BGH, Urteil vom 16.07.2008 - Unterhaltsrecht

  1. Die für die Höhe des Unterhaltsbedarfs nach §§ 1615 l Abs. 2, Abs. 3 S. 1, 1610 Abs. 1 BGB relevante Lebensstellung des Unterhaltsberechtigten ergibt sich auch dann, wenn er schon vor der Geburt des gemeinsamen Kindes mit dem anderen Elternteil zusammen gelebt hat, aus den Einkünften, die er ohne die Geburt des Kindes hätte. Auch in einem solchen Fall ist nicht ein Quotenunterhalt nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen innerhalb der nichtehelichen Lebensgemeinschaft geschuldet.
  2. Elternbezogene Gründe, die neben kindbezogenen Gründen für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts nach § 1615 l Abs. 2 BGB sprechen können, kommen insbesondere dann in Betracht, wenn die Eltern mit ihrem gemeinsamen Kind zusammengelebt haben und deswegen ein evtl. Vertrauenstatbestand als Nachwirkung dieser Familie zu berücksichtigen ist.
  3. Bei der Bemessung der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils ist zu beachten, ob der ihm neben oder nach der Erziehung und Betreuung in staatlichen Einrichtungen verbleibende Anteil an der Betreuung und Erziehung des Kindes in Verbindung mit einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit zu einer überobligationsmäßigen Belastung führt.

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Urteil

Gericht         : BGH 
Datum           : 16.07.2008 
Aktenzeichen    : XII ZR 109/05 
Leitparagraph   : BGB §1615, BGB §1610, BGB §1570 
Quelle          : FamRZ 2008, Seite 1739 ff 
Kommentiert von : RA Simon Heinzel 

Inhalt:

Folgender Sachverhalt lag zu Grunde

 

Die Prozessparteien sind Eltern von zwei Kindern im Alter von 10 und 7 Jahren (nichtehelich). Die Mutter der Kinder hat einen weiteren älteren Sohn aus einer früheren Ehe. Als die Klägerin von dem Beklagten schwanger war, zogen die Parteien zusammen ohne die Ehe zu schließen. Die beiden nichtehelichen Kinder wurden geboren, während die Eltern auch ständig zusammen lebten. Die Streitparteien trennten sich im Jahr 2002, seit Februar 2004 hat die Frau einen neuen Freund, der Mann ist seit Oktober 2004 mit einer neuen Partnerin verheiratet. Der Mann und Vater der beiden nichtehelichen Kinder zahlte nach der Trennung neben Kindesunterhalt auch Unterhalt für die Mutter, hat diese Zahlungen für Unterhalt an die Mutter (nicht den Kindesunterhalt) mit dem 3. Geburtstag des jüngeren Kindes Anfang 2004 eingestellt. Die Mutter als Klägerin hat Betreuungsunterhalt über diesen Zeitraum hinaus geltend gemacht. Das AG und das OLG als Berufungsgericht haben der Mutter Unterhalt in Höhe von zuletzt 216 Euro bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres des jüngsten Kindes zugesprochen.

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Auf die Revision der Mutter, die einen unbefristeten und höheren Unterhalt (monatlich 1335 Euro) begehrt und die Anschlussrevision des Mannes, der Klageabweisung und Rückzahlung eines Teils des in der Vergangenheit bezahlten Unterhalts anstrebt, hat der BGH die Entscheidung des OLG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das OLG zurückverwiesen, mit der Begründung, der Sachverhalt für die Begründung der Verlängerung bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres sei nicht hinreichend ermittelt worden.

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Der BGH hatte vor allem zwei in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Rechtsfragen zu beantworten, die sich auf die Höhe des Unterhaltsbedarfs und auf die Dauer des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt auswirken. Mit diesem Urteil hat sich der BGH erstmals mit dem grundlegend neu gestalteten Betreuungsunterhalt bei nicht miteinander verheirateten Eltern befasst, dabei aber gleichzeitig auch Auswirkungen auf den Betreuungsunterhaltsanspruch eines geschiedenen Elternteils aufgezeigt.

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Die Entscheidung des BGH:

Der BGH führt aus, dass die Ausführungen des OLG in wesentlichen Punkten der rechtlichen Nachprüfung nicht standhalten. So wurden bereits bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs Rechtsgrundsätze des BGH aus früheren Entscheidungen nicht beachtet, ebenso wenig konnte die Beschränkung des Unterhaltsanspruchs bis zum 6. Lebensjahr des jüngsten Kindes den BGH überzeugen:

  1. Der Unterhaltsbedarf der Mutter eines nichtehelichen Kindes gemäß § 1615 l Abs. 2 BGB bestimmt sich nach der Lebensstellung der Mutter vor der Geburt des/der Kinder und ermittelt sich nicht aus den Einkünften des Vaters. Im Unterschied zum Betreuungsunterhaltsanspruch bei ehelichen Kindern (§ 1570 BGB) gibt es beim Unterhaltsanspruch der Mutter eines nichtehelichen Kindes wegen Betreuung des Kindes (§ 1615 l Abs. 2 BGB) keine Unterhaltsverpflichtungen allein aus einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, auch wenn die Eltern des nichtehelichen Kindes längere Zeit zusammengelebt haben. Der Unterhaltsbedarf der Mutter eines nichtehelichen Kindes bestimmt sich ausschließlich nach deren Lebensstellung und Einkommensstellung vor der Geburt des Kindes und leitet sich nicht aus einer etwaigen nichtehelichen Lebensgemeinschaft ab.Diese Feststellungen des BGH enthalten nicht wesentlich Neues. Es wird lediglich der mit großer Mehrheit in der Rechtsprechung vertretene Standpunkt (OLG Düsseldorf, FamRZ 2008, S. 87, OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, S. 974 u. a.) bestätigt. Der BGH erteilt den vereinzelten Befürwortern eines Quotenunterhaltes (bei Zusammenleben: OLG Bremen, FamRZ 2008, S. 1281, Wendl/Pauling, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Auflage, § 7, Rz. 27 u. a.) entsprechend der Einkommensverhältnisse wie beim nachehelichen Betreuungsunterhalt eine Absage. In seiner Entscheidung verweist der BGH darauf, dass ungeachtet dessen der Grundsatz der Halbteilung ebenso wie bei dem nachehelichen Betreuungsunterhalt bei dem Unterhaltsanspruch der Mutter eines nichtehelichen Kindes gilt. Der BGH führt in seinen weiteren Entscheidungsgründen dann aus, wie hoch auf der Grundlage dieser Grundsätze der Unterhaltsbedarf der Mutter zu ermitteln ist. Da auch noch ein Betreuungsunterhaltsanspruch gegen den früheren Ehemann wegen Betreuung des ersten Kindes im Raum stand, bedurfte es einer Ermittlung von Haftungsquoten für den Bedarf der Mutter, nachdem dies jedoch lediglich eine Wiederholung früherer Rechtsprechung des BGH darstellt, wird insoweit auf den Abdruck des Gesamturteils in FamRZ 2008, S. 1739 ff. verwiesen, die hiesige Urteilsbesprechung beschränkt sich auf den Inhalt der 3 Leitsätze.
  2. In den Fällen des nachehelichen Betreuungsunterhalts (§ 1570 BGB) und des Betreuungsunterhalts der Mutter eines nichtehelichen Kindes (§ 1615 l Abs. 2 BGB) kann zunächst nur für die Dauer von mindestens 3 Jahren nach der Geburt Betreuungsunterhalt verlangt werden. Wird über das 3. Lebensjahr hinaus Unterhalt begehrt, muss der Unterhaltsberechtigte dafür Gründe darlegen und beweisen. Neben kindbezogenen Gründen können bei beiden Fallvarianten auch elternbezogene Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts sprechen.Nach § 1615 l Abs. 2 S. 3 BGB besteht die Unterhaltspflicht für mindestens 3 Jahre nach der Geburt des Kindes. Sie verlängert sich, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht. Dabei sind die Belange des Kindes und bestehende Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen. Für Unterhaltsansprüche, die bereits vor dem 01.01.2008 fällig waren ist § 1615 l Abs. 2 BGB alte Fassung anzuwenden, danach verlängert sich der Unterhaltsanspruch, sofern es insbesondere unter Berücksichtigung der Belange des Kindes grob unbillig wäre, eine Unterhaltsanspruch nach Ablauf der 3-Jahresfrist zu versagen. Schon nach der Rechtsprechung zum alten Recht verbot sich eine restriktive Auslegung der Verlängerungsmöglichkeit (BGH, FamRZ 2006, S. 1362). Darlegungs- und beweispflichtig für eine Verlängerung über das 3. Lebensalter des Kindes hinaus ist die unterhaltsberechtigte Mutter. Der BGH stellt klar, dass neben kindsbezogenen Gründen auch elternbezogene Umstände für die Verlängerung des Betreuungsunterhalts maßgeblich sind, insbesondere, wenn durch ein Zusammenleben als Familie ein Vertrauenstatbestand für den Unterhaltsberechtigten geschaffen wurde. Diese regelmäßig geringer zu bewertenden elternbezogenen Gründe können beispielsweise vorliegen, wenn ein gemeinsamer Kinderwunsch bestand, die Eltern zusammenlebten. Es ist auf die individuellen Umstände der Eltern und das Maß ihrer Bindung abzustellen. Auch die Anzahl der gemeinsamen Kinder kann maßgeblich sein. Der BGH weist auch darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht verlangt hat, dass der Betreuungsunterhalt der Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes und der nacheheliche Betreuungsunterhalt annähernd gleich sind, d. h. die Anspruchsvoraussetzungen nahezu gleich ausgestaltet sein müssen. Der BGH geht daher davon aus, dass sich beide Ansprüche nicht unterscheiden und somit auch gleich zu bewerten sind. Der Vertrauenstatbestand, der für eine Verlängerung des Unterhalts aus elternbezogenen Gründen über das 3. Lebensjahr des Kindes hinaus, durch ein Zusammenleben als Familie begründet wird, ist bei einer Eheschließung und bei einem nachehelichen Betreuungsunterhaltsanspruch nach § 1570 BGB stets vorhanden. Trotz der bestehenden Darlegungs- und Beweislast für die Verlängerung des Betreuungsunterhaltsanspruchs bleibt es für die Dauer der ersten 3 Jahre des Kindes dabei, dass der betreuende Elternteil die freie Wahl hat, ob er die Betreuung und Erziehung des Kindes in dieser Zeit selbst vornehmen möchte oder, um eine eigene Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, staatliche oder nichtstaatliche Kinderbetreuungseinrichtungen in Anspruch nimmt oder nicht. In den ersten 3 Jahren kommt es auf etwaige Drittbetreuungsmöglichkeiten nicht an.
  3. Auch dann, wenn ein Kind im Kindergarten volltags betreut wird, führt dies nicht notwendig zu einer vollschichtigen Erwerbspflicht des betreuenden Elternteils, ggf. sind hinsichtlich der Erwerbsobliegenheiten auch nach neuem Recht Pauschalierungen unter Berücksichtigung des Alters des Kindes (modifiziertes Altersphasenmodell) möglich. Der BGH führt aus, dass im Rahmen der elternbezogenen Gründe für die Verlängerung des Unterhaltsanspruchs ein weiterer Gesichtspunkt in Betracht kommt. Bei der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils ist nämlich stets zu beachten, ob der über die Volltagsbetreuung des Kindes in Einrichtungen (Kita, Kindergarten etc.) hinausgehende und verbleibende Anteil der persönlichen Betreuung und Erziehung des Kindes bei einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit zu einer überobligatorischen Belastung des betreuenden Elternteils führen kann (so BGH, FamRZ 2006, S. 846). Denn selbst wenn ein Kind ganztags in einer Einrichtung betreut und erzogen wird, kann sich bei Rückkehr in die Familienwohnung ein weiterer Betreuungsbedarf ergeben, dessen Umfang im Einzelfall unterschiedlich sein wir, vor allem aber vom Alter des Kindes abhängen kann. Der BGH weist darauf hin, dass ein solcher zusätzlicher Betreuungsbedarf wohl bei kleineren Kindern höher ist, als bei größeren und älteren Kindern. Natürlich hängt dies auch von der anderweitigen Aufgabenverteilung in der vormals funktionierenden Familie ab. Weiteres führt der BGH hierzu nicht aus, sondern überlässt es dem Oberlandesgericht durch die Rückverweisung evtl. Fallgruppen zu bilden, die einer gewissen Pauschalierung zugänglich sind, der BGH spricht zwar nicht offen an, dass ein irgendwie gelagertes Altersphasenmodell wieder Einzug findet, was jedoch wahrscheinlich erscheint.Umgekehrt bedeutet dies, dass über das 3. Lebensjahr des Kindes hinaus die Mütter wohl nicht von Anfang an vollschichtig arbeiten müssen, um den Bedarf zu decken, sodass Bedarfslücken möglicherweise verbleiben, die durch einen Unterhalt abzudecken sind.

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Fazit

 

Mit diesem Urteil äußert sich der BGH über insgesamt 46 Seiten ausführlich zu den Voraussetzungen des Betreuungsunterhalts über den Zeitraum von 3 Jahren hinaus. Der BGH bleibt jedoch in vielen Punkten „nebulös“ und schiebt mit der Zurückverweisung die Entscheidung dem OLG zu. Der Verfasser bezweifelt, dass es dem OLG gelingen wird, Pauschalierungen in einem sog. modifizierten Altersphasenmodell zu finden, da womöglich der Erziehungsbedarf bei älteren Kindern, insbesondere schulpflichtigen Kindern, über eine Volltagsbetreuung im Kinderhort hinaus höher sein kann (Stichwort: weitergehende Hausaufgabenbetreuung et.) als bei kleinen Kindern, die womöglich nach der Volltagsbetreuung sich direkt ins Bett begeben. Eine Alterspauschalierung erscheint daher problematisch, obwohl von einigen Gerichten schon derartige Altersphasenmodelle praktiziert werden. Der BGH hat in seinen Kernsätzen auch darauf hingewiesen, dass der Grundsatz die 3 Jahre sind und dieser Grundsatz nicht ins Gegenteil verkehrt werden darf und darüber hinaus die Darlegungs- und Beweislast über das 3. Lebensjahr hinaus ausschließlich beim Unterhaltsberechtigten liegt. Der Verfasser geht davon aus, dass der BGH mit dieser Begrenzung auf das 3. Lebensjahr grundsätzlich auch ausdrücken wollte, dass sowohl der Unterhaltsanspruch der Mutter eines nichtehelichen Kindes als auch der gleich ausgestaltete eheliche Betreuungsunterhaltsanspruch nur bis zum 3. Lebensjahr zunächst gefordert werden kann und ein gerichtlicher Antrag auf das 3. Lebensjahr zu beschränken ist, da wohl zum Zeitpunkt der Einklagung die besonderen Voraussetzungen für eine Verlängerung über das 3. Lebensjahr hinaus noch gar nicht dargelegt oder gar bewiesen werden können. Ausdrücklich wird dies jedoch im Urteil nicht festgeschrieben, sodass der Juristenstreit hierüber wohl fortgesetzt werden muss (siehe Merkblatt Nr. 81 des Verbandes ISUV/VDU e. V.).

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Der BGH hat sich nach Auffassung des Verfassers weitschweifend zum Betreuungsunterhalt in dem hier besprochenen Urteil „ausgelassen“ aber möglicherweise mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Auch die Medien hatten bezüglich dieses Urteils ihre Schwierigkeiten, anders ist nicht zu erklären, dass die Interpretationen in der Presse zu diesem ersten Urteil zum neuen Unterhaltsrecht sehr unterschiedlich ausfielen („Bundesgerichtshof korrigiert Gesetzgeber“ oder „Betreuungsunterhalt auch über das 3. Lebensjahr hinaus“).

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Die Unterhaltsrechtsprechung wird jedenfalls auch mit der Entscheidung des BGH nicht leichter gemacht, die angestrebte Vereinfachung insbesondere für die Justiz durch das neue Unterhaltsrecht wurde und wird mit Sicherheit nicht erreicht. In ähnlicher Form äußert sich auch Prof. Willutzki in seiner Kolumne im ISUV-Report Nr. 117, September 2008, Seite 4).