BGH, Urteil vom 18.11.2009 - Unterhaltsrecht

  1. Der Unterhaltsbedarf des geschiedenen Ehegatten ist bei Wiederverheiratung des unterhaltspflichtigen Ehegatten zur gleichmäßigen Aufteilung des Einkommens der Beteiligten nach der so genannten Drittelmethode zu bemessen (im Anschluss an Senatsurteile, BGHZ, 177, 356 = FamRZ 2008, 1911~ v. 1.10.2008 – XII ZR 62/07 –, FamRZ 2009, 23~ BGHZ 179, 196 = FamRZ 2009, 411, und v. 28.1.2009 – XII ZR 119/07 –, FamRZ 2009, 579).
  2. Aufseiten des neuen Ehegatten kommt es bei der Unterhaltsbemessung nicht auf dessen Anspruch auf Familienunterhalt an, sondern auf den hypothetischen Unterhaltsanspruch im Fall einer Scheidung. Kommt hierfür ein Anspruch wegen Kinderbetreuung infrage, so haben elternbezogene Gründe nach § 1570 II BGB, die auf der Rollenverteilung in der neuen Ehe beruhen, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben.
  3. Im Abänderungsverfahren ist der Einwand der Befristung ausgeschlossen, wenn sich seit Schluss der mündlichen Verhandlung im vorausgegangenen Verfahren die für eine Befristung wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse nicht geändert haben (im Anschluss an Senatsurteile v. 9.6.2004 – XII ZR 308/01 –, FamRZ 2004, 1357, und v. 5.7.2000 – XII ZR 104/98 –, FamRZ 2001, 905). Beruht der Unterhaltsanspruch allein auf § 1573 II BGB (Aufstockungsunterhalt) und wurde dieser zuletzt im Jahr 2007 durch Urteil festgelegt, so ergibt sich aus dem Inkrafttreten des § 1578 b BGB am 1. Januar 2008 für sich genommen noch keine Änderung der wesentlichen Verhältnisse. Auch § 36 Nr. 1 EGZPO bietet in diesem Fall gegenüber § 323 ZPO keine eigenständige Abänderungsmöglichkeit.

 

Urteil

Gericht         : BGH
Datum           : 18.11.2009
Aktenzeichen    : XII ZR 65/09 
Leitparagraph   : BGB §1609, BGB §1579, BGB §1578
Quelle          : FamRZ 2010, S. 111 ff.
Kommentiert von : RA Simon Heinzel

Inhalt:

Die Entscheidung des BGH:

 

Mit diesem Urteil hat der BGH im 1. und 2. Leitsatz seine Rechtsprechung zu den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen bekräftigt (BGH, FamRZ 2008, S. 1911), wonach auch neu hinzutretende Unterhaltspflichten gegenüber neuen Ehegatten bei der Bedarfsbemessung des geschiedenen Ehegatten zu berücksichtigen ist. Dies erfolgt im Wege der so genannten „Drittelteilung“. Die wesentliche Auswirkung besteht darin, dass nach alter Rechtsprechung das Einkommen des Unterhaltspflichtigen zum Stichtag der Ehescheidung zwischen dem Unterhaltspflichtigen und dem geschiedenen Ehegatten (nach Vorwegabzug des Kindesunterhaltes) aufgeteilt wurde. Nur das dann verbleibende Einkommen stand für die neue Ehe zur Verfügung. Nach der neuen Rechtsprechung ist das Gesamteinkommen nach Vorwegabzug gleichmäßig aufzuteilen.

 

 

Beispiel:

 

 

Einkommen des Unterhaltspflichtigen 4000 €, geschiedener und neuer Ehegatte voll unterhaltsbedürftig ohne Eigeneinkommen.

 

a)    Berechnung nach altem Recht:

4000 € : 2 = 2000 € Unterhalt für geschiedenen Ehegatten, Rest nochmals : 2 = 1000 € Unterhalt für neuen Ehegatten, somit 1000 € für den Unterhaltspflichtigen.

 

b)    Berechnung nach neuer Rechtsprechung des BGH:

4000 € : 3 = 1333 €, sowohl für geschiedenen Ehegatten, als auch für neuen Ehegatten, als auch für den Unterhaltspflichtigen.

 

 

Der BGH hat entschieden, dass sowohl für den geschiedenen als auch für den neuen Ehegatten die gleichen Maßstäbe anzuwenden sind im Hinblick auf Erwerbsobliegenheit und Kinderbetreuung. Der Unterhaltsbedarf des neuen Ehegatten ist so zu ermitteln, als wäre die neue Ehe ebenso geschieden.

 

 

Ob diese Rechtsprechung auch bei Zusammentreffen von Unterhaltsansprüchen der ehemaligen Ehefrau bzw. der derzeitigen Ehefrau mit Unterhaltsansprüchen der Mutter eines nichtehelichen Kindes gemäß § 1615 l BGB wegen Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes anzuwenden ist, ist höchstrichterlich bislang nicht entschieden. Der Unterhaltsanspruch nach § 1615 l BGB richtet sich nicht nach dem Einkommen des unterhaltsverpflichteten Mannes, sondern nach dem Verlust des Einkommens der Mutter, welches vor der Geburt des Kindes erzielt wurde. Auf der anderen Seite nähern sich die hier genannten Unterhaltsansprüche immer mehr an, auch ist Unterhalt maximal in Höhe des Halbteilungsgrundsatzes zu bezahlen, sodass daran zu denken wäre auch bei Zusammentreffen dieser beiden Unterhaltsansprüche die „Drittelteilung“ durchzuführen. Hier bleibt die Rechtsprechung abzuwarten, gerade zum Unterhalt nach § 1615 l BGB hat der BGH in jüngster Zeit zwei Entscheidungen veröffentlicht, wonach es zum einen einen Mindestbedarf für den Unterhaltsanspruch wegen Betreuung eines nichtehelich geborenen Kindes gibt (derzeit 770 Euro: BGH, Az. XII ZR 50/08 vom 16.12.2009), zum anderen, dass dieser Unterhaltsanspruch über das dritte Lebensjahr des Kindes hinaus nur dann zu gewähren ist, wenn kind- oder elternbezogene Gründe vorliegen (BGH, Az. XII ZR 123/08 vom 13.1.2010).

 

Der BGH hat nicht darüber entschieden (weil nicht entscheidungserheblich), ob aufgrund des Zusammenlebens in der neuen Ehe sich eine Haushaltsersparnis ergibt, die dazu führt, dass der Unterhaltsbedarf der zusammenlebenden Eheleute ggf. um jeweils 5 % vermindert wird und der Bedarf des ehemaligen Ehegatten entsprechend um 10 % (2 x 5 %) erhöht wird. Auf der Grundlage des obigen Rechenbeispiels würde dies bedeuten, dass der Unterhaltsbedarf der neuen Ehefrau und des Ehemannes um jeweils ca. 67 Euro vermindert würde und der Unterhaltsbedarf der ehemaligen Ehefrau um 134 Euro erhöht würde (so OLG Braunschweig, FamRZ 2009, S. 977 u. a.). Es wird davon auszugehen sein, dass die Ersparnisse einer gemeinsamen Haushaltsführung in der hier genannten Form zukünftig in die Bedarfsberechnungen mit einfließen (siehe auch Wendl/Staudigl, 7. Auflage 2008, § 1 Rz. 311 ff., 18. Deutscher Familiengerichtstag, Arbeitskreis 1).

 

Die Dreiteilung führt dazu, dass der Bedarf des geschiedenen Ehegatten quotal zunächst reduziert wird. Dies wird dadurch wieder relativiert, dass z. B. der Splittingvorteil aus der zweiten Ehe voll in diese Bedarfsberechnung mit eingestellt wird und somit dem geschiedenen Ehegatten mit zugewiesen wird (BGH, FamRZ 2008, S. 1911). Der BGH hat mit dieser Entscheidung die Verteilungsmasse zur Berechnung des Bedarfs aller Beteiligten auch dadurch erweitert, dass der neue Ehegatte eine Erwerbsobliegenheit hat, die ggf. auch fiktiv zu berücksichtigen ist und eine interne Rollenverteilungsabrede in der neuen Ehe im Außenverhältnis zum bisherigen Ehegatten grundsätzlich unbeachtet ist. Übt der neue Ehegatte trotz Erwerbsobliegenheit keine Erwerbstätigkeit aus, wird die Verteilungsmasse der Beteiligten um ein fiktives Einkommen der nicht erwerbstätigen Ehefrau erhöht. Ungeklärt ist weiterhin die Frage, ob die Zweitehefrau eine Rollenverteilungsabrede aus der ersten Ehe, die sich auch z. B. in einer notariellen Unterhaltsvereinbarung anlässlich einer Scheidung widerspiegelt, hinzunehmen ist oder ob dann auch die Zweitehefrau sich hierauf zurückziehen kann.

 

Im 3. Leitsatz hat der BGH nochmals hervorgehoben, dass sich in Bezug auf den so genannten Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB, nicht etwa beim Betreuungsunterhalt) die Rechtslage seit dem 1.1.2008 nicht wegen § 1578 b BGB maßgeblich geändert hat, sondern bereits aufgrund der vorherigen Rechtslage zum Aufstockungsunterhalt und aufgrund des Urteils des BGH vom 12.4.2006 (FamRZ 2006, S. 1006) eine Befristung/Herabsetzung möglich war. Konsequenz dessen ist, dass bei allen rechtskräftigen Unterhaltstiteln, die vor dem 1.1.2008 (Unterhaltsreform), aber nach der Änderung der Rechtsprechung des BGH im April 2006 erlassen wurden (mit einem gewissen Zeitfenster) bei ansonsten gleich gebliebener Tatsachenlage eine nachträgliche Befristung aufgrund der Rechtskraft der vorausgegangenen Entscheidung ausgeschlossen ist.

 

 

Fazit

 

Dieses Urteil schreibt die bisherige neue Rechtsprechung zur sog. „Drittellösung“ fort, nach Auffassung des Verfassers auch konsequent und „gerecht“. Eine nicht hinnehmbare Härte ist mit der Dreiteilung daher in aller Regel nicht verbunden, auch nicht für den geschiedenen Ehegatten. Lediglich, wenn im Hinblick auf besondere Fallkonstellationen der geschiedene Ehegatte etwa das Risiko der Krankheit des neuen Ehegatten mittragen müsste (was im Hinblick auf Rangverhältnisse möglich sein kann), müsste man eine unzumutbare Härte annehmen, um von der Dreiteilung Abstand zu nehmen (so auch BGH, Urteil vom 17.12.2008, Az. XII ZR 9/07). Wünschenswert wäre, wenn der BGH noch darüber befindet, in welcher Form eine Haushaltsersparnis der zusammenlebenden Eheleute bei der Bedarfsbestimmung zu berücksichtigen ist. Mit dem 3. Leitsatz hat der BGH nur noch einmal klar gestellt, was die Instanzgerichte schon zum Großteil ausgeurteilt haben, nämlich dass beim Aufstockungsunterhalt der Einwand der Befristung schon vor der Unterhaltsreform aufgrund der geänderten Rechtsprechung des BGH im Jahr 2006 hätte geführt werden müssen, ist dies ab April 2006 in Unterhaltsverfahren auf Aufstockungsunterhalt unterlassen worden. Ist man auch jetzt in einer Abänderung/Befristung nach der neuen Gesetzeslage zum 1.1.2008 ausgeschlossen (präkludiert). Ob dies immer so gelten kann, insbesondere dann, wenn die Partei, die jetzt Abänderung/Befristung begehrt seinerzeit anwaltlich nicht vertreten war (damals bestand noch kein Anwaltszwang in isolierten unterhaltsrechtlichen Verfahren), ist fraglich, der BGH hat jedoch ein klares Votum abgegeben, welches zu beachten ist. Die Rechtsprechung zu den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen hat in der Literatur auch zu Kritik geführt, sodass der BGH mit dieser Entscheidung nochmals seinen Weg bekräftigen wollte. Dies muss man auch in der Entwicklung des Unterhaltsrechts der letzten 10 Jahre sehen:

 

 

Das BVerfG (NJW 2002, S. 1185) hat die Unterhaltsberechnung/Bedarfsbemessung nach der so genannten Anrechnungsmethode beanstandet. Dies hat der BGH zum Anlass genommen die so genannte „Surrogatrechtsprechung“ einzuführen, wonach der Unterhalt nach der sog. Additionsmethode zu ermitteln ist und somit Eigenverdienst des Unterhaltsberechtigten nicht mehr voll angerechnet wurde, sondern im Rahmen der neuen Berechnungsmethode letztendlich nur noch zu Hälfte. Damit wurde der Unterhaltsberechtigte in erheblichem Maße besser gestellt. Dies nahm dann wiederum die Rechtsprechung zum Anlass, noch vor der Unterhaltsrechtsreform zum 01.01.2008 im Jahr 2006 (BGH, NJW 2006, S. 2401) deutlich darauf hinzuweisen, dass verstärkt Befristungs- und Begrenzungsmöglichkeiten zumindest beim Aufstockungsunterhalt zu nutzen sind. Mit der Unterhaltsrechtsreform wurde ohnedies die Befristungsmöglichkeit verstärkt (§ 1578 b BGB), letztendlich um die Auswirkungen der Additionsmethode/Differenzmethode ein wenig zu relativieren. Mit der Rechtsprechung zu den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen und der jetzt vorgenommenen „Drittellösung“ wird ebenso der Bedarf des geschiedenen Unterhaltsberechtigten weitergehend vermindert, da der „gesamte Kuchen“ auch mit der neuen Ehefrau geteilt werden muss. Zudem entfällt der Unterhaltsanspruch gänzlich, wenn ehebedingte Nachteile nicht mehr vorliegen. Stimmen in der Literatur sprechen sogar davon, dass die Schlechterstellung, die über die zu Zeiten der Geltung der Anrechnungsmethode hinausgeht und von der fast immer die Frau betroffen ist, mit den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht zu rechtfertigen ist (Graba, FamFR 2010, S. 53, Lenze, FamRZ 2009, S. 1724). Dies wird vom Verfasser so nicht gesehen, die veränderte Rechtsprechung ist eher positiv zu bewerten, da dadurch auch eine Chance für ein „neues Leben“ nach einer Scheidung gegeben wird.