Trennung – Scheidung – Jenseits der Zahlen des statistischen Bundesamtes

Der vielfach prognostizierte Anstieg von Scheidungen auf Grund von Corona blieb jedenfalls im Corona-Jahr 2020 aus.  „Wir beobachten eine Verunsicherung auf Grund von Corona. Die ökonomisch sicheren familiären Strukturen werden höher geschätzt, dafür werden sozial-emotionale Defizite in Kauf genommen“, stellt Klaus Zimmer, ISUV-Vorsitzender und Rechtsanwalt fest. Im Durchschnitt waren Scheidungspaare 14 Jahre und acht Monate verheiratet.  Der Anteil der streitigen bis hochstreitigen langwierigen Scheidungen liegt weiterhin bei 17,1 Prozent. Von der Scheidung der Eltern sind 119100 minderjährige Kinder betroffen. „Die Kinder sind die eigentlichen Leidtragenden einer Scheidung. Für die Erwachsenen bedeutet die Trennung auch Chance zum Neuanfang“, hebt Zimmer hervor.  

„Unser Fokus ist auf das Kindeswohl gerichtet“, betont Zimmer. „Als Anwalt erfahre ich immer wieder, Kinder erleben Scheidung der Eltern meist als schmerzlichen Einschnitt, den manche schwer verwinden, insbesondere wenn damit auch der Verlust eines Elternteils verbunden ist“, merkt Zimmer an. Für Kinder bedeute Scheidung vielfach Armut, Schulversagen, Angst, Statusschock, Neuanfang in einer neuen Umgebung, Verlust von Freunden, emotionale Vernachlässigung, weil die Eltern mit sich selbst oder mit der neuen Partnerschaft beschäftigt sind. Zimmer fordert deswegen: „Noch mehr Engagement für gemeinsame gelebte Elternschaft nach der Trennung seitens des Jugendamts, der Justiz und der Eltern ist notwendig.“  

Hintergrund der Scheidungszahlen sind grundlegende Veränderungen im Paarverhalten. „Es wird weniger geheiratet, daher gibt es auch weniger Scheidungen. Die häufigen Trennungen von unverheirateten Partnerschaften werden statistisch nicht erfasst. Wir beobachten im Verband, dass sich Scheidungsverläufe, Scheidungsverhalten und Scheidungskonflikte verändern“, stellt ISUV-Pressesprecher Josef Linsler fest.  

Grundsätzlich sei eine „Zunahme zu einvernehmlichen Regelungen“ festzustellen. „Hierzu leistet ISUV in den 70 Kontaktstellen einen vielfach zu wenig beachteten wichtigen Beitrag, indem die Aktiven mäßigend auf Betroffene einwirken und versuchen die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen“, hebt Linsler hervor.

Immer häufiger einigen sich Betroffene deswegen und regeln mittels Scheidungsvereinbarung alle Probleme im Vorfeld eigenständig und einvernehmlich. Immer öfter gehen sie dann mit einem gemeinsamen Scheidungsanwalt zum Familiengericht.

„Ein Thema ist immer kostengünstige Scheidung. Wenn schon die Beziehung gescheitert ist, dann möchte man dafür auch nicht noch zahlen müssen. Über die Scheidungskosten besteht ein indirekter Druck sich zu einigen.“ (Linsler). 

In der Statistik werden die Trennungen von nichtehelichen Lebensgemeinschaften nicht erfasst. „Hohes Konfliktpotential haben diese Trennungen, wenn kleine Kinder involviert sind, dem Vater der Umgang verweigert wird und die Mutter zum Kindesunterhalt noch Betreuungsunterhalt fordert. Dieses Konfliktfeld hat erheblich zugenommen entsprechend der Zunahme von nichtehelichen Lebensgemeinschaften“, stellt Josef Linsler fest.  

Soziale Medien haben das Trennungs- und Scheidungsverhalten geradezu „revolutioniert“ und „verroht“. Nicht selten wird im sicheren Ehehafen auf Facebook oder in einem Dating Portal die Trennung vorbereitet, nach „Alternativen“ – nach „etwas Besserem“ - gesucht und auch „leicht“ gefunden. „Interessant wäre eine Statistik dazu, wie lange via Internet gestiftete Ehen halten. Nach unseren Erfahrungen haben sie eine geringe Haltbarkeit, denn das reale Leben und das virtuelle Erleben sind mehrfach nicht deckungsgleich.“(Linsler)

Trennungen vollziehen sich schneller und anonymer. „Es gibt völlig überraschende Trennungen per WhatsApp, Mail, teils nur ein Satz. Ein derartiges Verhalten zerstört das Urvertrauen des verlassenen Partners. Es gibt männliche und weibliche Mitglieder, die sich davon auch nach Jahren nicht erholt, einen gesunden Optimismus wiedergefunden haben und somit keinen Neuanfang wagen können“, stellt Linsler fest.