieser Betrag insgesamt wird von den Sozialleistungen nicht abgezogen.
Die Eingliederungsvereinbarung wird durch einen Kooperationsplan ersetzt. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Betroffenen und den MitarbeiterInnen des Jobcenters ist ein neues Schlichtungsverfahren vorgesehen. Die berufliche Weiterbildung erfährt einen finanziellen Anreiz mit einem monatlichen Weiterbildungsgeld von EUR 150,00 bzw. einer Prämie von EUR 75,00 für bestandene Zwischen- und Abschlussprüfungen. Für Maßnahmen, die der Integration dienen, wird ein Bürgergeldbonus von monatlich EUR 75,00 gezahlt.
Quellen und weitere Informationen: BMFSFJ, "Kabinett beschliesst Entlastungen insbesondere für Familien"; Der Tagesspiegel, v. 23.11.2022, S.1 und S.4; Main-Echo v. 12.01.2023, S. 15