Betreuungsunterhalt - BVerfG - 28.02.2007

Urteil 113 a
Betreuungsunterhalt
BVerfG, Beschluss vom 28.02.2007 €“ 1 BvL 9/04 -, Art. 6 V GG, Art. 6 II GG, § 1570 BGB, § 1615 l II, 3 BGB, FamRZ 2007, 965
(Suchworte: Unterhalt, Unterhaltsanspruch, Betreuungsunterhalt, Dauer des Betreuungsunterhalts, eheliche Kinder, nichtehelich geborene Kinder)
mitgeteilt von RA Georg Rixe, Bielefeld, Fachanwalt für Familienrecht
FamRZ 2007, S. 965
::Leitsätze::
# Es verstößt gegen Art. 6 V GG, die Dauer eines Unterhaltsanspruchs, den der Gesetzgeber einem Elternteil wegen der Betreuung seines Kindes gegen den anderen Elternteil einräumt, für eheliche und nichteheliche Kinder unterschiedlich zu bestimmen.
# Es verstößt nicht gegen Art. 6 II GG, dass der Gesetzgeber den Betreuungsunterhalt für nichtehelich geborene Kinder auf in der Regel drei Jahre begrenzt.
# Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31.12.2008 eine verfassungsmäßige Neuregelung zu treffen.
I. Folgender Sachverhalt lag zu Grunde:
Das BVerfG hatte auf Grund einer Vorlage des OLG Hamm (FamRZ 2004, 1893) zu entscheiden, ob die unterschiedliche Regelung der Dauer des Unterhaltsanspruchs für die Betreuung ehelicher und außerehelich geborener Kinder verfassungsgemäß ist. Im Ausgangsfall verlangte eine unverheiratete Mutter von dem Vater Unterhalt für die Betreuung des gemeinsamen vierjährigen Kindes. Nach § 1615 l II, 3 BGB endet dieser Unterhaltsanspruch im Regelfall spätestens drei Jahre nach der Geburt des Kindes, sofern es nicht insbesondere unter Berücksichtigung der Belange des Kindes grob unbillig wäre, einen Unterhaltsanspruch zu versagen. Dieser Unterhaltsanspruch ist deutlich schwächer ausgestaltet als der Betreuungsunterhaltsanspruch eines geschiedenen Elternteils. Nach § 1570 BGB kann dieser Unterhalt von dem früheren Ehegatten verlangen, so lange und so weit von ihm wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Nach herrschender Rechtsprechung besteht bis zum Alter eines Kindes von acht Jahren für den betreuenden Elternteil keine Arbeitsverpflichtung. Der BGH hatte noch in seinem Urteil vom 05.07.2006 (FamRZ 2006, 1362) § 1615 l BGB bei verfassungskonformer Auslegung für verfassungsgemäß gehalten. Dem folgte das BVerfG in seiner Entscheidung ausdrücklich nicht. Es sah die unterschiedliche Regelung der Dauer des Unterhaltsanspruchs von kinderbetreuenden Elternteilen als mit dem Grundgesetz unvereinbar an, da sie gegen das Gebot in Art. 6 V GG verstoße, nichtehelichen Kindern gleiche Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung zu verschaffen wie ehelichen Kindern. Andererseits ist die generelle Befristung des Betreuungsunterhaltsanspruchs für außerehelich geborene Kinder auf drei Jahre gem. § 1615 l II, 3 BGB verfassungsgemäß. Das BVerfG setzte dem Gesetzgeber zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes, für die mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, eine Frist bis zum 31.12.2008. Die bisherige Rechtslage bleibt bis zu einer Neuregelung gültig.
Die Entscheidung des BVerfG erging mit 7:1 Stimmen.
II. Das BVerfG begründet seine Entscheidung wie folgt:
# Der Gesetzgeber hat durch die unterschiedliche Regelung der Betreuungsunterhaltsansprüche gegen das in Art. 6 V GG enthaltene Verbot einer Schlechterstellung nichtehelicher Kinder gegenüber ehelichen Kindern verstoßen. Denn Art. 6 V GG untersagt, mit zweierlei Maß zu messen und bei ehelichen Kindern eine erheblich längere persönliche Betreuung für erforderlich zu halten als bei nichtehelichen Kindern. Wie viel ein Kind an persönlicher elterlicher Betreuung bedarf, richtet sich nicht danach, ob es ehelich oder nichtehelich geboren ist. Die unterschiedliche Behandlung rechtfertigt sich weder durch unterschiedliche soziale Situationen der Kinder, durch Unterschiede in den Beziehungen ihrer Eltern, noch dadurch, dass bei geschiedenen Ehegatten eine nacheheliche Solidaritätspflicht besteht und Ansprüche begründen kann, die nicht Verheirateten nicht zustehen.
** Die Ungleichbehandlung der Betreuungsunterhaltsansprüche rechtfertigt sich zunächst nicht durch unterschiedliche soziale Situationen, in denen sich die Kinder befinden. Denn die tatsächlichen Lebensbedingungen von ehelichen Kindern geschiedener Eltern und nichtehelichen Kindern unterscheiden sich prinzipiell nur unwesentlich. Der betreuende Elternteil ist jeweils auf die Sicherstellung seines Unterhalts angewiesen, wenn er das Kind persönlich betreuen und deshalb keiner Erwerbstätigkeit nachgehen will.
** Auch die große Bandbreite unterschiedlicher Lebensgestaltungen, die im Gegensatz zu verheirateten Eltern bei nicht verheirateten Eltern anzutreffen ist, kann die ungleiche Dauer der Unterhaltsansprüche kinderbetreuender Elternteile nicht rechtfertigen. Denn Art. 6 V GG bezweckt gerade die Gleichstellung von Kindern, deren Eltern keine Verantwortung füreinander übernommen haben mit solchen Kindern, die aus einer Ehe hervorgegangen sind. Der Unterhaltspflichtige wird vom Gesetz nicht wegen des anderen Elternteils, sondern wegen des Kindes in Anspruch genommen, damit dieses persönlich betreut werden kann. Die unterschiedliche Art nichtehelicher Beziehungen führt auch nicht zu einer unterschiedlichen Elternverantwortung gegenüber dem Kind. Sie umfasst die Sicherstellung der Betreuung des Kindes durch Zahlung von Unterhalt an den betreuenden Elternteil.
** Die unterschiedliche Dauer der Unterhaltsansprüche rechtfertigt sich nach Auffassung des BVerfG schließlich auch nicht dadurch, dass nur bei geschiedenen Ehegatten eine nacheheliche Solidarität besteht und Ansprüche begründen kann, die nicht Verheirateten nicht zustehen.
++ Zwar ist es wegen des Schutzes der Ehe nach Art. 6 I GG nicht ausgeschlossen, einen geschiedenen Elterteil unterhaltsrechtlich besser zu stellen als einen unverheirateten Elternteil, was sich mittelbar auch auf die Lebenssituation der beim betreuenden Elternteil lebenden Kinder auswirken kann. Räumt der Gesetzgeber dem geschiedenen Ehegatten aber einen Unterhaltsanspruch allein wegen der persönlichen Betreuung des gemeinsamen Kindes ein, verbietet Art. 6 V GG, die Dauer der für notwendig erachteten persönlichen Betreuung beim ehelichen Kind anders zu bemessen als bei einem nichtehelichen Kind.
++ Der BGH vertrat allerdings die Auffassung, dass der Unterhaltsanspruch gem. § 1570 BGB nicht allein wegen der Betreuung eines ehelichen Kindes eingeräumt worden ist, sondern darüber hinaus dem Vertrauensschutz des geschiedenen Ehegatten dient, dem eine längere Zeit eingeräumt werden soll, sich wieder in das Berufsleben einzufinden. Dem widersprach jedoch das BVerfG, weil diese Auslegung im Gesetz keine Stütze findet. Da die Rechtsprechung die Unterhaltsdauer ausschließlich am Alter der Kinder ausrichtet, ist dieses kein tauglicher Maßstab für die Bestimmung, wie lange einem Elternteil wegen seines Vertrauens auf die während der Ehe übernommene Betreuung des Kindes Unterhalt gewährt werden soll. Art. 6 V GG verbietet vielmehr, gerade allein unter Bezugnahme auf die Ehe und damit auf ihre nachwirkende Solidarität, nichteheliche Kinder anders zu behandeln als eheliche Kinder.
# Nach der Entscheidung des BVerfG verletzt dagegen die zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs gem. § 1615 l II, 3 BGB auf in der Regel drei Jahre nicht das Elternrecht des Art. 6 II GG. Es unterliegt einerseits der Einschätzungskompetenz des Gesetzgebers, wie lange er es aus Kindeswohlgründen für erforderlich und dem unterhaltspflichtigen Elternteil zumutbar erachtet, die persönliche Betreuung des Kindes durch einen Elternteil durch Gewährung eines Unterhaltsanspruchs zu ermöglichen. Zum anderen hat jedes Kind ab dem dritten Lebensjahr einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz. Es ist deshalb eine vertretbare Einschätzung des Gesetzgebers, den betreuenden Elternteil nicht länger von seiner Erwerbsobliegenheit zu entbinden, weil er unter Auswertung wissenschaftlicher Studien davon ausgegangen ist, dass eine Betreuung des Kindes im Kindergarten diesem nicht abträglich ist, sondern wichtige Kompetenzen des Kindes fördert.
III. Fazit
Die Entscheidung des BVerfG ist zu begrüßen. Sie verwirklicht in einem weiteren Bereich des Familienrechts die strikte Gleichstellung von ehelichen und außerehelich geborenen Kindern. Der Beschluss bestätigt darüber hinaus in maßgeblichen Punkten die vom Verfasser für den Verband ISUV/VDU erarbeitete Stellungnahme im Verfahren vor dem BVerfG.
# Ausgangspunkt des Verbandes ist die Grundannahme, dass der Umfang der Betreuungsbedürftigkeit von Kindern nicht davon abhängig ist, ob die Eltern verheiratet waren oder nicht. Er hat sich deshalb für eine Angleichung der Betreuungsunterhaltsansprüche ausgesprochen, allerdings nicht auf dem Niveau, das von der Rechtsprechung für geschiedene Ehegatten entwickelt wurde. Der Verband hat deshalb beanstandet, dass die Rechtsprechung beim Unterhalt nach § 1570 BGB zu geringe Anforderungen an die Erwerbsobliegenheit eines betreuenden Elternteils stellt. Sie entspricht heutzutage nicht mehr dem tatsächlichen Erziehungsverhalten von betreuenden Eltern. Die früher dominierende Hausfrauenehe ist mittlerweile der Doppelverdienerehe mit zeitweiliger Unterbrechung der Berufstätigkeit wegen der Kinderbetreuung gewichen. Deshalb kann bereits während der Betreuung des Kindes im Kindergarten regelmäßig eine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden. Soweit die anders lautende Rechtsprechung demzufolge für den Umfang der Erwerbsobliegenheit maßgeblich auf die nacheheliche Solidarität und nicht auf die Betreuungsbedürftigkeit von Kindern abstellt, ist dies nicht gerechtfertigt. Die Solidaritätsverpflichtung unter geschiedenen Ehegatten kann nur beim Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 II BGB und bei der Bemessung des Bedarfs gemäß § 1574 BGB berücksichtigt werden. Das BVerfG beanstandete ebenfalls die Rechtsprechung des BGH, weil sie insoweit im Gesetz keine Stütze finde.
+ Der Verband hat des Weiteren nachdrücklich die Auffassung vertreten, dass die grundsätzliche Begrenzung des Betreuungsunterhalts gemäß § 1615 l II, 3 BGB auf drei Jahre nach der Geburt des Kindes nicht verfassungswidrig ist, weil es dem Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers unterliegt, das Maß der Betreuungsnotwendigkeiten von Kindern zu bestimmen. Die Annahme des Gesetzgebers, die Entwicklungsbedürfnisse des Kindes erforderten nur bis zum dritten Lebensjahr eine ganztägige persönliche Betreuung durch einen Elternteil, ist vertretbar, weil danach regelmäßig geeignete institutionelle und/oder private Betreuungsmöglichkeiten in Anspruch genommen werden können. Sie entspricht auch der gesellschaftlichen Realität und dem aktuellen Forschungsstand zur sachgerechten Förderung von Kindern. Das BVerfG ist dieser Position im vollen Umfang gefolgt und hat durch seine Entscheidung dem Reformgesetzgeber ermöglicht, den Betreuungsunterhalt auch für ehelich geborene Kinder auf das Maß des § 1615 l II BGB abzusenken.
# Der Beschluss des BVerfG wurde zwei Tage vor der geplanten Verabschiedung des Unterhaltsrechtsänderungsgesetzes veröffentlicht und stoppte damit zunächst das Gesetzgebungsverfahren (vgl. zum Gang der Reform: Willutzki, ISUV Report 2006, Nr. 109, S. 5 ff.~ Willutzki, ISUV Report 2007, Nr. 112, S. 4, 8 ff.~ Salchow, ISUV Report 2007, Nr. 112, S.11 ff.). Denn es war offenkundig, dass der zwischen den Koalitionsfraktionen am 22.03.2007 ausgehandelte Kompromiss bereits im Hinblick auf den zeitlichen Umfang der Betreuungsunterhaltsansprüche für eheliche und außerehelich geborene Kinder nicht mehr aufrecht zu erhalten war. Diese Regelungen waren zwar aneinander angenähert worden, aber nicht deckungsgleich, wie es das BVerfG gefordert hatte. Sachgerecht erscheint demnach eine gesetzliche Neuregelung, die die Erwerbsobliegenheit eines Elternteils von der Betreuungsbedürftigkeit des Kindes und den zur Verfügung stehenden Betreuungsmöglichkeiten abhängig macht, wobei das Kind regelmäßig ab dem dritten Lebensjahr keiner ganztägigen Betreuung durch einen Elternteil mehr bedarf.
+ Der Spruch aus Karlsruhe hat darüber hinaus Auswirkungen auf die rechtspolitisch heftig umstrittene Frage des Rangverhältnisses des Betreuungsunterhalts für nichteheliche Kinder. Während der Gesetzesentwurf des BMJ ursprünglich eine Gleichbehandlung aller kinderbetreuenden Elternteile im Mangelfall vorsah, wurde in dem kritikwürdigen Koalitionskompromiss dem Betreuungsunterhalt des verheirateten oder geschiedenen Ehegatten der Vorrang eingeräumt vor dem Anspruch wegen Betreuung eines nichtehelichen Kindes. Angesichts der verfassungsrechtlich gebotenen Gleichbehandlung aller Betreuungsunterhaltsansprüche erscheint jedoch eine unterschiedliche Regelung ihres Rangs ebenfalls verfassungswidrig. So sieht es auch das BMJ, während Unionspolitiker insoweit an dem vereinbarten Kompromiss festhalten wollen. Es bleibt zu hoffen, dass die Rechtspolitiker nunmehr umgehend die mittlerweile unendliche Geschichte der Unterhaltsreform zum Abschluss bringen und dabei den klaren Aussagen der Entscheidung des BVerfG Rechnung tragen, damit das Gesetz spätestens Anfang nächsten Jahres in Kraft treten kann und das BVerfG nicht später erneut Korrekturen vornehmen muss.
# Die Entscheidung des BVerfG hat aber auch jetzt schon Auswirkungen auf das geltende Recht, soweit sie feststellt, dass die Berücksichtigung der nachehelichen Solidarität bei der Auslegung des § 1570 BGB nicht vom Gesetz gedeckt ist. Deshalb sind nunmehr veränderte Maßstäbe für die Bemessung der Erwerbsobliegenheit anzulegen, die sich allein an der Betreuungsbedürftigkeit der Kinder und den zur Verfügung stehenden Betreuungsmöglichkeiten ausrichten. Beginnt danach die Arbeitspflicht regelmäßig bereits ab dem dritten Lebensjahr des Kindes, kann eine mit der Kindesbetreuung vereinbare Tätigkeit nicht mehr als überobligatorisch angesehen werden, so dass daraus erzielte oder erzielbare Einkünfte €“ abzüglich betreuungsbedingtem Mehraufwand - voll anzurechnen sind.
# Kritisch bleibt schließlich anzumerken, dass das BVerfG die Gleichberechtigung von ehelichen und außerehelich geborenen Kindern im Bereich des Sorgerechts, Namensrechts und Adoptionsrechts bisher nicht mit derselben Strenge durchgesetzt hat wie im finanziellen Bereich.
+ Der Gesetzgeber ist deshalb weiterhin aufgerufen, die

volle

Gleichstellung aller Kinder in sämtlichen Regelungsbereichen herbeizuführen.
+ Dies entspricht in vollem Umfang einer langjährigen Forderung unseres Verbandes.