BGH, Urteil vom 05.11.2008 - Ehevertrag

  1. Eine Inhaltskontrolle von Eheverträgen kann nicht nur zugunsten des Unterhaltsbegehrenden Ehegatten veranlasst sein, sondern im Grundsatz auch zugunsten des auf Unterhalt in Anspruch genommenen Ehegatten.
  2. Für die Beurteilung, ob die subjektiven Elemente der Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages vorliegen, kann jedenfalls dann nicht auf konkrete Feststellungen hierzu verzichtet werden, wenn ein Ehegatte dem anderen Leistungen verspricht, für die es keine gesetzliche Grundlage gibt. In solchen Fällen scheidet eine tatsächliche Vermutung für eine Störung der Vertragsparität aus.
  3. Eine Unterhaltsvereinbarung kann sittenwidrig sein, wenn die Ehegatten damit auf der Ehe beruhende Familienlasten zum Nachteil des Sozialleistungsträgers regeln. Das kann auch dann der Fall sein, wenn durch die Unterhaltsabrede bewirkt wird, dass der über den gesetzlichen Unterhalt hinaus zahlungspflichtige Ehegatte nicht mehr in der Lage ist, seine Existenz zu sichern und deshalb ergänzender Sozialleistungen bedarf.

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Urteil

Gericht         : BGH 
Datum           : 05.11.2008 
Aktenzeichen    : XII ZR 157/06 
Leitparagraph   : BGB §1585c, BGB §138 
Quelle          : www.bundesgerichtshof.de 
Kommentiert von : RA Simon Heinzel 

Inhalt:

Folgender Sachverhalt lag zugrunde:

Der Ehemann ist zugunsten der Ehefrau durch Ehevertrag eine Leibrentenverpflichtung eingegangen (in Ersetzung eines Unterhaltanspruchs). Der Ehemann (Jahrgang 1962, türkischer Staatsangehöriger) und die Ehefrau (Jahrgang 1953, deutsche Staatsangehörige) haben Ende 1997 geheiratet, die Ehe blieb kinderlos. Während der Ehe (1999) haben die Parteien einen notariellen Ehevertrag geschlossen, in welchen sie gegenseitig auf Unterhalt verzichtet haben und der Ehemann der Ehefrau eine monatliche Leibrente in Höhe von 1300 DM für den Fall der Scheidung zugesagt hat. Erlöschen sollte diese Leibrente mit dem Tod der Ehefrau bzw. ab Bezug einer Altersrente der Ehefrau. Der Ehemann war während der Ehe zum Großteil erwerbstätig, die Ehefrau war bis in das Jahr 2000 arbeitslos, seit Herbst 2000 geht sie einer Teilzeittätigkeit (20 Stunden/Woche) nach. Mit seiner Klage begehrt der Ehemann die Feststellung, dass er seiner am 9. April 2002 geschiedenen Ehefrau weder Leibrente noch Unterhalt zu bezahlen hat und der Ehevertrag insoweit nichtig ist. Dies mit der Begründung, dass ihm bei Zahlung der Leibrente sein notwendiger Selbstbehalt nicht verbliebe und er teilweise auf Sozialleistungen angewiesen sei und dass der geschiedenen Ehefrau mit dem Eigeneinkommen und der Leibrente ein monatlicher Betrag zur Verfügung stünde, welcher weitaus höher ist als derjenige, der ihm verbliebe.

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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Ehemannes hat das OLG eine Nichtigkeit des Ehevertrages wegen der Regelung zur Leibrente festgestellt und die Ehefrau zur Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung der notariellen Urkunde an den Ehemann verurteilt. Hiergegen richtet sich die vom OLG zugelassene Revision der Ehefrau, mit der sie die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils anstrebt. Die Revision erweist sich als unbegründet, der BGH bestätigt die Entscheidung des OLG.

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Der BGH begründet seine Entscheidung wie folgt:

 

Der BGH bestätigt die Rechtsauffassung des OLG, wonach zum einen die vom Ehemann erhobene Feststellungsklage zulässig ist und insbesondere, wonach die vom BGH in vorherigen Entscheidungen aufgestellten Grundsätze für die Inhaltskontrolle von Eheverträgen nicht nur für einen Unterhaltsberechtigten Gültigkeit haben, sondern auch für einen Unterhaltspflichtigen. Der BGH begründet dies damit, dass auch beim Unterhaltsverpflichteten erhebliche Unterlegenheitssituationen vorliegen können, die zu einer offensichtlich einseitigen Aufbürdung vertraglicher Lasten führt. Ein vertraglich vereinbarter Unterhalt darf nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Unterhaltsschuldners führen. Sofern die Grenze der Zumutbarkeit überschritten wird, kann man den Parteien ihre grundsätzliche Vertragsfreiheit nicht mehr zugestehen. Im vorliegenden Fall, in welchem nach Auffassung des BGH in jedem Fall deutsches Recht Anwendung findet, sind die vom BGH aufgestellten Grundsätze zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen in gleicher Weise anzuwenden, wie im umgekehrten Fall bei Unterhaltsberechtigten. Danach ist es jedem Ehegatten unbenommen, bestimmte Lebensrisiken des Anderen aus der wechselseitigen Verantwortung für einander auszuschließen aber auch frei, einen bestimmten Lebensbedarf festzulegen. Eine evident einseitige Lastenverteilung liegt nicht schon dann vor, wenn der Grundsatz der Halbteilung nicht beachtet ist, jedoch dann, wenn die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten nicht mehr gewährleistet ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Unterhaltsschuldner nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern (Einschränkung der Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m Art. 6 Abs. 1 GG, BVerfG, FamRZ 2001, S. 1685 und FamRZ 2002, S. 1397). Es ist Aufgabe der Gerichte, diesen verfassungsrechtlich gebotenen Schutz zu gewährleisten, um zu verhindern, dass die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie sich in eine Fremdbestimmung verkehrt (BVerfG, FamRZ 2001, S. 343).

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Da die Parteien den nachehelichen Unterhaltsanspruch ausgeschlossen haben, jedoch statt dessen eine Leibrente vereinbart haben, ist wie bei einer unterhaltsrechtlichen Regelung die Lastenverteilung anhand der Leibrente zu bewerten. Bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Ehevertrages hätte der Ehemann unter Berücksichtigung der Leibrente nur ein bereinigtes Nettoeinkommen von 810 DM gehabt, was weniger als 2/3 des damaligen notwendigen Selbstbehalts von 1500 DM gewesen ist. Insoweit waren noch nicht einmal Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den in der Türkei lebenden Kindern des Mannes berücksichtigt. 810 DM reichen jedoch nicht, um die eigene Existenz zu sichern, sodass zu prüfen war, ob der Ehevertrag wegen einer solchen ungleichen Lastenverteilung sittenwidrig ist, auch im Hinblick darauf, dass grundsätzlich bei dieser Leistungsfähigkeit Leistungen des Sozialhilfeträgers notwendig wären. In die Gesamtwürdigung ist einzubeziehen, ob der Ehevertrag aufgrund der Dominanz eines Ehegatten (ungleiche Verhandlungsposition, so auch BVerfG, FamRZ 2001, S. 243) zustande gekommen ist. Das OLG hat keine Feststellungen zu einer solchen erheblich ungleichen Verhandlungsposition getroffen, mit der Begründung, die Parteien hätten ohne nachvollziehbaren Grund eine evident einseitige, belastende Regelung getroffen, was gleichbedeutend ist mit einer Störung der gleichwertigen Verhandlungsposition. Für die Ehefrau sei erkennbar gewesen, dass der Ehemann nicht zur angemessenen Vertretung seiner eigenen Interessen im Stande gewesen sei. Dieser Auffassung des OLG ist der BGH nicht gefolgt. Zu einer ungleichen Verhandlungsposition hätte das OLG Feststellungen treffen müssen. Eine tatsächliche Vermutung für eine Störung der Vertragsparität scheidet aus (BGH FamRZ 2005, S. 1444, 2006, S. 1359). Mit der vom OLG vorgelegten Begründung konnte daher das Urteil keinen Bestand haben, das Urteil erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig, sodass die Revision zurückzuweisen ist.

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Die Leibrentenversicherung ist schon deshalb gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und daher nichtig, weil sie den Träger der Sozialleistung belasten würde (BGH, FamRZ 1985, S. 788). Diese Rechtsprechung ist durch die Grundsätze, die der BGH zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen entwickelt hat nicht gegenstandslos geworden, wenn eine Unterhaltsabrede die auf der Ehe beruhenden Familienlasten objektiv zum Nachteil eines Dritten (Sozialleistungsträger = „ wir alle“) regelt (BGH, FamRZ 2007, S. 197). Diese objektiven Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB (Sittenwidrigkeit) sind hier gegeben, ebenso der subjektive Tatbestand, da der Ehemann bei Abschluss des Ehevertrages erkennen konnte, dass er aus den verbleibenden Mitteln weder seine Existenz noch die seiner in der Türkei lebenden Kinder sichern konnte. Demnach war das Urteil des OLG zu bestätigen, die Revision zurückzuweisen, die vertraglich vereinbarte Leibrente sittenwidrig und die Ehefrau zu verpflichten, die vollstreckbare Ausfertigung der Notarurkunde herauszugeben.

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Fazit

 

Mit dieser Entscheidung hat der BGH erstmalig einen Ehevertrag für unwirksam erklärt, weil er den Ehemann belastet hat. Der BGH hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es keine Rolle spielt, ob die ehevertragliche Regelung einseitig und evident zu Lasten des Unterhaltsberechtigten oder des Unterhaltsverpflichteten wirkt. Die vor vier Jahren eingeleitete geänderte Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen (BGH, FamRZ 2004, S. 601) gilt ebenso für den Unterhaltsschuldner. Danach ist die Grenze der Vertragsfreiheit immer dann überschritten, wenn und soweit dadurch eine evident einseitige nicht mehr gerechtfertigte Lastenverteilung entsteht, die für den anderen Ehegatten unzumutbar ist.

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Für die Gestaltung von Eheverträgen gab es lange Zeit eine nahezu grenzenlose Freiheit. Erst mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 6.2.2001 (BVerfG, FamRZ 2001, S. 243) wurde die Wirksamkeit von Eheverträgen in Frage gestellt, der BGH folgte dieser Entscheidung mit seiner Grundsatzentscheidung vom 11.2.2004 (BGH, FamRZ 2004, S. 601). Danach verbleibt es zwar bei der Vertragsfreiheit, wenn jedoch in den sog. Kernbereich der Scheidungsfolgen eingegriffen wird, wozu insbesondere Unterhalt und Versorgungsausgleich zählen, bedarf es einer Gesamtwürdigung aller Umstände und einer richterlichen Kontrolle, wenn eine evident einseitige Lastenverteilung entstehen würde. So haben die Gerichte seit dem Jahr 2004 zunächst eine sog. Wirksamkeitskontrolle (§ 138 BGB) des Ehevertrages vorzunehmen, bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sodann eine weitere Ausübungskontrolle (§ 242 BGB), bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung und der sich ergebenden Entwicklung der ehelichen Lebensverhältnisse vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses bis zum aktuellen Zeitpunkt. In beiden Zeitpunkten ist die evident ungerechte Lastenverteilung eines Vertrages im Kernbereich der Scheidungsfolgesachen zu prüfen und die Frage, ob bei Vertragsschluss eine erhebliche Unterlegenheitsposition eines Vertragspartner bestanden hat. Wenn hingegen der Vertrag Belastungen Dritter beinhaltet, kann dies und führt dies zur Sittenwidrigkeit außerhalb der neueren Rechtsprechung des BGH zur Inhaltskontrolle eines Ehevertrages.

Mit dieser Entscheidung steht fest, dass auch der Unterhaltsschuldner vor vertraglichen unangemessenen Benachteiligungen geschützt wird, dies auf der Grundlage der vom BGH entwickelten Grundsätze, was zwar in früheren OLG-Entscheidungen bei finanzieller Überforderung des Unterhaltsschuldners zum Ausdruck kam (OLG Celle, NJW-RR 2004, S. 1585), jedoch von anderen Oberlandesgerichten auch durchaus anders gesehen wurde (OLG Stuttgart, FamRZ 1998, S, 1296).

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In diesem Zusammenhang wird auch auf das Urteil des BGH vom 9.7.2008 (FuR 2008, S. 35) verwiesen, mit welchem der BGH sogar zu einer Gesamtnichtigkeit eines Ehevertrags gekommen ist (Nichtigkeit auch der Zugewinnregelung) und nicht nur des Kernbereichs des Scheidungsfolgenrechts: Unterhalt und Versorgungsausgleich, da die Ehegatten bei Abschluss des Vertrages bewusst in Kauf genommen haben, dass die Ehefrau wegen Kindesbetreuung alsbald aus dem Berufsleben ausscheiden wird (Wirksamkeitskontrolle) und bis auf Weiteres keine Versorgungsanrechte erwerben wird und bei Abschluss des Vertrages die Ehefrau im neunten Monat schwanger war (Unterlegenheitssituation) und darüber hinaus der Vertragsentwurf erstmals in der notariellen Verhandlung bekannt gegeben wurde. Vormals hat die Rechtsprechung die jeweils nichtigen Regelungen nicht beachtet, hingegen z. B. Regelungen im gleichen Vertrag zum Zugewinn als wirksam angesehen. Mit der hiesigen Entscheidung geht der BGH erstmals von einer Gesamtnichtigkeit des Ehevertrages aus, wobei zu bedenken gilt, dass dies im Einzelfall so entschieden wurde, insbesondere aufgrund der Tatsache, dass der Vertrag erstmals im Notartermin von der Frau eingesehen werden konnte, letztendlich keine Überprüfungsmöglichkeit bestand und aufgrund der Schwangerschaft im neunten Monat eine nicht unerhebliche Drucksituation festzustellen war.

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Weitere Einzelheiten zur Rechtsprechung des BGH zu Eheverträgen finden Sie im Merkblatt Nr. 1 des Verbandes ISUV/VDU.