BGH Beschluss vom 7.8.2013 – Elternunterhalt

  1. Der Wert einer selbstgenutzten Immobilie bleibt bei der Bemessung des Altersvorsorgevermögens eines auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen Unterhaltspflichtigen grundsätzlich unberücksichtigt.
  2. Sonstiges Vermögen in einer Höhe wie es sich aus der Anlage von 5 % des Jahresbruttoeinkommens ergibt, braucht vor dem Bezug der Altersversorgung regelmäßig nicht zur Zahlung von Elternunterhalt eingesetzt zu werden.
  3. Zum sogenannten Notgroschen, der einem Unterhaltspflichtigen gegenüber der Inanspruchnahme auf Elternunterhalt zusätzlich zusteht (hier 10.000 Euro).

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Urteil

Gericht         : BGH 
Datum           : 07.08.2013 
Aktenzeichen    : XII ZB 269/12 
Leitparagraph   : BGB §1603 
Quelle          : FamRZ 2013, S. 1554 
Kommentiert von : RA Simon Heinzel

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Inhalt:

Das Sozialamt/Staat ist mit Kosten eines Altenpflegeheims in Vorleistung getreten und hat den Sohn, der im Altenheim lebenden Mutter auf Zahlung von Elternunterhalt in Anspruch genommen. Der Sohn verfügt über Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit sowie über Vermögen in Gestalt einer selbst genutzten Eigentumswohnung, Miteigentum an einem zu Urlaubszwecken genutzten Haus in Italien, Sparvermögen und dreier Lebensversicherungen, von denen eine gekündigt war, um Schulden der Immobile in Italien zu bezahlen. Das Jahresbruttoeinkommen des Sohnes betrug ca. 27.000 Euro, die drei Lebensversicherungen hatten zusammen mit einem Sparguthaben einen Wert von ca. 70.000 Euro. Der Miteigentumsanteil am Haus in Italien lag bei ca. 30.000 Euro (unter Berücksichtigung der Schulden) sodass das Gesamtvermögen mit ca. 100.000 Euro zu beziffern war zuzüglich der selbst genutzten Eigentumswohnung. Das Sozialamt hat den Sohn auf Zahlung von 17.000 Euro in Anspruch genommen, das Amtsgericht hat zur Zahlung von ca. 5.500 Euro verurteilt, das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Sozialamtes zurückgewiesen, der Beschwerde des Sohnes stattgegeben und den Antrag auf Zahlung von Elternunterhalt insgesamt abgewiesen. Hiergegen hat das Sozialamt Rechtsbeschwerde beim BGH eingelegt, die vom Oberlandesgericht zugelassen war.

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Die Oberlandesgerichtliche Entscheidung ist bereits besprochen im ISUV-Report Nr. 134/Dezember 2012, dort Seite 18, mit weiteren Hinweisen zur aktuellen Rechtsprechung zum Elternunterhalt. Der BGH musste in der jetzigen Entscheidung darüber befinden, ob eine selbstgenutzte Immobilie grundsätzlich bei der Elternunterhaltsfrage außen vor bleibt oder in die Berechnung des sogenannten Altersvorsorgeschonvermögens miteinfließt. Der BGH hat zunächst seine schon bisherige Rechtsprechung bestätigt, wonach angespartes Vermögen zu einer angemessenen Altersversorgung gehört und dafür zurückgelegtes Vermögen nicht für den Elternunterhalt einzusetzen ist. Die Höhe dieses Altersvorsorgevermögens bestimmt der BGH in Höhe von 5 % des Jahresbruttoeinkommens, beginnend mit dem Beginn der Erwerbstätigkeit sowie einer Kapitalverzinsung in Höhe von 4 % (auch wenn die Zinsen gesunken sind). Damit bestätigt der BGH seine grundsätzliche Rechtsauffassung zu dieser Frage (BGH, FamRZ 2006, S. 1511 ff., FamRZ 2013, S. 2003, FamRZ 2003, S. 1179). Auf der Grundlage dieser Berechnungsmethode kam das OLG zum Ergebnis (ohne die selbstgenutzte Immobilie), dass das gesamte Vermögen nicht für den Elternunterhalt einzusetzen ist, weil das OLG von den ca. 100.000 Euro Vermögen 10.000 Euro Notgroschen abgezogen hat, die selbstgenutzte Immobilie außen vor gelassen hat, um dann auf der Grundlage des Einkommens des Sohne festzustellen, dass das verbleibende Vermögen nicht anzugreifen ist.

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Der BGH hat in den einzelnen Ermittlungen zum Einkommen und zum Vermögen zwar Rechtsfehler entdeckt, und deshalb festgehalten, dass das angefochtene Urteil keinen Bestand haben kann, war jedoch selber nicht in der Lage abschließend zu entscheiden, da weitere Feststellungen zur Leistungsfähigkeit des Sohnes aus seinem Einkommen und zur Höhe des Altersvorsorgevermögens zu treffen sind und hat daher an das OLG zurückverwiesen, hat jedoch folgende Grundsätze festgeschrieben:

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  1. Altersvorsorgevermögen Hier bleibt es bei der bisherigen Rechtsprechung des BGH, dass 5 % des Bruttoeinkommens, welches zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme erzielt wurde, zurückgerechnet auf die Zeit ab Beginn der Erwerbstätigkeit (somit für das ganze Erwerbsleben), verzinst mit 4 % Kapitalzins als Altersvorsorgevermögen errechnet wird.Nicht entschieden hat der BGH bislang, was z. B. erwerbslose Kinder, die z. B. in einer Ehe gelebt haben, in denen der Ehegatte hohes Einkommen erzielt hat und daher eigenes Einkommen nicht vonnöten war, als Altersschonvermögen nicht angreifen müssen. Insoweit wird das „Eigeneinkommen“ abzuleiten sein vom gesamten Familieneinkommen. Ist dann hieraus nach der Formel des BGH Altersvorsorgevermögen zu berechnen? Ist nichtgerade derjenige, der aufgrund einer Ehe keine eigene Altersvorsorge getroffen hat – im Vertrauen auf den Bestand der Ehe – ebenso schutzwürdig mit der Folge, dass ein Altersvorsorgevermögen zu berechnen ist? Gerade im Elternunterhalt werden diese Fragen in Zukunft von großer Bedeutung sein, was auch die Vielzahl an Entscheidungen zu dieser Thematik zeigt.
  2. Notgroschen Der BGH hat die vom OLG zugrunde gelegten 10.000 Euro akzeptiert und bestätigt. Die unterste Grenze stellt der sozialhilferechtliche Schonbetrag dar (§ 88 BSHG~ BGH FamRZ 2004, S. 370, derzeit ca. 3600 Euro). Andere sind der Auffassung, dass mindestens 3 Nettomonatsgehälter als Notgroschen anzurechnen sind (Hauß, Elternunterhalt, Rdn. 514). Es gibt darüber hinaus auch Stimmen, dass dieser Schonbetrag bis zu 26.000 Euro hoch sein kann (Heiß/Born/Hußmann, Unterhaltsrecht, 13. Kapitel, Rdn. 74). Der BGH hat im hier zu entscheidenden Fall darauf hingewiesen, dass ein solcher Notgroschen nicht pauschal festzulegen ist, sondern davon abhängig ist, wie die Einkommensverhältnisse sind, ob sonstige Unterhaltsverpflichtungen bestehen etc. Im vorliegenden Fall, in dem der alleinstehende, kinderlose Sohn über ein Erwerbseinkommen unterhalb des Selbstbehaltes gegenüber Eltern verfügt, erschien dem BGH der vom Sozialamt selbst eingeräumte Betrag von 10.000 Euro ausreichend. Es wird richtig sein, einem Geringverdiener einen im Verhältnis zu seinem Einkommen größeren Notgroschen zuzubilligen, als einem „Schwerverdiener“. Der Betrag von 10.000 Euro als Notgroschen ist daher nicht mehr als ein Orientierungsmaßstab, die Einzelumstände wie Einkommen, Familienstand, Alter sowie die allgemeine Lebenssituation sind im Einzelfall bei der Bestimmung des Notgroschens zu beachten.
  3. Eigenimmobilie Mit der Entscheidung des BGH ist nunmehr klargestellt, dass selbstgenutztes Immobilienvermögen im Elternunterhalt nicht dem Altersvorsorgevermögen zuzurechnen ist und daher grundsätzlich unberücksichtigt bleibt. Die Sozialverwaltungen hatten sich bislang beharrlich hiergegen verwehrt und haben letztendlich gegen die im Elternunterhalt herrschende Lebensstandardgarantie verstoßen. Bei wem die selbstgenutzte Immobilie bei der Bemessung des Unterhaltes mitberücksichtigt wurde, sollte ggf. mit Abänderungsanträgen reagieren. Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die selbstgenutzte Immobilie nicht in jedem Fall gänzlich unberücksichtigt bleibt, sondern grundsätzlich dann, wenn es sich um ein, den jeweiligen Verhältnissen angemessenes Wohneigentum handelt (BGH, FamRZ 2003, Seit 1979). Das heißt, wer aufgrund geringer Einkünfte und ansonsten geringen Vermögens in einem „Schloss“ lebt, wird dann schon auch hierüber heranzuziehen sein, im Normalfall gilt der nunmehr manifestierte Grundsatz: Die selbstgenutzte Immobilie bleibt unberücksichtigt.

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Mit dieser Entscheidung hat der BGH wieder zumindest eine wichtige Frage zum Elternunterhalt beantwortet, ebenso bereits bestehende Rechtsprechung bestätigt. Im Elternunterhalt sind jedoch weiterhin ungeklärte Rechtsfragen: Wie ist ein unterhaltspflichtiges Kind zu beurteilen und insbesondere ein Altersvorsorgevermögen zu errechnen, wenn dieses Kind nicht oder nur wenig gearbeitet hat, hauptsächlich vom Ehegatten „gelebt“ hat und durch den Ehegatten Vermögen aufgebaut hat bzw. im Rahmen einer Scheidung Zugewinn erhalten hat und somit die Berechnungsmethode des BGH mit 5 % des Bruttoeinkommens gerechnet auf den Zeitraum des Erwerbslebens scheitert. Wie wird in diesen Fällen das Altersvorsorgevermögen zu beurteilen sein? Gerade derjenige, der keine eigenen Erwerbseinkünfte erzielt hat, ist dann verstärkt auf Ausgleichszahlungen des Ehepartners auch fürs Alter angewiesen, sodass dann möglicherweise auf der Grundlage eines fiktiven Unterhalts während der Ehe ein Altersvorsorgevermögen zu errechnen ist. Gerade Fragen des Elternunterhaltes werden die Gerichte zukünftig immer mehr beschäftigen, nachdem immer mehr Pflegefälle eintreten und die eigene Rente des Elternteils nicht ausreicht.