BGH, Urteil vom 20.3.2013 – Ehegattenunterhalt, Befristung, ehebedingte Nachteile

1. Unterhaltsvereinbarungen, die auf der durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 2011 (BVerfG FamRZ 2011, 437) beanstandeten Rechtsprechung des Senats zur Bedarfsermittlung durch Dreiteilung des zur Verfügung stehenden Gesamteinkommens des Unterhaltspflichtigen sowie des früheren und des jetzigen unterhaltsberechtigten Ehegatten beruhen (BGHZ 177, 356), sind weder nach § 779 Abs. 1 BGB unwirksam noch nach §§ 119 ff. BGB anfechtbar.

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2. Die Anpassung solcher Vereinbarungen richtet sich nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage~ sie kann frühestens für solche Unterhaltszeiträume verlangt werden, die der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 2011 nachfolgen.

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3. In Fällen, in denen die nacheheliche Solidarität das wesentliche Billigkeitskriterium bei der Abwägung nach § 1578 b BGB darstellt, gewinnt die Ehedauer ihren wesentlichen Stellenwert bei der Bestimmung des Maßes der gebotenen nachehelichen Solidarität aus der Wechselwirkung mit der in der Ehe einvernehmlich praktizierten Rollenverteilung und der darauf beruhenden Verflechtung der wirtschaftlichen Verhältnisse~ hieran hat die am 1. März 2013 in Kraft getretene Neufassung des § 1578 b Abs. 1 BGB nichts geändert.

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Urteil

Gericht         : BGH 
Datum           : 20.03.2013 
Aktenzeichen    : XII ZR 72/11 
Leitparagraph   : BGB §1578b 
Quelle          : www.bundesgerichtshof.de 
Kommentiert von : RA Simon Heinzel

Anmerkung:

Diese aktuellen Entscheidungen des BGH unterstreichen, dass es sich bei § 1578 b BGB um einen „Dauerbrenner“ in der unterhaltsrechtlichen Diskussion handelt. Die Entscheidungen befassen sich hauptsächlich mit dem Problem der „ehebedingten Nachteile“ und erstmals äußert sich der BGH zur am 1. März 2013 in Kraft getretenen Neufassung des § 1578 b BGB, wonach die Dauer der Ehe auch durch die gesetzgeberische Hervorhebung keiner neuen Beurteilung bedarf.

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In der Entscheidung des BGH Az. XII ZR 39/10, ebenso in der Entscheidung, Az. XII ZR 120/11 hat der BGH zur Frage Stellung genommen, wie der ehebedingte Nachteil bei Unterhaltsberechtigten zu bestimmen ist, die mit der Eheschließung erst nach Deutschland zugezogen sind. Der BGH musste hierzu zunächst den angemessenen Lebensbedarf ermitteln, das ist grundsätzlich das maßgebliche Einkommen des Unterhaltsberechtigten, das dieser ohne die Ehe und ggf. Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte. Hierzu bestimmt der BGH, dass dasjenige hypothetische Einkommen zu ermitteln ist, welches der Unterhaltsberechtigte in seinem Heimatland erzielen könnte (hier: Ukraine bzw. Tschechien). Weiterhin hat der BGH die bereits in einem Urteil vom 22.11.2006 (NJW 2007, S. 907) beiläufig geäußerte Auffassung übernommen, dass die ungenügende Verwertbarkeit einer im Ausland absolvierten Berufsausbildung auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht ehebedingt ist. Auf der anderen Seite führt der BGH jedoch auch aus, dass dem übergesiedelten Ehegatten als Bedarf der notwendige Selbstbehalt in jedem Fall zuzugestehen ist (seit 1.1.2013: 800 Euro). Das ist die Untergrenze des Unterhaltsbedarfs des aus dem Ausland zugezogenen Ehegatten, die Obergrenze dasjenige, was der zugezogene Ehegatte in seinem Heimatland verdienen könnte. Diese Problemstellung wird in der Praxis zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen, insbesondere dann, wenn ein Ehepartner schon zeitlich länger in Deutschland lebt, aber wegen dem späteren Ehemann der Umzug erfolgte. Hierzu hat der BGH in einem Urteil vom 2.2.2012 (NJW 2010, S. 2349) festgehalten, dass ein solcher Umzug zum Zwecke der späteren Eheschließung nicht durch die Ehe veranlasst ist und deshalb ebenso keinen ehebedingten Nachteil begründet. Was ist aber, wenn der Umzug sehr lange vor der Eheschließung war? Ebenso problematisch ist die Feststellung eines fiktiven Einkommens auf der Grundlage der Erwerbsmöglichkeiten im Herkunftsland. Hier gibt es Kaufkraftunterschiede, es gibt Länder, die sich dann zum Zeitpunkt der Festlegung im Krieg befinden oder sich aufgrund politischer Entwicklungen geschlechterspezifische Einschränkungen ergeben haben (insgesamt hierzu: Riegner, FamFR 2013, S. 121 ff.).

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Die genannten Urteile beschäftigen sich auch mit dem Thema der „nachehelichen Solidarität“. Der BGH hat seine bisherige Auffassung (NJW 2012, S. 1209) bekräftigt, dass bei einer Beschränkung/Befristung es nicht nur auf die Kompensation ehebedingter Nachteile ankommt, sondern auch auf eine darüber hinaus gehende nacheheliche Solidarität. Diese bestimmt sich neben der Ehedauer auch durch die wirtschaftliche Verflechtung, die durch den Verzicht des haushaltsführenden Ehegatten auf eine eigene Erwerbstätigkeit, eingetreten ist, insbesondere weil auch zum Zwecke der Eheschließung das Heimatland verlassen wurde. Gerade die Thematik der Ehedauer hat der BGH nach der Gesetzesänderung zum 1.3.2013 erfreulich schnell mit den beiden Urteilen, Az. XII ZR 120/11 und insbesondere Az. XII ZR 72/11 aufgegriffen und eindeutig dahingehend entschieden, dass die stärkere Betonung der Ehedauer in der seit 1.3.2013 geltenden Neufassung von § 1578 b Abs. 1 BGB lediglich entsprechend der Gesetzesbegründung der Klarstellung dient und jedenfalls keine wesentliche Änderung des nach der BGH-Rechtsprechung bestehenden Rechtszustands bewirken soll (ebenso Borth, FamRZ 2013, S. 165 ff.). Es bleibt dabei, dass die Ehedauer ihren wesentlichen Stellenwert bei der Bestimmung des Maßes der gebotenen nachehelichen Solidarität aus der Wechselwirkung mit der in der Ehe einvernehmlich praktizierten Rollenverteilung und der darauf beruhenden Verflechtung der wirtschaftlichen Verhältnisse gewinnt (ebenso Born, NJW 2013, S. 561 ff.). Damit hat der BGH nach Auffassung des Verfassers denjenigen den Wind aus den Segeln genommen, die aufgrund der Hervorhebung der langen Ehedauer in § 1578 b BGB seit 1.3.2013 eine wesentliche „Zurücknahme“ des Prinzips der Eigenverantwortlichkeit gesehen haben. Der BGH stellt klar, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung trotz Gesetzesänderung nichts ändern werde.

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Im BGH-Urteil Az. XII ZR 148/10 wird nochmals darauf hingewiesen, dass bei Umständen, die schon geraume Zeit vor der Eheschließung eingetreten sind, einen späteren ehebedingten Nachteil nicht begründen können. Auch hier wird in der Praxis das gleiche Problem auftreten, wie beim Auslandszuzug vor der Eheschließung (siehe oben), wonach zu bestimmen ist, ab wann eine Zeitspanne vorliegt, die lang genug erscheint, um keinen ehebedingten Nachteil anzunehmen bzw. umgekehrt. Der ehebedingte Nachteil, der durch Wegfall von Erwerbstätigkeit entstanden ist, ist im Rahmen der sekundären Beweislast vom Unterhaltsberechtigten darzulegen. In der Entscheidung Az. XII ZR 120/11 stellt der BGH nochmals klar, dass ein durch den Unterhaltspflichtigen behaupteter hypothetischer beruflicher Aufstieg einer erweiterten Darlegungsverpflichtung unterliegt, sodass es kaum gelingt, einen Aufstieg z. B. von Studienrätin bis hin zur Oberstudiendirektorin darzulegen, da ein solcher Aufstieg nur den wenigsten Lehrerinnen gelingt. Wenn hingegen ein regelmäßiger, vorwiegend von der Berufserfahrung abhängiger „Aufstieg“ dargelegt wird, bedarf es keiner erhöhten Darlegung besonderer Umstände.

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Die hier genannten Urteile des BGH haben selbstverständlich noch „tiefgreifendere“ Inhalte und Verästelungen zur Thematik der „ehebedingten Nachteile“ bzw. „Ehedauer“, für die komprimierte Darstellung erscheinen jedoch die herausgehobenen Inhalte ausreichend. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der BGH bei den ehebedingten Nachteilen der Eigenverantwortlichkeit nach der Ehe eher ein hohes Gewicht beimisst, indem der BGH eher dazu neigt, in Einzelfällen keinen ehebedingten Nachteil anzunehmen. Auf der anderen Seite misst der BGH seit der Unterhaltsrechtsreform zum 1.1.2008 dem Prüfungsmerkmal „nacheheliche Solidarität“ höhere Bedeutung zu. Der BGH hat dieses Thema in den ersten Jahren nach der Unterhaltsrechtsreform eher weniger beachtet, um in den letzten 1-2 Jahren gerade der wirtschaftlichen Verflechtung der Eheleute und auch der Ehedauer zur Frage der Beschränkung/Befristung von nachehelichem Unterhalt mehr Gewicht beizumessen. Der BGH proklamiert wieder mal für sich, schon vor einer Gesetzesänderung (1.3.2013) die Zeichen der Zeit erkannt zu haben, indem auch die Ehedauer in seiner Rechtsprechung ausreichend gewürdigt wurde, sodass es nach Auffassung des BGH einer Gesetzesänderung zum 1.3.2013 nicht bedurft hätte. Das macht der BGH dadurch sehr deutlich, dass er durch die Gesetzesänderung an seiner Rechtsprechung nichts ändern wird.