Unterhaltspflichtige und Hartzer - zweierlei Maß: Schonfrist für Harzer - Aussetzung von Hartz-IV-Sanktionen

Nach den Plä­nen der Ko­ali­ti­on hat der Bun­des­tag ein Ge­setz ver­ab­schie­det, mit dem die Hartz-IV-Sank­tio­nen bei Pflicht­ver­let­zun­gen bis Mitte 2023 aus­ge­setzt wer­den. Nicht nur die Union, sondern auch Unterhaltspflichtige kritisieren die Regelung. Die Ampel gab ohne Not das Prin­zip von För­dern und For­dern auf, obwohl sich auch Arbeits­agen­tu­ren dagegen ausgesprochen hatten. „In jedem Fall wird ein falsches Signal gegeben. Der Druck auf Unterhaltspflichtige ist groß zumindest den Mindestunterhalt für die Kinder zu erarbeiten. Kann ein Unterhaltspflichtiger den Mindestunterhalt nicht aufbringen, so wird ihm oft ein fiktives Einkommen angerechnet. Das heißt, er hat in einem weiteren Job so viel Geld zu verdienen, dass er den Mindestunterhalt zahlen kann“, stellt die stellvertretende ISUV-Vorsitzende, Rechtsanwältin Maren Waruschewski fest.

In dieser sozialen Lage steckt dieses ISUV-Mitglieds: "Mir wird ein fiktives Einkommen angerechnet, das ich angeblich an der Tankstelle erzielen kann. Mein Einkommen von 1680 EURO reicht nicht für den Mindestunterhalt von zwei Kindern im Alter von 12 und 14 Jahren.“ Insbesondere Unterhaltspflichtige, denen vom Lohn nur der Selbstbehalt bleibt oder die auch noch einen Nebenjob leisten müssen, fühlen sich ungerecht behandelt. Das sind keine Einzelfälle, sondern immer mehr voll erwerbstätige Unterhaltpflichtige haben im Monat nicht mehr als 1160 EURO zur Verfügung, davon müssen Wohnung und alle existentiellen Bedürfnisse befriedigt werden. „Wer Kinder erzieht, wer voll erwerbstätig ist, muss einfach erheblich mehr Geld zur Verfügung haben. Unterhaltspflichtige, die Kinder betreuen, haben einen höheren Bedarf. Erwerbstätige Unterhaltspflichtige auf die Stufe von nichterwerbstätigen Hartz IV-Leistungsempfängern zu drücken, ist empathielos, wenig motivierend. Deswegen wird von Betroffenen inzwischen öfter die Berufstätigkeit in Frage gestellt“, kritisiert die ISUV-Vorsitzende Melanie Ulbrich.

„Hartzer von Verpflichtungen und entsprechenden Sanktionen freizustellen und gleichzeitig Unterhaltspflichtige die Strenge des Gesetzes spüren lassen, das ist sozial unausgewogen. Der Ärger ist verständlich und berechtigt“, stellt ISUV-Pressesprecher Josef Linsler fest.

Bisher galten folgende Verpflichtungen und entsprechende Sanktionen für Hartzer: Wer ohne wichtigen Grund einen Termin beim Jobcenter versäumte, dem wurde die Regelleistung – derzeit 449 Euro – um zehn Prozent gekürzt. Wer ein zumutbares Arbeitsverhältnis abbrach, musste mit einer Kürzung von 30 Prozent rechnen. Unter 25-Jährigen wurde die Regelleistung komplett gestrichen.

„Ist es gerecht, wenn ein Hartz IV Bezieher Leistungen erhält, ohne Verpflichtungen und ohne Sanktionen befürchten zu müssen, während ein Unterhaltspflichtiger empathielos von sehr gut bezahlten Oberrichtern gegängelt wird?“ fragt ein ISUV-Mitglied und sandte uns dieses „frische“ Urteil  - Beschluss vom 09.02.2022 - 7 UF 196/21 – zu.

Tatsächlich tragen die Bamberger Oberrichter – exemplarisch für die gängige Rechtsprechung -  in diesem „Beschluss“ einem Leiharbeiter alle Verpflichtungen auf, die er als Unterhaltspflichtiger zu erfüllen hat. „Nach unseren Erfahrungen wird er diese mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erfüllen können. Zu den jetzt schon aufgelaufenen Unterhaltsschulden werden neue hinzukommen, bis der Betroffene resigniert, weil er keinen Ausweg aus den Schulden sieht.“ (Linsler)

Folgende Verpflichtungen hat der unterhaltspflichtige Leiharbeiter nach Auffassung der Richter des Bamberger Oberlandesgerichts zu erfüllen:

  • „Die für den Unterhaltsanspruch vorausgesetzte Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen wird nämlich nicht allein durch sein tatsächlich vorhandenes Einkommen bestimmt, sondern auch durch seine Erwerbsfähigkeit. Reichen seine tatsächlichen Einkünfte nicht aus, so trifft ihn die Obliegenheit, die ihm zumutbaren Einkünfte zu erzielen, insbesondere seine Arbeitsfähigkeit so gut wie möglich einzusetzen und eine ihm mögliche Erwerbsfähigkeit auszuüben.“…

  • „Auch seine Ausführungen zu etwaigen medizinischen Gründen sind unzureichend. Der Antragsgegner hätte substantiiert darlegen müssen, aufgrund welcher medizinischen Einschränkungen er nicht in der Lage ist, eine weitergehende Berufstätigkeit auszuüben. Erst im Weiteren wäre dann zu prüfen gewesen, inwieweit berufsbedingte Aufwendungen und übermäßige Umgangskosten einkommensmindernd zu berücksichtigen sind.“…

  • „Für die ordnungsgemäße Erfüllung dieser Pflichten ist der Unterhaltsverpflichtete darlegungs- und beweisbelastet. Um den Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast zu genügen, muss er in nachprüfbarer Weise vortragen, welche Schritte er im Einzelnen unternommen hat.“…

  • „Ein verschärft haftender Unterhaltspflichtiger hat sich intensiv, also unter Anspannung aller Kräfte und Ausnutzung aller vorhandenen Möglichkeiten um die Erlangung eines hinreichend entlohnten Arbeitsplatzes zu bemühen. Er muss alle verfügbaren Mittel für den Unterhalt seiner Kinder verwenden, alle Erwerbsmöglichkeiten ausschöpfen und auch einschneidende Veränderungen in seiner eigenen Lebensgestaltung in Kauf nehmen, um ein die Zahlung des Mindestunterhalts sicherstellendes Einkommen zu erzielen. Bei eigener Arbeitslosigkeit hat sich der Pflichtige durch intensive Suche um eine Stelle zu bemühen. Bei Arbeitsstellen mit geringem Einkommen ist entweder eine neue Arbeitsstelle oder eine weitere Beschäftigung zu suchen, um zusätzliche Mittel zu erlangen, etwa ergänzende Gelegenheits- und Aushilfstätigkeiten.“…

Die Handlungsmaximen der Richter des OLG Bamberg sind gängige Rechtsprechung, abgesichert vom Bundesgerichtshof. „Im Sozialrecht und im Unterhaltsrecht wird mit zweierlei Maß gemessen. Es ist ungerecht und auch nicht vermittelbar, dass vollerwerbstätige Elternteile rücksichtslos ausgesaugt und in die Pflicht genommen werden, während nichterwerbstätige Menschen, die auf Kosten der Steuerzahler leben, von selbstverständlichen Pflichten entbunden werden“, kritisiert ISUV-Vorsitzende Melanie Ulbrich.