BGH, Urteil vom 16.12.2009 - Unterhaltsrecht

a)  Der Unterhaltsbedarf wegen Betreuung eines nichtehelich geborenen Kindes bemisst sich jedenfalls nach einem Mindestbedarf in Höhe des Existenzminimums, der unterhaltsrechtlich mit dem notwendigen Selbstbehalt eines Nichterwerbstätigen (zur Zeit 770 Euro) pauschaliert werden darf (im Anschluss an BGHZ 177, 272, 278 = FamRZ 2008, S. 1738 ff.).

 

b)  Hat der Unterhaltsberechtigte keine kind- oder elternbezogenen Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes hinaus vorgetragen, können solche nur insoweit berücksichtigt werden, als sie auf der Grundlage des sonst festgestellten Sachverhalts auf der Hand liegen.

 

 

Urteil

Gericht         : BGH
Datum           : 16.12.2009
Aktenzeichen    : XII ZR 50/08 
Leitparagraph   : BGB §1615, BGB §1610, BGB §1570, BGB §1578
Quelle          : www.bundesgerichtshof.de
Kommentiert von : RA Simon Heinzel

Inhalt:

Folgender Sachverhalt lag zu Grunde:

 

Die Parteien lebten von September 1995 bis März 2006 in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammen. Im November 1995 wurde der erste Sohn der Klägerin geboren, der noch aus einer anderen nichtehelichen Beziehung hervorgegangen war. Im August 2000 wurde der gemeinsame Sohn der Parteien geboren, der seit August 2006 die Schule besucht. Die Klägerin (Jahrgang 1968) war nach Abschluss des Studiums der Archäologie lediglich im Rahmen einiger zeitlich befristeter Projekte des Landesamtes für Archäologie erwerbstätig, das hierbei erzielte Einkommen ist nicht vorgetragen. Während des Zusammenlebens mit dem Beklagten war sie nicht erwerbstätig. Seit dem Jahr 2006 erzielt sie geringfügige Einkünfte in Höhe von monatlich rund 200 Euro netto. Seit 1987 leidet die Klägerin an Multipler Sklerose. Der Beklagte bezahlt Kindesunterhalt für den gemeinsamen Sohn. Die Klägerin begehrt einen Betreuungsunterhalt nach § 1615 l BGB ab Mai 2006 in Höhe von monatlich 908 Euro. Diesen Unterhaltsbedarf errechnet die Klägerin aus dem vom Einkommen des Beklagten abgeleiteten Elementarunterhalt und einem zusätzlichen Krankenvorsorgeunterhalt.

 

Das Amtsgericht hat die Klage im Wesentlichen abgewiesen, auf die Berufung der Klägerin hat ihr das Oberlandesgericht für die Zeit von Mai 2006 bis Januar 2007 Unterhalt in Höhe von 9 Monaten x 751 Euro zugesprochen. Für die Folgezeit hat das OLG einen Unterhaltsanspruch versagt, weil sie ihren Unterhaltsbedarf durch Einkünfte aus einer zumutbaren eigenen Erwerbstätigkeit decken könne, da das gemeinsame Kind nach den Feststellungen des OLG ab Februar 2007 in einer Schule mit Hort- und Hausaufgabenbetreuung hätte untergebracht werden können und eine solche Fremdbetreuung für das Kind auch zumutbar ist. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, sie begehrt weiterhin unbefristeten Betreuungsunterhalt in von ihr errechneter Höhe.

 

Die Entscheidung des BGH:

 

Die Entscheidung des OLG hält den Angriffen der Revision im Ergebnis stand. Zu Recht hat das OLG der Klage nur teilweise stattgegeben und sie für die Zeit ab Februar 2007 vollständig abgewiesen.

 

a)  Unterhaltsbedarf

Der BGH hält fest, dass es zutreffend ist, wenn der Unterhaltsbedarf der Klägerin nach der Höhe des notwendigen Selbstbehaltes bestimmt wurde. Der Unterhaltsbedarf bestimmt sich gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach ihrer Lebensstellung bei der Geburt des gemeinsamen Kindes. Der Unterhaltsanspruch soll sie nur so stellen, wie sie stünde, wenn das gemeinsame Kind nicht geboren wäre. Anders als beim nachehelichen Unterhalt, bei dem sich der Unterhaltsbedarf des geschiedenen Ehegatten auch nach bisherigem Einkommen des Unterhaltspflichtigen bemisst. Die Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes kann ihren Unterhaltsbedarf nicht von dem ggf. höheren Einkommen ihres Lebenspartners ableiten. Das gilt auch dann, wenn sie längere Zeit mit dem Lebenspartner zusammengelebt hat (BGH, Az. XII ZR 109/09 = FamRZ 2008, S. 1739). Anderes gilt auch dann nicht, wenn aus der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mehrere Kinder hervorgegangen sind. Die tatsächlichen Verhältnisse während des nichtehelichen Zusammenlebens vor der Geburt des gemeinsamen Kindes konnten keine Lebensstellung im Sinne der §§ 1615 l, 1610 Abs. 1 BGB begründen. Der Unterhalt nach § 1615 l BGB bemisst sich nicht wie der nacheheliche Unterhalt gemäß § 1578 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen sondern allein nach der Lebensstellung des Unterhaltsberechtigten.

b)  Mindestbedarf

Nachdem eine Lebensstellung vor der Geburt des Kindes während des Zusammenlebens nicht festgestellt werden konnte und auch etwaige Einkünfte, die eine Lebensstellung hätten darlegen können, nicht vorgetragen waren, muss man von einem Mindestbedarf der Klägerin ausgehen. Da der Betreuungsunterhalt der Mutter eine notwendige persönliche Betreuung des Kindes ermöglichen soll, ohne dass sie in dieser Zeit gezwungen ist, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, ist ihr ein Unterhaltsbedarf zuzubilligen, der nicht unter dem Existenzminimum liegen darf. Dieses Existenzminimum darf nach der Entscheidung des BGH in Höhe des nur wenig darüber hinausgehenden notwendigen Selbstbehalts eines Unterhaltspflichtigen pauschaliert werden, gegenwärtig 770 Euro (so auch Palandt/Dietrichsen, 69. Auflage, Rdn. 24, Wendl/Pauling, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Auflage, § 7, Rdn. 27, Eschenbruch/Klinkhammer/Menne, Der Unterhaltsprozess, 5. Auflage, Teil 4, Rdn. 44, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht/Gerhardt, 7. Auflage, 6. Kapitel, Rdn. 396 und 731 u. a.).

c)  Vollzeitige persönliche Betreuung des Kindes nur in den ersten drei Jahren

Nachdem die Klägerin den Mindestbedarf von 770 Euro ab Februar 2007 in voller Höhe durch zumutbare eigene Erwerbstätigkeit decken kann, besteht ab diesem Zeitpunkt kein Unterhaltsanspruch mehr. Sie könnte nach den Feststellungen des OLG sogar aus einer halbschichtigen Erwerbstätigkeit diesen Mindestbedarf erwirtschaften. Nach § 1615 l BGB darf sich der betreuende Elternteil nur in den ersten drei Lebensjahren für eine vollzeitige persönliche Betreuung des gemeinsamen Kindes entscheiden. Wird darüber hinaus Betreuungsunterhalt begehrt, muss der Anspruchsteller im Einzelnen darlegen, dass und in welchem Umfang neben den vorhandenen Möglichkeiten der Betreuung in einer kindergerechten Einrichtung noch weitere persönliche Betreuung des Kindes erforderlich ist. Kindbezogene Gründe, die eine persönliche Betreuung des 6 ½ jährigen Sohnes erfordern würden, wurden nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Neben dem Schulbesuch kommt eine Nachmittagsbetreuung in Betracht. Die Klägerin hat auch keine elternbezogenen Verlängerungsgründe vorgetragen, sodass die Klägerin nach Auffassung des BGH sogar zu einer Erwerbstätigkeit verpflichtet ist, die deutlich über eine halbschichtige Tätigkeit hinausgeht.

d)  Krankheit der Mutter

Ob die an MS erkrankte Klägerin aus gesundheitlichen Gründer erwerbsfähig ist oder ob sie einen Arbeitsplatz in ihrem erlernten Beruf als Archäologin finden kann, ist im Rahmen eines Unterhaltsanspruchs wegen Betreuung eines nichtehelich geborenen Kindes unerheblich, weil der Unterhaltsanspruch gemäß § 1615 l BGB ihre Lebensstellung nur wegen der notwendigen Kindesbetreuung sichern will. Einen Krankheitsunterhalt oder einen Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit, wie sie die §§ 1572, 1573 für den nachehelichen Unterhalt vorsehen, kennt § 1615 l BGB nicht.

 

Die zum Zeitpunkt der Entscheidung 41 Jahre alte Klägerin hat auch unter Berücksichtigung des durch das Zusammenleben gewonnenen Vertrauens mangels weiteren Vortrags zu kind- oder elternbezogenen Verlängerungsgründen eine über der halbschichtigen Erwerbstätigkeit liegende Erwerbsobliegenheit, hieran ändert auch die Krankheit oder eine Arbeitslosigkeit nichts, da das Krankheitsrisiko oder das Beschäftigungsrisiko beim (Betreuungs-)Unterhalt der Mutter eines nichtehelichen Kindes gemäß § 1615 l BGB nicht erfasst ist und nicht vom ehemaligen Lebenspartner (anders bei der Ehe) zu tragen ist.

 

Fazit

 

Mit dieser Entscheidung hat der BGH klargestellt, dass der Betreuungsunterhaltsanspruch der Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes niemals aus dem Einkommen des vormaligen Lebenspartners/Vaters abzuleiten ist, sondern sich ausschließlich danach bestimmt, welchen Verdienst die Mutter vor der Geburt des Kindes erzielt hat, welche Lebensstellung sie vor der Geburt des Kindes hatte. Diese ist jedoch niemals abzuleiten aus dem nichtehelichen Zusammenleben mit dem Lebenspartner vor der Geburt des Kindes. Vielmehr bemisst sich dieser Unterhalt letztendlich nach dem Einkommensverlust durch die Geburt des Kindes. Wenn vor der Geburt des Kindes kein Einkommen erzielt wurde, schreibt der BGH den Unterhaltsbedarf fest in Höhe eines Existenzminimums, welches pauschaliert in Höhe des sog. notwendigen Selbstbehalts der Unterhaltsleitlinien, derzeit 770 Euro, beziffert werden kann. Ob diese Pauschalierung in Einklang zu bringen ist mit der jüngsten Rechtssprechung des BVerfG (Urteil vom 9.2.2010) zu den Regelsätzen von Hartz IV erscheint zumindest fraglich. Das BVerfG hat zu verstehen gegeben, dass auch „Regelsätze“ transparent sein müssen und nicht ohne Begründung pauschaliert werden dürfen. Ungeachtet dessen muss man in der jetzigen Rechtspraxis im Unterhaltsrecht davon ausgehen, dass der notwendige Selbstbehalt einen Mindestbedarf darstellt.

 

Auf den Bedarf gemäß § 1615 l BGB sind Eigenverdienste anzurechnen, Elterngeld ist anzurechnen, soweit es den Mindestsatz von 300 Euro übersteigt.

 

Der BGH hat des Weiteren klar formuliert, dass nach dem dritten Lebensjahr des Kindes derjenige, der Unterhalts beansprucht, entweder kind- oder elternbezogene Gründe darlegen muss, um aus Billigkeitsgesichtspunkten über das dritte Lebensjahr hinaus Unterhalt zu erhalten. Das hat der BGH auch schon für den nachehelichen Betreuungsunterhalt entschieden (BGH, FamRZ 2009, S. 1391), Anderes kann für den Anspruch gemäß § 1615 l BGB nicht gelten, da sich die Unterhaltsansprüche insoweit weitgehend angeglichen haben. Kindbezogene Gründe sind z. B. erhöhter Betreuungsbedarf aufgrund von Krankheiten des Kindes aber auch etwaig fehlende Unterbringungsmöglichkeit in einer kindergerechten Einrichtung. Daneben sind elternbezogene Gründe denkbar, so ist ein Vertrauenstatbestand zu berücksichtigen, der sich aus den Nachwirkungen einer Ehe ergeben kann, dann, wenn während des Zusammenlebens eine besondere Gestaltung von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit bewusst gewählt wurde. Hierzu hat der BGH ausdrücklich festgehalten, dass es solche Gründe auch bei längeren Zusammenleben ohne Trauschein geben kann und auch hier insoweit Vertrauen geschaffen werden kann, was zu einer Verlängerung des Unterhaltsanspruchs über das dritte Lebensjahr hinaus führen kann. Diese kindbezogenen oder/und elternbezogenen Gründe hat der BGH in einem weiteren Urteil vom 13.1.2010 (BGH, Az. XII ZR 123/08) nochmals dargelegt und solche Gründe als Voraussetzung für eine Verlängerung des Unterhalts zwingend vorgeschrieben. Derjenige, der eine Verlängerung des Unterhalts begehrt, ist dafür darlegungs- und beweispflichtig. Daneben hat der BGH nochmals ausdrücklich klargestellt, dass es für Mütter von nichtehelichen Kindern nur diesen Betreuungsunterhaltsanspruch gibt und keine anderen Unterhaltstatbestände greifen.

 

Die Verknüpfungen oder die Unterschiede des Betreuungsunterhaltsanspruches der Mutter eines ehelichen und eines nichtehelichen Kindes werden auch in Zukunft die Gerichte beschäftigen. Auf der einen Seite hat der Gesetzgeber „auf Druck“ des BVerfG eine Gleichstellung dieser beiden Unterhaltsansprüche verlangt, da es letztendlich um die Gleichbehandlung von Kindern und deren Wohl geht, egal ob ehelich oder nichtehelich. Trotzdem gibt es weiterhin Unterschiede. Zu denken ist an die Ungleichbehandlung im Steuerrecht. Der Unterhaltsverpflichtete gegenüber dem Ex-Ehegatten wegen Betreuung eines Kindes kann diesen Unterhalt im Rahmen des so genannten Realsplittings steuerlich absetzen, was bei der Unterhaltspflicht nach § 1615 l BGB nicht gilt. Warum hier eine Ungleichbehandlung erfolgt, ist nicht nachvollziehbar, wird jedoch wohl dadurch begründet, dass auch die zusammenlebenden nichtehelichen Lebenspartner keine Steuervergünstigung erhalten (Ehegattensplitting), sodass auch nachwirkend kein Realsplitting geboten ist. Hierbei wird jedoch verkannt, dass z. B. der Vater eines nichtehelichen Kindes mit einer Unterhaltspflicht nach § 1615 l BGB gegenüber der Mutter mit dieser möglicherweise gar nicht zusammengelebt hat und es damit hierauf gar nicht ankommen kann. Es handelt sich letztendlich um Betreuungsunterhaltsansprüche wegen der Betreuung von Kindern, auch hier darf es keine Rolle spielen, ob es sich um eheliche oder nichteheliche Kinder handelt. Diese Frage im Steuerrecht wird mit Sicherheit irgendwann die Gerichte beschäftigen.