Umgang – vereitelter Umgang – Manipulation – Kindeswille – Kindeswohl

Ein Jahr, drei Umgangsverfahren vor dem Oberlandesgericht, drei Mal faktisch das gleiche Ergebnis: Umgangsausschluss nach Umgangsverweigerung. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Praxis. Denn es gibt natürlich unzählige Kindschaftsverfahren jedes Jahr.

Juristische Rahmenbedingungen

Viel hat sich in den letzten Jahren geändert: Soziale Eltern erhalten Umgang, Umgang bedeutet inzwischen auch Betreuung und nicht nur Freizeitgestaltung, erweiterter Umgang und Wechselmodell können auch im Streitfall vom Gericht angeordnet werden. Ebenfalls neu ist die sogenannte „parallele Elternschaft“. Hierbei handelt es sich streng genommen nicht um eine neue Form der Elternseins, sondern um die strikte Anwendung des Gesetzes. Aber sie lässt zu, dass auch hochstrittige Eltern nicht nur das gemeinsame Sorgerecht weiterhin ausüben können, sondern selbstverständlich auch in diesen Fällen kein Grund besteht, den Umgang einzuschränken.

Verlust des Kindes – Verlust eines Elternteils

Aber machtlos ist die Justiz offensichtlich immer noch in Fällen, in denen der betreuende Elternteil mit aller Macht den Umgang zwischen Kind und dem anderen Elternteil verweigert, das Kind – ggf. auch unbewusst – manipuliert und es, oft nach vielen Jahren gerichtlicher Verfahren, dazu kommt, dass das Kind den Wunsch äußert, in Ruhe gelassen zu werden und den umgangsbegehrenden Elternteil nicht mehr sehen zu wollen. Und das ist, viel zu selten wird das mal deutlich ausgesprochen, das Schlimmste, was einem Elternteil passieren kann: Er verliert sein Kind. Es ist für Männer ebenso schlimm wie für Frauen. Juristisch wird von „Umgang“ und den Möglichkeiten der Umsetzung durch Anordnung von Maßnahmen gesprochen.

Zwischenmenschlich bedeutet diese Situation aber für den Elternteil, dessen Umgangsrecht ausgeschlossen wird, dass er sein Kind verloren hat und auf absehbare Zeit nicht mehr sehen wird. Umgekehrt verliert das Kind einen Elternteil. Die Zeit, die verloren geht, wird nie mehr aufzuholen sein. Sie ist auch nicht mehr rückgängig zu machen. Und wenn das Kind irgendwann mal in die Akten schauen würde, um herauszufinden, warum es den verloren gegangenen Elternteil nicht mehr sehen durfte, wird es dort lesen, dass es angeblich sein eigener Wille war, dass es diese Entscheidung, dessen Folgen ein Kind gar nicht erfassen kann, selbst getroffen hat.

Der Verlust: gesundheitliche und wirtschaftliche Folgen

Der Verlust einer Bindungsperson kann gesundheitliche Folgen haben. Das dürfte inzwischen bekannt sein. Nichts anderes wird zu erwarten sein, wenn Kinder erfahren, dass sie selbst für den Verlust verantwortlich gemacht werden, weil sie irgendwann diesen Willen geäußert haben, dieser Wille aber manipuliert ist. Wenn sie erfahren, dass das Bild, das sie von dem einen Elternteil hatten, falsch ist. Dass der Elternteil unter Umständen ganz anders ist, als durch die Augen des betreuenden Elternteils gesehen.

Die Zahl der psychischen Erkrankten steigt. Psychische Erkrankungen und deren finanzielle Auswirkungen sind ein breit diskutiertes gesellschaftliches Thema. Gerade noch hatte der Verband der Kinderpsychiater Alarm geschlagen: während der Coronapandemie konnten Kinder und Jugendliche wegen fehlender Kapazitäten zum Teil nicht stationär versorgt werden. Psychische Erkrankungen können langwierig und schlimm sein. Sie bedürfen der Behandlung. Nicht selten führen sie bei Erwachsenen zur Erwerbsunfähigkeit. Wir kennen das Thema aus den Unterhaltsverfahren. Die Betroffenen beziehen dann Erwerbsunfähigkeitsrente. Die Erwerbsunfähigkeitsrente wird von der Deutschen Rentenversicherung gezahlt. Fast alle Bundesbürger zahlen ihre Rentenversicherungsbeiträge in die DRV ein. Von diesen Beträgen wiederum werden die Renten gezahlt. Letztlich sind also, wenn schon der zwischenmenschliche Aspekt nicht hinreichend zielführend zu sein scheint, doch zumindest wirtschaftliche Aspekte zu bedenken.

1. Die Verfahren

In den drei eingangs erwähnten Kindschaftsverfahren, die jeweils vor dem OLG Oldenburg geführt worden sind, ging es Elternteile, die Umgang mit ihren Kindern begehrten. Selbstverständlich unterscheiden sich die Fälle in ihren Einzelheiten. Doch immanent war, dass es erhebliche zwischenmenschliche Konflikte auf der Elternebene gab und zunächst jeweils erfolgreich vor den Familiengerichten erster Instanz Umgangstitel erstritten worden waren.

Es scheiterte dann aber an der Umsetzung. Denn eine Vollstreckung war jeweils nicht möglich. Die Kinder hatten ihren Lebensmittelpunkt jeweils bei der Mutter. Die Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen blieb erfolglos. Oft hat diese Maßnahme zur Folge, dass sich die Situation noch verschärft. Die Kinder erfahren meistens von der Androhung von Ordnungsmitteln (Zwangsgeld und Ersatzweise Ordnungshaft). Das hat in der Regel zur Folge, dass die Kinder noch ablehnender gegenüber demjenigen stehen, der Umgang begehrt.

In den drei Fällen jedenfalls kam es im Laufe der über mehrere Jahre dauernden Verfahren (zunächst vor dem jeweils zuständigen Amtsgericht, dann vor dem OLG) zu Gewaltvorwürfen und Vorwürfen von sexuellen Übergriffen. Ob die Vorwürfe der Richtigkeit entsprachen, konnte nicht aufgeklärt werden. Jedenfalls in zwei Fällen äußerte der jeweilige Sachverständige, dass es darauf aber auch nicht ankäme, weil die Kinder inzwischen unabhängig von tatsächlich ausgeübter Gewalt Angst vor dem Vater hätten.
In einer Entscheidung des OLG Oldenburg zu dem Aktenzeichen 4 UF 2/22 heißt es beispielsweise, dass die Einschränkung oder Ausschluss des Umgangsrechts in Betracht komme, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Schutz des Kindes dies erfordert, um eine Gefährdung seiner seelischen und körperlichen Entwicklung abzuwehren. Es sei das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger zu berücksichtigen. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass das Kind mit der Kundgabe seines Willens von seinem Recht auf Selbstbestimmung Gebrauch macht und seinem Willen mit zunehmendem Alter vermehrt Bedeutung zukommt.

Ein gegen den ernsthaften Widerstand des Kindes erzwungener Umgang könne durch die Erfahrung der Missachtung der eigenen Persönlichkeit erzwungener Umstände mehr Schaden verursachen als Nutzen bringe. Selbst ein auf einer bewussten oder unbewussten Beeinflussung beruhender Wunsch könne beachtlich sein, wenn er Ausdruck echter und damit schützenswerter Bindungen sei. Das Außerachtlassen des beeinflussten Willens sei daher nur dann gerechtfertigt, wenn die manipulierten Äußerungen des Kindes den wirklichen Bindungsverhältnissen nicht entsprächen. Folge dieser Einschätzung ist in der Regel der Umgangsausschluss für den Umgang begehrenden Elternteil.

2. Die Kritik

Es wäre einfach, nur Kritik zu äußern. Denn es handelt sich bei den erwähnten Kindschaftsverfahren nicht um Einzelfälle, sondern um sich wiederholende Muster. Und diese Muster sind schädlich. Dabei geht es nicht nur um die Gesundheit der Beteiligten der jeweiligen Verfahren.

Geschädigt werden auch die Opfer von sexuellen Übergriffen und Gewalttaten. Immer dann, wenn in Umgangsverfahren nur deshalb auf diese Schlüsselbegriffe zurückgegriffen wird, um Umgang zu verhindern, wird tatsächlichen Opfern geschadet. Den Opfern, denen tatsächlich beispielsweise ein sexueller Übergriff widerfahren ist, wird wegen solcher Muster erst mal nicht oder doch wenigstens nur eingeschränkt geglaubt. Wie soll das auch noch unterschieden werden können. Gerade, wenn es um Kinder geht, bei denen man nachher nicht mehr weiß, ob eine Tat eine echte Erinnerung ist oder quasi von Außen eingetrichtert worden ist.

Warum lässt der Staat das zu? Warum tut er nichts gegen die Umgangsverweigerer? Warum hilft er denjenigen nicht, die alles versuchen, ihre Kinder wiederzusehen und denen nichts vorzuwerfen ist? – Das sind Fragen, die jedem Anwalt/jeder Anwältin, die Kindschaftssachen machen, immer wieder gestellt werden und die nicht beantwortet werden können. Denn die Verfahren kranken an verschiedenen Stellen. Und an jeder Einzelnen befinden sich Stellschrauben.

Vorrangig müssen folgende Punkte geändert bzw. geregelt werden:

  • effektive Möglichkeiten der Zwangsvollstreckung gegen den Umgangsverweigerer,
  • Einführung anderweitiger staatlicher (!) Sanktionen,
  • Sachverständigengutachten oder Untersuchungen, die die Bedeutung des Kindeswillen ins Verhältnis zu den späteren langfristigen Folgen des Verlusts einer Bindungsperson oder des Erkennens eines manipulierten Willens setzen,
  • einen über Umgangsbegleitung hinausgehenden effektiven Maßnahmenkatalog – beispielsweise in § 1666 BGB.

3. Was müssen die Betroffenen beachten?

Da es jedenfalls im Moment noch keine zufriedenstellende anderweitige Lösung gibt, sollten Eltern im Falle einer Trennung sowohl zum Wohle des Kindes und zu auch in ihrem eigenen Interesse alles versuchen, miteinander im Gespräch zu bleiben. Das mag schwierig sein, verletzend und anstrengend. Aber es lohnt sich. Die Betroffenen sollten sich rechtzeitig Hilfe suchen. Einige Kontaktstellen des ISUV bieten Gesprächstermine an.

Wenn das nicht funktioniert, dann ist schnelles Handeln erforderlich. Denn je länger das Kind den Kontakt zu einem verliert, desto schneller besteht die Gefahr, dass es – bewusst oder unbewusst – manipuliert wird. Die Betroffenen sollten sich sofort an einen Anwalt/eine Anwältin wenden. Zwar besteht in Kindschaftsverfahren kein Anwaltszwang, §§ 114 Abs. 1, 111 FamFG. Aber gerade bei persönlicher Betroffenheit hilft es, wenn die Kommunikation versachlicht wird und gerichtliche Verfahren so kurz wie möglich gehalten werden. Manchmal bietet es sich außerdem an, ein Eilverfahren durchführen zu lassen, § 49 FamFG. Es wird dann vorläufig eine Regelung getroffen, aus der dann auch schon vollstreckt werden kann. Parallel dazu kann ein Hauptsachverfahren auf Regelung des Umgangs eingeleitet werden, in dem dann z.B. auch Sachverständigengutachten eingeholt werden.

Verfahrensrechtliche Voraussetzung für die Einleitung von Kindschaftsverfahren ist es, zuvor das Jugendamt kontaktiert zu haben. Die Umgangsregelungen, die dort getroffen oder angeboten werden, sind aber keine vollstreckungsfähigen Titel. Und da Zeit bei Kindschaftsverfahren wertvoll ist, sollten auch die Gespräche beim Jugendamt in Streitfällen kurz gehalten werden. Wenn es da nicht weitergeht, bedarf es weiterer Schritte.