BGH, Urteil vom 1.6.2011 - Betreuungsunterhalt, nachehelicher Unterhalt

a) Ein Altersphasenmodell, das bei der Frage der Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus kindbezogenen Gründen allein oder wesentlich auf das Alter des Kindes, etwa während der Kindergarten- und Grundschulzeit, abstellt, wird den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht (im Anschluss an das Senatsurteil vom 30. März 2011 - XII ZR 3/09 - FamRZ 2011, 791).

b) Für die Betreuung des gemeinsamen Kindes ist grundsätzlich auch der barunterhaltspflichtige Elternteil in Betracht zu ziehen, wenn er dies ernsthaft und verlässlich anbietet. Wie bei der Ausgestaltung des Umgangsrechts nach § 1684 BGB ist auch im Rahmen des Betreuungsunterhalts nach § 1570 BGB maßgeblich auf das Kindeswohl abzustellen, hinter dem rein unterhaltsrechtliche Erwägungen zurücktreten müssen (im Anschluss an das Senatsurteil vom 15. September 2010 - XII ZR 20/09 - FamRZ 2010, 1880).

Urteil

Gericht         : BGH 
Datum           : 01.06.2011 
Aktenzeichen    : XII ZR 45/09 
Leitparagraph   : BGB §1570 
Quelle          : www.bundesgerichtshof.de 
Kommentiert von : RA Simon Heinzel 

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BGH, Urteil vom 15.6.2011 - Betreuungsunterhalt, nachehelicher Unterhalt

a) Ein Altersphasenmodell, das bei der Frage der Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus kindbezogenen Gründen allein oder wesentlich auf das Alter des Kindes, etwa bis zum achten und zum zwölften Lebensjahr, abstellt, wird den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht (im Anschluss an das Senatsurteil vom 30. März 2011 - XII ZR 3/09 - FamRZ 2011, 791).

 

 

 

b) Das gilt auch, wenn solche Altersphasen nur als Regelfall behandelt werden, innerhalb dessen die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind, die Begründung der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils aber nicht auf individuelle Einzelumstände gestützt ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 28).

 

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Urteil

 

Gericht         : BGH 
Datum           : 15.06.2011 
Aktenzeichen    : XII ZR 94/09 
Leitparagraph   : BGB §1570 
Quelle          : www.bundesgerichtshof.de 
Kommentiert von : RA Simon Heinzel 

Inhalt:

Beide BGH-Urteile halten nochmals ausdrücklich fest, dass ein sogenanntes Altersphasenmodell bei der Bestimmung der Erwerbsobliegenheit eines betreuenden Elternteils nicht geeignet ist, Kriterien für die entscheidende Frage zu liefern, ob der „Alleinerziehende“ wieder arbeiten muss oder nicht. Früher konnte man davon ausgehen, dass bis zum 8. Lebensjahr (3. Grundschulklasse) keine Erwerbsobliegenheit bestand, zwischen dem 8. und dem 15. Lebensjahr eine Obliegenheit zur teilschichtigen und ab dem 15. Lebensjahr zur vollschichtigen Erwerbsobliegenheit. Der Gesetzgeber hat zum 1.1.2008 festgeschrieben, dass bis zum 3. Lebensjahr keine Erwerbsobliegenheit besteht, danach unter Berücksichtigung der Gesamtumstände im Einzelfall zu klären ist, ob und wenn ja, in welchem Ausmaß eine Erwerbsobliegenheit besteht. Wenn Gerichte das Alter eines Kindes auch weiterhin als Hauptkriterium für ihre Entscheidung heranziehen, ohne anderweitige Umstände zu berücksichtigen, so widerspricht dies der Gesetzeslage. Dies hat der BGH in den beiden Entscheidungen nochmals klar hervorgehoben (so schon BGH, FamRZ 2011, S. 791).

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Nach der jetzigen Rechtslage ist der Übergang bis hin zu einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit „fließend“ zu gestalten und letztendlich im Einzelfall zu beurteilen, wobei folgende Kriterien ausschlaggebend sind:

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  • Möglichkeit der Fremdunterbringung in Kindertagesstätte, Kindergarten oder Kinderhort (auch hier sind die zeitlichen Unterbringungsmöglichkeit häufig sehr unterschiedlich, ein Umzug in einen anderen Ort, der entsprechende bessere Betreuungsmöglichkeiten bietet, wird nicht gefordert)
  • Krankheiten des Kindes, übermäßige eigene Betreuungsnotwendigkeit des Kindes, wobei dies der unterhaltsberechtigte betreuende Elternteil zu beweisen hat (zur Vermeidung einer gesteigerten Erwerbsobliegenheit sind Kinder heutzutage häufiger krank, haben Lerndefizite oder andere Gebrechen, wie das häufige ADS-Syndrom)
  • Auch bei langer Unterbringung eines Kindes in der Fremdbetreuung wird eine persönliche Betreuung im Verhältnis zum „normalen“ Arbeitnehmer nicht unerhebliche Zeit beanspruchen, so dass bei Betreuungsnotwendigkeit auch nach den Fremdbetreuungszeiten der betreuende Elternteil in der Erziehung weiterarbeitet, mit der Folge, dass seltenst vollschichtige Erwerbsobliegenheit besteht, sofern das Kind aufgrund des Alters und der weiteren Gesamtumstände noch der persönlichen Betreuung bedarf.
  • Selbstverständlich sind auch die Arbeitplatzmöglichkeiten, Wegstrecke zu Job, entscheidend für die Frage zur Erwerbsobliegenheit.

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Grundsätzlich ist derjenige, der Unterhaltsansprüche stellt, beweispflichtig für die Darlegung des Unterhaltstatbestandes, d. h. er muss darlegen und beweisen, wie sich im Einzelfall die Betreuungssituation darstellt, wie die Fremdbetreuungsmöglichkeiten (nicht) bestehen etc. So ist etwa eine Bestätigung der Gemeinde etc. vorzulegen, dass kein KiTa- oder Kindergartenplatz vorhanden ist oder eine Krankheit des Kindes ist durch ärztliche Atteste zu belegen. Besteht eine Erwerbsobliegenheit, muss ggf. bewiesen werden, dass kein Job gefunden wird. Insoweit müssen Bewerbungen und auch entsprechende Absagen in gebotener Anzahl und Form vorgelegt werden (für die Bewerbung muss in etwa so viel Zeit aufgewendet werden, wie eine Erwerbsobliegenheit besteht, z. B. 4 Stunden am Tag bei halbschichtiger Obliegenheit).

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Eine Begründung der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils bzw. der eingeschränkten oder fehlenden Erwerbsobliegenheit muss durch ein Gericht immer auf individuelle Einzelumstände gestützt werden, bzgl. derer der betreuende Elternteil nach dem 3. Lebensjahr des Kindes darlegungs- und beweispflichtig ist.

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Das Urteil vom 1.6.2011 beinhaltet noch den Zusatz, dass auch der nicht betreuende Elternteil als Betreuungsperson in Betracht kommt, wenn er dies ernsthaft und verlässlich anbietet, damit der andere Elternteil arbeiten kann. Der Entscheidung lag der besondere Sachverhalt zugrunde, dass der nicht betreuende Elternteil sich bereits im vorzeitigen Ruhestand befand und somit auch die Betreuung des Kindes verlässlich anbieten konnte. Bei einem noch im Erwerbsleben Stehenden wird dies kaum möglich sein.