BGH, Urteil vom 18.01.2009 - Unterhaltsrecht

  1. Schuldet der Unterhaltspflichtige neben dem unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten auch nachehelich geborenen Kindern oder einem neuen Ehegatten Unterhalt, sind die neu hinzugekommenen Unterhaltspflichten regelmäßig auch bei der Bemessung der ehelichen Lebensverhältnisse (§ 1578 Abs. 1 BGB) der geschiedenen Ehe zu berücksichtigen. Soweit ein nachehelicher Karrieresprung lediglich einen neu hinzugetretenen Unterhaltsanspruch auffängt, ist das daraus resultierende Einkommen in die Unterhaltsbemessung einzubeziehen (im Anschluss an das Senatsurteil vom 17. 12. 2008 – XII ZR 7/07 – FamRZ 2009 S. 411).
  2. In Fällen einer Verurteilung zu künftig fällig werdenden Leistungen ist die Anschließung an eine gegnerische Berufung bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung möglich. Dies setzt nach § 524 Abs. 2 S. 3 ZPO nicht voraus, dass die zur Begründung vorgetragenen Umstände erst nach der letzten mündlichen Verhandlung in erster Instanz entstanden sind.

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Urteil

Gericht         : BGH 
Datum           : 18.01.2009 
Aktenzeichen    : XII ZR 119/07 
Leitparagraph   : BGB §1578, ZPO §524, FamFG §117 
Quelle          : FamRZ 2009, S. 579 
Kommentiert von : RA Simon Heinzel 

Inhalt:

Folgender Sachverhalt lag zugrunde:

 

Die Parteien streiten um Abänderung nachehelichen Unterhalts für die Zeit ab Juni 2005. Die Parteien haben 1992 geheiretet, seit Anfang 1997 leben sie getrennt, seit Mitte 2000 sind sie geschieden. Aus der Ehe sind zwei Kinder (geboren 1993/1995) hervorgegangen, die bei der Mutter leben. Der Unterhalt für die Kinder in Höhe von 190% des Regelbetrages war zuletzt festgelegt durch gerichtlichen Vergleich aus dem Jahr 2006, wobei eventueller schulbedingter Sonder- und Mehrbedarf mit umfasst ist. Mit der Scheidung wurde Ehegattenunterhalt festgelegt von gerundet 500,– € (einschließlich Altersvorsorgeunterhalt), Grundlage war ein Einkommen des Mannes (Assistenzarzt) von ca. 1.300,– € (nach Abzug von Kindesunterhalt). Die Frau verdiente ca. 1.100,– €, wobei dies damals als überobligatorisch angesehen wurde und mit ca. 600,– € in die Unterhaltsberechnung eingeflossen ist. Während der Ehe, nach Trennung, wurde der Mann Facharzt, nach der Scheidung erlangte er einen weiteren Facharzttitel und wurde 2002 Oberarzt. Er ist seit 2001 wieder verheiratet und hat mit seiner neuen Ehefrau zwei weitere Kinder (geboren 2001/2004).

Das Amtsgericht hat den Mann verurteilt, Unterhaltsrückstand zu leisten sowie erhöhten Ehegattenunterhalt. Die Berufung hiergegen blieb erfolglos. Im Berufungsverfahren hat die Frau Anschlussberufung eingelegt mit dem Begehren, höheren Unterhalt zu erhalten als mit Ersturteil festgelegt. Das OLG hat diese Anschlussberufung als unzulässig verworfen. Beide Parteien haben Revision eingelegt, die Frau wegen der abgewiesenen Anschlussberufung, der Mann mit dem Antrag, die Klage insgesamt abzuweisen.

Der BGH hat das Urteil des OLG aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

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Die Entscheidung des BGH

 

1. Das OLG (FamRZ 2007, S. 1821) hat die Berufung des Mannes zurückgewiesen, weil ein nachehelicher Unterhaltsanspruch bestünde, es sei vom Einkommen als Oberarzt auszugehen. Ein Karrieresprung liegt nicht vor, da aus der Sicht im Zeitpunkt der Scheidung der Aufstieg zum Oberarzt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war. Deshalb hat das Berufungsgericht den Unterhalt aus dem hohen Einkommen als Oberarzt berechnet, dies nach Vorwegabzug des Unterhalts aller Kinder aus erster und zweiter Ehe. Die Zweitehefrau war nachrangig (2007). Im Hinblick auf das Alter der gemeinsamen Kinder sei keine Ausweitung der halbschichtigen Erwerbstätigkeit geboten, ein Befristungsgrund sei nicht vorliegend, wegen ehebedingter Nachteile. Die Anschlussberufung der Frau sei unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Berufungserwiderungsfrist eingegangen ist, sondern erst in der letzten mündlichen Verhandlung erhoben worden ist. Auch bei Unterhaltsansprüchen ist diese Frist zu beachten, es sei denn, zwischen der letzten mündlichen Verhandlung in erster Instanz und nach Ablauf der Berufungserwiderungsfrist haben sich die maßgeblichen Verhältnisse verändert, dies war hier nicht der Fall.

2. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten in wesentlichen Punkten den Angriffen der Revision nicht stand.

a) Die Anschlussberufung war nicht verspätet. Der BGH führt über mehrere Seiten aus, warum gerade in Unterhaltsfällen eine Anschlussberufung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz eingelegt werden kann (Prozessökonomie, anderenfalls das nächste Abänderungsverfahren vorprogrammiert wäre). Es bedarf auch keiner Änderung der tatsächlichen Verhältnisse seit der letzten mündlichen Verhandlung in erster Instanz (andere Ansicht bislang OLG Nürnberg, Az. 7 UF 244/08, OLG Düsseldorf, FamRZ 2007, S. 1572, OLG Koblenz, FamRZ 2007, S. 1999 u.a.). Der BGH hat sich der anderen Auffassung angeschlossen, wonach die Anschlussberufung großzügig zuzulassen ist, da die andere Rechtsauffassung sich nicht eindeutig aus dem Gesetz entnehmen lasse (OLG Koblenz, OLGR 2007, S. 788, Klinkhammer, FF 2006, S. 95 ff., wobei BGH-Richter Klinkhammer an der hiesigen Entscheidung mitgewirkt hat). Auch das neue FamFG, wirksam ab 1. 9. 2009, lässt eine Anschlussbeschwerde zu (§ 66 FamFG), ohne dass diese zeitlich befristet wird. Auch der Verweis in § 117 Abs. 2 FamFG auf § 524 Abs. 2 S. 2/3 ZPO lässt keine andere Auslegung zu. Der BGH führt weiter aus, dass die Anschlussberufung auch begründet ist, insoweit reicht eine Inbezugnahme auf den Inhalt der zeitlich vorausgegangenen Berufungserwiderung.

b) Auch die Revision des Mannes führt zur Aufhebung des Urteils, da das OLG die Unterhaltspflicht für die beiden nachehelich geborenen Kinder beim Nachehelichenunterhalt unberücksichtigt gelassen hat. Die nunmehr verfestigte Rechtsprechung zu den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen führt dazu, dass auch spätere Änderungen des zur Verfügung stehenden Einkommens zu berücksichtigen sind (BGH, FamRZ 2009, S. 411, BGH, FamRZ 2009, S. 23 und BGH FamRZ 2008, S. 968, BGH, FamRZ 2008, S. 1911 = ISUV-Report 118 S. 17/18). Eine nacheheliche Verringerung des verfügbaren Einkommens findet ihre Grenzen erst bei der Verletzung der nachehelichen Solidarität (Verringerung des Einkommens durch Aufgabe der Berufstätigkeit in unterhaltsrechtlich vorwerfbarer Weise). Neu hinzutretende Unterhaltspflichten verändern die ehelichen Lebensverhältnisse, auf den Rang der Unterhaltsansprüche kommt es grundsätzlich nicht an. Später geborene Kinder aus zweiter Ehe oder Unterhaltsansprüche der Zweitehefrau sind daher bei der Bemessung der ehelichen Lebensverhältnisse und des Ehegattenunterhalts der Erstehefrau zu berücksichtigen. Weil sich die Unterhaltsansprüche eines geschiedenen und eines neuen Ehegatten wechselseitig beeinflussen, ist der Unterhaltsbedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen regelmäßig im Wege der Dreiteilung des tatsächlich vorhandenen Einkommens unter Einschluss des Splittingvorteils aus der neuen Ehe zu bemessen. Lediglich als Obergrenze ist der Betrag zu beachten, der sich ohne die neue Ehe und den sich daraus ergebenden Splittingvorteil als Unterhalt im Wege der Halbteilung ergeben würde (BGH, FamRZ 2008, S. 1911, FamRZ 2009, S. 411).

Das gestiegene Einkommen als Oberarzt ist mit dem OLG hier miteinzubeziehen, da nicht von einem Karrieresprung auszugehen ist, da es sich nicht um eine unerwartete Einkommenssteigerung handelt. Selbst wenn es sich um einen Karrieresprung handeln würde, müssten solche Einkommensentwicklungen mitberücksichtigt werden, wenn weitere Unterhaltsberechtigte hinzutreten und hierdurch sich der Unterhaltsbedarf der Erstehefrau mindert. Soweit also ein nachehelicher Karrieresprung lediglich eine neu hinzugetretene Unterhaltspflicht auffängt, ist das erhöhte Einkommen zu berücksichtigen, dies im Wege der Dreiteilung. Die Erstehefrau kann jedoch unter Einbezug des Karrieresprungs nicht besser gestellt werden als vorher.

Der BGH sieht auch eine erhöhte Erwerbsobliegenheit der Erstehefrau (ab 1.1.2008, vorher nicht, da nach dem alten Altersphasenmodell aufgrund des Alters der Kinder aus erster Ehe dies gerechtfertigt war), wegen der grundlegenden Umgestaltung von § 1570 BGB war hier von einer gesteigerten Erwerbsobliegenheit auszugehen (siehe auch BGH, Urteil v. 18. 3. 2009, Az. XII ZR 74/08). Da das OLG dies nicht geprüft hat und die Parteien hierzu auch nicht vorgetragen haben, muss ihnen Gelegenheit dazu gegeben werden, sodass Rückverweisung an das OLG geboten ist. Das Berufungsgericht hat dann alle Unterhaltsansprüche und Begrenzungsmöglichkeiten des Gesetzes zu prüfen.

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Fazit

1. Die Entscheidung bezüglich der Zulässigkeit der Anschlussberufung bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz führt endlich zur Rechtssicherheit, da man die Veränderungen des Gesetzgebers zu dieser Problematik nicht als „Ruhmesblatt“ bezeichnen kann. Bis Ende 2001 bestand insgesamt Fristfreiheit, dann wurde in § 524 ZPO eine Regelung eingeführt, wonach die Anschlussberufung eben auf einen Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung befristet ist, um dann zum 1. 9. 2004 bei Inkrafttreten des Justizmodernisierungsgesetzes das Problem der Zeit zwischen erster Instanz und Abschluss der zweiten Instanz nicht mitzuregeln. Der BGH hat sich mit der hiesigen Entscheidung für die großzügige Ansicht entschieden, wohl auch, weil zum 1. 9.2009 das neue FamFG in Kraft tritt, und auch dort keine ausdrückliche Beschränkung normiert wurde. Zudem hat bei der hiesigen Entscheidung des XII. Zivilsenats der Richter Klinkhammer mitgewirkt, der in mehreren Publikationen die hier entschiedene Rechtsauffassung bereits vertreten hat und ein gewisser Zusammenhang nicht zu verkennen ist.

 

2. Weiterhin hat der BGH sich mal wieder zu den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen geäußert und seine Rechtsprechung fortgesetzt, bestätigt und in Nuancen verfeinert. So sind in jüngster Vergangenheit zu den ehelichen Lebensverhältnissen mit gleicher Intention und gleichem Tenor mehrere BGH-Urteile ergangen (BGH, FamRZ 2008, S. 1911, BGH, FamRZ 2009, S. 411). Für die Praxis von Bedeutung ist insbesondere der vom BGH vorgegebene Berechnungsweg bei Erst-/Zweitehefrau im Wege der Dreiteilung des zur Verfügung stehenden Einkommen nach Vorwegabzug aller Kindesunterhaltsansprüche.

Zur Berechnung verweisen wir auf Merkblatt Nr. 24 des Verbandes ISUV/VDU und im Hinblick auf den Karrieresprung auf Merkblatt Nr. 31, beide Merkblätter sind auf dem aktuellsten Stand der BGH-Rechtsprechung.