BFH, Urteil vom 12.05.2011 - Steuerrecht, Außergewöhnliche Belastung

Kosten eines Zivilprozesses können den Beteiligten aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Zwangsläufig und unausweichlich sind derartige Kosten nur, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung/-verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint etwaige Leistungen aus einer Rechtschutzversicherung sind im Rahmen der Vorteilsanrechnung zu berücksichtigen (Änderung der bisherigen Rechtsprechung).

Urteil

Gericht         : BFH 
Datum           : 12.05.2011 
Aktenzeichen    : VI R 42/10 
Leitparagraph   : EStG §33 Abs.1 
Quelle          : Pressemitteilung BFH Nr. 52 v. 13.07.2011 
Kommentiert von : RA Simon Heinzel 

Inhalt:

Grundlage der Entscheidung des BFH war die Frage, ob Zivilprozesskosten wegen einer Klage auf Zahlung von Krankentagegeld als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig sind. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes, so wird gem. § 33 Abs. 1 EStG auf Antrag die Einkommensteuer im bestimmten Umfang ermäßigt.

 

Nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des BFH waren Zivilprozesskosten grundsätzlich keine außergewöhnlichen Belastungen mangels Zwangsläufigkeit, denn es sei in der Regel die freie Entscheidung eines jeden, einen zivilprozessualen Anspruch durchzusetzen oder abzuwehren. Diese Rechtsprechung hat der BFH mit der hier zitierten Entscheidung geändert. Nach Auffassung des BFH übernimmt der Steuerpflichtige ein Prozessrisiko in einem Zivilprozess nicht freiwillig. Streitige Ansprüche sind nun mal vor staatlichen Gerichten durchzusetzen oder abzuwehren, es liegt somit nach der jetzigen Rechtsauffassung „Zwangsläufigkeit“ vor. Um Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen geltend machen zu können muss der Rechtstreit hinreichende Aussicht auf Erfolg haben und darf nicht mutwillig sein. Dies sind letztendlich die gleichen Voraussetzungen wie für die Gewährung von Prozesskostenhilfe bzw. Verfahrenskostenhilfe im Familienrecht.

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Familienrechtlicher Bezug:

Im Familienrecht war es ständige Rechtsprechung, dass nur die reinen Scheidungskosten als außergewöhnliche Belastungen geltend zu machen waren, d.h. die Gerichtskosten und Rechtsanwaltskosten, die sich allein auf den Gegenstandswert der Scheidung bezogen (nicht zwangsläufige Folgesachen wie Unterhalt, Zugewinn, Vermögensauseinandersetzung etc. fielen nicht hierunter, da es auch keinen sog. Zwangsverbund gab). Da der Versorgungsausgleich von Amts wegen durchzuführen ist zählten auch die Kosten für den Gegenstandswert der Folgesache Versorgungsausgleich zu den berücksichtigungsfähigen Kosten. Alle anderen Folgesachen und damit zusammenhängende Kosten waren nicht absetzbar (BFH, NJW-RR 2005 Seite 1597). Es ist daher angesichts der obigen neuen Rechtsprechung davon auszugehen, dass nunmehr auch die Kosten im Zusammenhang mit der Regelung von allen Folgesachen im Rahmen des Scheidungsverfahrens, welches auch ein Zivilprozess ist, als außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden. Ob auch die Kosten, die im Zusammenhang mit einer außergerichtlichen Einigung in Folgesachen einer Abzugsfähigkeit unterliegen, wird noch zu klären sein. Da das FamFG in § 133 Abs. 1 Nr. 2 FamFG geregelt ist, dass die Beteiligten bei Einreichung eines Scheidungsantrages sich über eine (mögliche) Einigung in bestimmten Folgesachen erklären müssen, ist mit guten Argumenten vertretbar, dass auch außergerichtliche Kosten entsprechend steuerlich zu berücksichtigen sind. Auch kann und darf ein Familiengericht gem. § 135 FamFG eine außergerichtliche Streitbeilegung anhängiger Folgesachen vorschlagen und sogar ein außergerichtliches Informationsgespräch im Rahmen einer Mediation anordnen. Hierin zeigt sich die übergeordnete Bedeutung der außergerichtlichen Streitbeilegung in Familiensachen. Man sollte daher bei der Einkommensteuererklärung alle Kosten im Zusammenhang mit einer Scheidung oder einer anderweitigen zivilrechtlichen Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastung geltend machen. Man sollte auf die geänderte Rechtsprechung des BFH gem. Urteil vom 12.05.2011 hinweisen und den Sachverhalt im Einzelnen darlegen (welche Folgesachen, gerichtlich oder außergerichtlich, welche Gegenstandwerte und der damit zusammenhängenden Gesamtkosten). Lehnt die Finanzbehörde ab sollte man Einspruch einlegen. Hat dieser keinen Erfolg wäre dann form- und fristgerecht Klage beim zuständigen Finanzgericht zu erheben. Ob auf Grund des eigenen Sachverhaltes dieser Weg beschritten werden soll oder kann muss im Einzelfall geprüft werden, so dass im jedem Fall eine individuelle Rechtsberatung/Steuerberatung nicht zu umgehen ist.

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