BGH, Urteil vom 17.09.2008 - Unterhaltsrecht

Der Vorrang des Unterhalts minderjähriger Kinder gegenüber Ehegatten gilt auch im Mangelfall für das gesamte verfügbare Einkommen des Unterhaltspflichtigen und schließt den Splittingvorteil aus dessen neuer Ehe ein.

 

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Urteil

Gericht         : BGH
Datum           : 17.09.2008
Aktenzeichen    : XII ZR 72/06 
Leitparagraph   : BGB §1603, BGB §1609, BGB §1610
Quelle          : FamRZ 2008, S. 2189
Kommentiert von : RA Simon Heinzel

Inhalt:

Folgender Sachverhalt lag zugrunde:

 

Das Einkommen des Vaters reichte nicht aus (Mangelfall) um den Unterhalt seiner Kinder aus erster Ehe, seiner geschiedenen Ehefrau und – nach Wiederverheiratung – auch seiner neuen Ehefrau sicherzustellen. Die erste Ehe wurde im Jahr 2001 geschieden, der Unterhalt der drei Söhne aus dieser Ehe und der Ehefrau wurde zuletzt im Jahr 2003 durch das Familiengericht festgesetzt. Da bereits damals ein Mangelfall vorlag, lagen die festgesetzten Unterhaltsbeträge für die Kinder schon seinerzeit weit unterhalb des Existenzminimums. Sowohl die geschiedene Ehefrau als auch die drei Kinder verlangten eine Unterhaltserhöhung mit der Begründung, frühere Kreditverbindlichkeiten seien weggefallen. Dies nahm der Unterhaltsverpflichtete zum Anlass, einen vollständigen Wegfall des Unterhalts zu begehren. Er beruft sich auf einen Arbeitsplatzwechsel und den Umzug zu seiner jetzigen Ehefrau und damit zusammenhängender fehlender Leistungsfähigkeit. Der Splittingvorteil aus der neuen Ehe müsse ausschließlich der neuen Ehe vorbehalten bleiben.

Das Amtsgericht folgt dem Vater und hat den Unterhaltsanspruch abgewiesen. Das OLG verringerte den Unterhalt der Kinder auf ca. 50 % des vormals festgelegten Unterhalts. Das OLG hat das Einkommen des Unterhaltspflichtigen nur insoweit berücksichtigt, wie es sich ohne Splittingvorteil errechnet. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Revision zum BGH.

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Die Entscheidung des BGH:

Der BGH folgt dem Oberlandesgericht nicht. Der BGH hat darauf hingewiesen, dass in anderen Fallgestaltungen beim Kindesunterhalt der Splittingvorteil aus einer neuen Ehe beim Einkommen des Unterhaltspflichtigen mit zu berücksichtigen ist. Im hier vorliegenden Fall war zu prüfen, ob dies auch in einem Mangelfall gilt, wenn der aus der Wiederverheiratung stammende Splittingvorteil vollständig für den vorrangigen Kindesunterhalt verbraucht wird. Dies hat der BGH ausdrücklich bejaht.

Der BGH begründet dies vor allem damit, dass minderjährige Kinder seit 01.01.2008 im ersten Unterhaltsrang stehen. Insoweit sind Kindesunterhaltsansprüche allen anderen Unterhaltsansprüchen vorrangig. Eltern müssen gemäß § 1603 BGB alle verfügbaren Mittel für den Kindesunterhalt verwenden, so genannte gesteigerte Unterhaltspflicht. Zwar musste früher der Unterhaltspflichtige mit seinen Kindern sogar „sein letztes Hemd“ teilen, was mit der Einführung eines Selbstbehalts eingeschränkt wurde, was jedoch nichts daran ändert, dass sämtliches Einkommen, auch aus dem Splittingvorteil zur Unterhaltsbemessung und im Mangelfall auch zur Unterhaltsbezahlung heranzuziehen ist. Sämtlichen Begründungen, die das OLG herangezogen hat, um den Splittingvorteil außen vor zu lassen, hat der BGH eine Absage erteilt, insbesondere mit dem Hinweis darauf, dass das Gesetz keinerlei Einschränkungen vorsieht. Eine besondere unterhaltsrechtliche Zuteilung des Steuervorteils an den neuen Ehegatten ist auch dann nicht geboten, wenn der Steuervorteil im Wesentlichen darauf beruht, dass der neue Ehegatte kein oder nur ein geringes Einkommen hat und deswegen selbst unterhaltsbedürftig ist. Auch in diesen Fällen „wandert“ der Splittingvorteil im Mangelfall entweder ganz oder zum Großteil durch die Kindesunterhaltsverpflichtung an die Kinder, egal ob aus erster oder zweiter Ehe.

Eine Einschränkung ergibt sich nur dann, wenn bei Steuerklassenwahl III (Ehemann und Unterhaltspflichtiger) und V (neue Ehefrau) die neue Ehefrau Einkommen erzielt und durch die Steuerklassenwahl eine Verlagerung des aktuellen Monatseinkommens vom weniger verdienenden Ehegatten auf den mehr verdienenden Ehegatten erfolgt. In diesem Fall muss auch der neue Ehegatte einen seinem Eigeneinkommen entsprechenden Anteil am Splittingvorteil behalten. Der Ehemann hat dann nur den auf sein Einkommen entfallenden Anteil des Splittingvorteils für den Kindesunterhalt einzusetzen.

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Fazit

Mit dieser Entscheidung hat der BGH erstmals zum Splittingvorteil aus neuer Ehe beim Kindesunterhalt im Mangelfall Stellung genommen. Wenn kein Mangelfall vorliegt, war und ist die Rechtsprechung eindeutig, dass der Splittingvorteil für die Bemessung des Unterhaltsanspruchs herangezogen wird. Im Mangelfall wird jedoch häufig ein solcher Splittingvorteil nicht nur für die Bedarfsbestimmung nach der Unterhaltstabelle von Bedeutung sein, sondern der Splittingvorteil wird zum Großteil oder sogar ganz für die Unterhaltsbezahlung aufgebraucht. Dies hat der BGH grundsätzlich für in Ordnung befunden, mit der Einschränkung, dass der neue Ehegatte seinen Anteil am Splittingvorteil der neuen Ehe behalten darf und dieser nicht für den Kindesunterhalt der vorherigen Ehe einzusetzen hat.

Dieses Urteil ist zu begrüßen, da minderjährige Kinder normalerweise (mit Ausnahme minderjähriger Kinder, die sich in Lehrausbildung befinden) gar keine Möglichkeit haben, eigenes Geld zu verdienen, das schwächste Glied in der Unterhaltskette sind. Nicht umsonst hat auch der Gesetzgeber alle minderjährigen Kinder in den ersten Unterhaltsrang gesetzt (seit 01.01.2008). Natürlich könnte man darüber nachdenken, den Unterhaltsanspruch minderjähriger Kinder noch weitergehend dahingehend zu differenzieren, als z. B. minderjährige Kinder, die eigenes Geld verdienen (Azubi etc.) anders zu behandeln sind als Klein- bzw. Kleinstkinder. Die Rechtsprechung und der Gesetzgeber behandeln alle minderjährigen Kinder gleich und stellen insoweit noch die bis 21-jährigen, die in einer allgemeinen Schulausbildung sich befinden und im Haushalt eines Elternteils leben den minderjährigen Kindern gleich. Der BGH drückt die gesteigerte Erwerbsobliegenheit gegenüber minderjährigen Kindern zutreffend und anschaulich dar („letztes Hemd“) und folgt damit auch der Intention des Gesetzgebers, wonach zu allererst die Kinder an erster Rangstelle stehen und erst danach andere Unterhaltsberechtigte umgangssprachlich ausgedrückt „dran“ sind. Dieser Rechtsgedanke ist ebenso bei der Einkommensbestimmung des Unterhaltspflichtigen zu beachten, was zu befürworten ist. Dies gilt umso mehr als der BGH Ungerechtigkeiten bei Eigenverdienst des neuen Ehegatten und Steuerklasse V gesehen hat und entsprechend die oben zitierte Einschränkung des Einbezugs des gesamten Splittingvorteils vorgenommen hat.

Der Splittingvorteil bei Ehegattenunterhalt verbleibt grundsätzlich bei der neuen Ehe, wenn jedoch gleichrangige Ehegattenunterhaltsansprüche einer Erstehefrau und einer Zweitehefrau zu bestimmen sind, wird auch nach neuester Rechtsprechung des BGH (mit gewissen Einschränkungen) der gesamte Splittingvorteil in die Bedarfsberechnung des Unterhalts der Erstehefrau und der Zweitehefrau mit einbezogen (BGH, Urteil vom 30.07.2008, Az. XII ZR 177/06).