BGH, Urteil v. 29.9.2010 - Ehegattenunterhalt

a)  Wurde ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 Abs. 2 BGB, nach Veröffentlichung des Senatsurteils vom 12.4.2006 (XII ZR 240/03) durch Urteil festgelegt, so ergibt sich weder aus der anschließenden Senatsbesprechung noch aus dem Inkrafttreten des § 1578 b BGB am 1.1.2008 eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse. Auch § 36 Nr. 1 EGZPO bietet in diesem Fall keine eigenständige Abänderungsmöglichkeit (FamRZ 2010, 111).

 

b)  Das gilt auch dann, wenn aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind, die von der Unterhaltsberechtigten betreut wurden.

 

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Urteil

Gericht         : BGH
Datum           : 29.09.2010
Aktenzeichen    : XII ZR 205/08
Leitparagraph   : BGB §1578b
Quelle          : www.bundesgerichtshof.de
Kommentiert von : RA Simon Heinzel


Inhalt:

Folgender Sachverhalt lag zugrunde:

 

Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Sie streiten über die Befristung des nachehelichen Aufstockungsunterhaltes, der zuletzt im März 2007 rechtskräftig tituliert wurde. Die Ehe bestand 15 Jahre, aus der Ehe sind 2 Kinder hervorgegangen (geboren 1982 / 1983). Eine Befristung und Herabsetzung des Aufstockungsunterhaltes wurde im Jahr 2007 vom Unterhaltsverpflichteten nicht geltend gemacht.

 

Der Unterhaltsverpflichtete verlangt nunmehr im Rahmen der Abänderungsklage eine Befristung / Begrenzung, da insbesondere seit Januar 2008 das Gesetz eine neue Befristungsmöglichkeit mit § 1578 b BGB geschaffen habe.

 

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Die Entscheidung des BGH:

 

Die Revision hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben die Abänderungsklage zu Recht abgewiesen.

 

Die Abänderung setzt voraus, dass sich die für die Bestimmung der Höhe und Dauer des Unterhalts maßgebenden Verhältnisse wesentlich geändert haben. Die Abänderung hängt hier davon ab, ob eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse eingetreten ist, da sowohl eine Gesetzesänderung als auch eine Änderung der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung ebenso wie die Veränderung der Tatsachenlage (z. B. Einkommensveränderungen) einen Abänderungsanspruch begründen können. Der BGH stellt klar, dass die Einführung des § 1578 b BGB zum 1.1.2008 für den Aufstockungsunterhalt keine entscheidende Änderung erfahren hat, die maßgebliche Änderung der Rechtsprechung hinsichtlich der Gewichtung von Ehedauer und ehebedingten Nachteilen im Rahmen der Befristung gemäß § 1573 Abs. 5 BGB a. F. wurde bereits durch Urteil vom 12.4.2006, FamRZ 2006, S. 1006, vollzogen. Dies unabhängig davon, ob aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind oder nicht. Mit dem Urteil vom 12.4.2006 hat der BGH im Hinblick auf eine Befristung das hauptsächliche Gewicht auf die mit der Ehe verbundenen Erwerbsnachteile für den Unterhaltsberechtigten gelegt. Dem steht auch eine lange Ehedauer nicht entgegen. Eine Differenzierung zur Befristung eines Aufstockungsunterhaltes danach, ob Kinder aus der Ehe hervorgegangen sind oder nicht, wurde nicht vorgenommen, zudem bestand hier auch keine Veranlassung. Die vom BGH mit Urteil vom 12.4.2006 vollzogene Rechtsprechungsänderung betraf somit alle Fälle des Aufstockungsunterhaltes. Demnach hätte der Unterhaltsverpflichtete die Befristung/Herabsetzung des Unterhaltes im Vorprozess geltend machen müssen, zum Zeitpunkt der abschließenden mündlichen Verhandlung vor dem OLG am 1.3.2007 hätte die Rechtsprechungsänderung vom 12.4.2006 beachtet werden müssen. Befristung/Herabsetzung hätte daher seinerzeit schon geltend gemacht werden müssen, mit einer nachträglichen Abänderungsklage ist dies nicht zu korrigieren, sodass die Abänderungsklage von den Vorinstanzen berechtigterweise abgewiesen wurde.

 

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Fazit

 

Ausdrücklich ist darauf hinzuweisen, dass diese Entscheidung des BGH nur den Aufstockungsunterhalt betrifft und selbstverständlich und insbesondere nicht den Betreuungsunterhalt. Der Unterhaltspflichtige hätte, nachdem die maßgebliche Entscheidung des BGH (Rechtsprechungsänderung) zum 1.3.2007 bereits veröffentlicht war, die Befristung/Herabsetzung wegen fehlender ehebedingter Nachteile bereits seinerzeit geltend machen müssen. Da er beim OLG mit Sicherheit anwaltlich vertreten war (Anwaltszwang) kann sich hieraus auch eine Haftungsfrage ergeben, denn der Rechtsanwalt hätte diese Rechtsprechungsänderung erkennen können, nach BGH wohl auch erkennen müssen. Dass man mit einer Abänderung hinsichtlich des Aufstockungsunterhaltes bei kinderloser Ehe ausgeschlossen war, wenn man nach Veröffentlichung des BGH-Urteils vom 12.4.2006 dies in einem Vorverfahren nicht eingewandt hat, war schon länger höchstrichterliche Rechtsprechung. Neu ist letztendlich, dass dies auch für Fälle gilt, in denen Kinder aus der Ehe hervorgegangen sind, da ein Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung davon ausging, dass die Rechtsprechungsänderung des BGH im April 2006 nur für den Aufstockungsunterhalt bei kinderlosen Ehe gelte.

 

Mit diesem Urteil bürdet der BGH den Parteien und deren Vertreter doch eine gewisse „hellseherische“ Fähigkeit auf, denn im Urteil im April 2006 wurde mit keinem Wort erwähnt, dass die Befristungsmöglichkeit und das neue Augenmerk auf die ehebedingten Nachteile sich auch auf einen Aufstockungsunterhalt bezieht, bei nicht kinderlosen Ehe, denn der zugrunde liegende Fall des BGH seinerzeit war eine kinderlose Ehe. Dass diese neue Rechtsprechung auch für sämtliche anderen Ehen im Rahmen des Aufstockungsunterhaltes gelten solle, war nach diesseitiger Auffassung so nicht erkenntlich (so auch OLG Koblenz, FamRZ 2010, S. 318, OLG Düsseldorf, FamRZ 2010, S. 1084). Mit dem hiesigen Urteil hat der BGH jedoch nunmehr klargestellt, dass hinsichtlich des Aufstockungsunterhaltes keine Differenzierung zwischen kinderlosen Ehen und Ehen mit Kindern bestand und somit für den Aufstockungsunterhalt insgesamt eine Rechtsprechungsänderung bereits im April 2006 vollzogen wurde. Damit ist man mit dem Argument der Rechtsprechungsänderung/Gesetzesänderung bei Abänderungsklagen dann ausgeschlossen, wenn man nach Veröffentlichung des Urteils vom 12.4.2006 die Befristung/Herabsetzung in einem Vorverfahren nicht begehrt hat, dieses Verfahren rechtskräftig geworden ist und man nunmehr nach Gesetzesänderung eine Abänderung begehrt.

 

Dieses Urteil möchten wir auch zum Anlass nehmen, kurz die Anwendung des § 1578 b BGB (Befristung/Herabsetzung) auf die verschiedenen Unterhaltstatbestände darzustellen:

 

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1. Betreuungsunterhalt (§ 1570 BGB)

 

Auf den Betreuungsunterhalt ist § 1578 b BGB nicht anzuwenden, da § 1570 BGB bereits eine Sonderregelung für die Billigkeitsabwägung enthält (BGH FamRZ 2009, S. 770, BGH FamRZ 2009, S. 959, BGH FamRZ 2009, S. 1124). Führt die Abwägung der kind- und elternbezogenen Gründe zu einer Verlängerung des Unterhaltsanspruchs über das 3. Lebensjahr des Kindes hinaus, können die selben Gründe nicht zu einer Befristung führen. Der häufig mit dem Anspruch auf Betreuungsunterhalt verbundene Anspruch auf Aufstockungsunterhalt kann erst begrenzt werden, wenn feststeht, ob durch die Kinderbetreuung ehebedingte Nachteile eingetreten sind. Diese Feststellung wird während laufender noch notwendiger Betreuung kaum zu treffen sein (BGH, FamRZ 2009, S. 770). Solange Betreuungsunterhalt geschuldet ist und dieser nicht „kurz vor dem Ende“ steht, wird eine Befristung/Herabsetzung nicht zu begehren sein.

 

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2. Krankenunterhalt (§1572 BGB)

 

Auch der Krankenunterhalt kann befristet und herabgesetzt werden. Die Krankheit wird in aller Regel nicht ehebedingt sein und stellt in aller Regel keinen ehebedingten Nachteil dar (BGH FamRZ 2009, S. 406. Ein ehebedingter Nachteil kann gegeben sein, wenn aufgrund der Rollenverteilung in der Ehe nicht ausreichend für den Fall der krankheitsbedingten Erwerbsminderung vorgesorgt wurde. Die durch die Ehe eingetretenen Nachteile werden allerdings durch den Versorgungsausgleich kompensiert. Da eine Krankheit „schicksalshaft“ ist, spielt die nacheheliche Solidarität eine besondere Rolle, die im Rahmen der Billigkeitsabwägung durch die Gerichte besonders zu beachten ist. Grundsätzlich kann jedoch der Krankenunterhalt befristet und herabgesetzt werden.

 

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3. Altersunterhalt (§ 1571 BGB)

 

Hier gilt das zu Ziffer 2. gesagte. In vielen Fällen wird die Dauer der Ehe einer Befristung/Herabsetzung entgegenstehen. Der nach § 1578 b BGB herabzusetzende Unterhaltsbedarf muss wohl in jedem Fall das Existenzminimum des Unterhaltsberechtigten erreichen (BGH FamRZ 2010, S. 1633). Bei der Frage, ob ehebedingte Nachteile vorliegen, ist der Ausgleich unterschiedlicher Vorsorgebeiträge vornehmlich Aufgabe des Versorgungsausgleichs, durch den die Interessen des Unterhaltsberechtigten regelmäßig ausreichend gewahrt werden (BGH, FamRZ 2010, S. 1633).

 

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4. Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB)

 

Insbesondere der Aufstockungsunterhaltsanspruch kann befristet/beschränkt werden. Hier kommt es auf die ehebedingten Nachteile an. Ein ehebedingter Nachteil kommt insoweit vor, wenn die Einkommensdifferenz der Eheleute auf der Aufgabenverteilung in der Ehe beruht und nicht ihre Ursache in einem bereits bei Eingehung der Ehe unterschiedlichen Ausbildungsstand beruht. Wenn der Unterhaltsberechtigte vollschichtig in seinem erlernten Beruf tätig ist oder tätig sein könnte bzw. an die vor der Ehe bestehenden Verdienstmöglichkeiten anknüpfen konnte oder anknüpfen könnte, hat keine ehebedingten Nachteile (BGH FamRZ 2008, S. 1508, OLG Düsseldorf, FamFR 2009, S. 88). Spekulative Überlegungen zu möglichen Berufsaussichten spielen keine Rolle, ebenso wenig nicht objektivierbare Karriereaussichten (OLG Köln, NJW 2000, S. 3169: Die Behauptung eine Sekretärin hätte ohne die Ehe eine Karriere als Gewerkschaftssekretärin gemacht, ist unbeachtlich~ OLG Saarbrücken, FamRZ 2009, S. 349: Keine ehebedingten Nachteile einer gelernten Drogistin, die als Verkäuferin in einem Drogeriemarkt arbeitet, mit dem nicht zu akzeptierenden Argument, ohne die Ehe hätte sie z. B. als Marktleiterin eine bessere Bezahlung, da es nicht objektivierbar ist, ob dies tatsächlich so eingetreten wäre.) Für ehebedingte Nachteile sprechen längere Berufspausen, Abbruch des Studiums wegen Geburt eines Kindes, Verzicht auf jegliche berufliche Weiterbildung, Aufgabe einer gesicherten beamtengleiche Stelle etc.

 

Darlegungs- und beweisbelastet für Befristungsgründe ist grundsätzlich der Unterhaltspflichtige. Trägt dieser Tatsachen vor, die gegen ehebedingte Nachteile sprechen (z. B. mögliche Aufnahme einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit im erlernten Beruf) ist es Aufgabe des Unterhaltsberechtigten, weitergehende ehebedingte Nachteile darzulegen, die gegen eine Befristung sprechen. Der Unterhaltsberechtigte hat im Rahmen dieser „sekundären Darlegungslast“ substantiiert darzulegen, welche konkreten ehebedingten Nachteile entstanden sein sollen (BGH, FamRZ 2009, S. 1990).

 

Prozessual sind Befristung/Herabsetzung im Erstverfahren dann geltend zu machen, wenn Gründe hierfür bereits entstanden oder sicher vorhersehbar sind. Hier schließt sich der Kreis zum obigen Urteil des BGH, wonach eben eine Abänderung dann nicht mehr möglich ist, wenn der Abänderungsgrund bereits im Erstverfahren/Vorverfahren bestanden hat, egal ob aufgrund einer Rechtsprechungsänderung (so das Urteil oben) oder aufgrund der Tatsachen, die bereits eine Befristung/Herabsetzung begründet hätten.