BVerfG, Beschluss vom 21.7.2010 - Elterliche Sorge für außerehelich geborene Kinder

  1. Es verletzt das Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes aus Art. 6 II GG, dass er ohne Zustimmung der Mutter generell von der Sorgetragung für sein Kind ausgeschlossen ist und nicht gerichtlich überprüfen lassen kann, ob es aus Gründen des Kindeswohls angezeigt ist, ihm zusammen mit der Mutter die Sorge für sein Kind einzuräumen oder ihm anstelle der Mutter die Alleinsorge für das Kind zu übertragen.
  2. Bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung ist § 1626 a BGB mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Familiengericht den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge gemeinsam überträgt, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht.
  3. Bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung ist § 1672 BGB mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Familiengericht dem Vater auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge überträgt, soweit gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht.

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Urteil

Gericht         : BVerfG
Datum           : 27.07.2010
Aktenzeichen    : BvR 420/09,
Leitparagraph   : BGB §1626a, BGB §1672, GG Art. 6
Quelle          : FamRZ 2010, 1403 
Kommentiert von : RA Georg Rixe

Inhalt:

Folgender Sachverhalt lag zugrunde:

 

Die Eltern des 1998 außerhalb einer Ehe geborenen Kindes trennten sich noch während der Schwangerschaft. Nachdem der Beschwerdeführer die Vaterschaft anerkannt hatte, verweigerte die Mutter die Zustimmung zur gemeinsamen Sorge. Der Vater hatte regelmäßigen Umgang mit seinem Sohn. Als die Mutter einen Umzug mit dem Kind beabsichtigte, beantragte der Kindesvater vorrangig die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn. Der Antrag blieb bei den Fachgerichten erfolglos.

 

Auf die Verfassungsbeschwerde des vom Verfasser vertretenen Vaters entschied das BVerfG, dass die Regelungen zur gemeinsamen Sorge gem. § 1626 a I, Nr. 1 BGB und zur alleinigen Sorge gem. § 1672 I BGB mit dem Grundgesetz unvereinbar sind, soweit eine gerichtliche Prüfung ausgeschlossen ist, ob eine gemeinsame oder alleinige Sorge auch gegen den Willen der Mutter aus Gründen des Kindeswohls angezeigt ist. Des Weiteren erließ das BVerfG die in den Leitsätzen 2 und 3 wiedergegebene Übergangsregelung.

 

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Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

 

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber das elterliche Sorgerecht für ein nichteheliches Kind zunächst allein der Mutter übertragen hat. Ebenfalls steht es mit der Verfassung in Einklang, dass dem Vater eines nichtehelichen Kindes nicht zugleich mit der wirksamen Anerkennung seiner Vaterschaft gemeinsam mit der Mutter das Sorgerecht eingeräumt ist. Eine solche Regelung ist zwar möglich, ist aber verfassungsrechtlich nicht geboten. Der Gesetzgeber greift jedoch dadurch unverhältnismäßig in das Elternrecht des Vaters des nichtehelichen Kindes ein, dass er ihn generell von der Sorgetragung ausschließt, wenn die Mutter ihre Zustimmung zur gemeinsamen Sorge mit dem Vater oder zu dessen Alleinsorge verweigert, ohne dass ihm die Möglichkeit eingeräumt ist, eine gerichtliche Überprüfung zu erreichen. Die dem geltenden Recht zu Grunde liegende Annahme des Gesetzgebers, dass die Zustimmungsverweigerung von Müttern in aller Regel auf einem sich nachhaltig auf das Kind auswirkenden elterlichen Konflikt basiert und von Gründen getragen ist, die der Wahrnehmung des Kindeswohls dienen, hat sich nicht bestätigt, wie sich aus neueren empirischen Untersuchungen ergab. Darüber hinaus fügte sich die Väter benachteiligende Sorgerechtsregelung nicht in das Gesamtkonzept zur elterlichen Sorge ein, da bei ehelichen Kindern gem. § 1671 II Nr. 2 BGB die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge auch gegen den Willen des anderen Elternteils im Falle des Getrenntlebens möglich und von einer Einzelfallentscheidung abhängig ist.

 

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Fazit

 

  1. Der EGMR hatte bereits in seiner Grundsatzentscheidung vom 3.12.2009 im Verfahren Zaunegger/Deutschland (ISUV-Report Nr. 123, März 2010, S. 16~ Willutzki, Kolumne, S. 4) befunden, dass Väter außerehelich geborener Kinder bei der (gemeinsamen) elterlichen Sorge diskriminiert werden, weil keine Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung der Alleinsorge der Mutter gem. § 1626 a II BGB besteht und damit in der Sache die frühere Grundsatzentscheidung des BVerfG vom 29.1.2003 (lSUV-Report Nr. 96, Juni 2003, S. 18) beanstandet. Das BVerfG griff diese Entscheidung nunmehr auf und entwickelte seine eigene Rechtsprechung unter Berücksichtigung der neuen empirischen Erkenntnisse fort. Zwar hält es eine gemeinsame Sorge kraft Gesetzes nicht für verfassungsrechtlich zwingend geboten, nunmehr aber jedoch für zulässig.
  2. Auf Grund der Übergangsregelung des BVerfG stellt sich die Rechtslage bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung wie folgt dar: Die Mutter eines außerehelichen Kindes hat kraft Gesetzes die alleinige Sorge, es sei denn, die Eltern geben vor Geburt oder später übereinstimmende Sorgeerklärungen ab. Verweigert die Mutter ihre Zustimmung zur gemeinsamen Sorge, kann der Vater sofort eine Entscheidung des Familiengerichts beantragen. Dies gilt auch im Hinblick auf Kinder, die vor Inkrafttreten der Neuregelung geboren sind. Das Familiengericht überträgt den Eltern die gemeinsame Sorge oder einen Teil davon, wenn zu erwarten ist, dass diese dem Kindeswohl entspricht. Bei der gerichtlichen Einzelfallentscheidung sind maßgeblich die Belange des Kindes zu berücksichtigen, wobei die Zugangsvoraussetzungen zur gemeinsamen Sorge nicht zu hoch angesetzt werden dürfen. Verweigert die allein sorgeberechtigte Mutter bei Getrenntleben der Eltern die Zustimmung zur Übertragung der Alleinsorge auf den Vater, hat das Familiengericht den Antrag des Vaters zunächst zu prüfen, ob nicht eine gemeinsame Sorge in Betracht kommt. Ist dies nicht der Fall, erhält der Vater die Alleinsorge, wenn zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht. Sofern nicht besondere Gründe des Einzelfalls vorliegen spricht (auch vor dem Hintergrund der nachstehend dargestellten rechtspolitischen Diskussion) nichts dagegen, dass Väter bereits jetzt nach der Übergangsregelung die gemeinsame oder alleinige Sorge beim Familiengericht beantragen.
  3. Zwischenzeitlich sind nur wenige Entscheidungen zu diesem Themenkreis veröffentlicht worden. An dieser Stelle sollen zwei Beschlüsse angesprochen werden. In dem vom BVerfG entschiedenen Fall hat das AG Bad Oeynhausen nach Zurückverweisung durch Beschluss vom 21.10.2010, Az. 43 F 3/09 dem Kindesvater das Recht der alleinigen Sorge für seinen Sohn übertragen. Darüber hinaus hat das OLG Brandenburg durch Beschluss vom 20.8.2010 - 10 WF 187/10, FamFR 2010, 426 dem Vater eines nichtehelichen Kindes vorläufig die Teilsorge übertragen. In diesem Fall lebten die Kinder nach der Trennung der Eltern im Sommer 2009 im Haushalt des Vaters und hatten seit Mai 2010 regelmäßigen Umgang mit der allein sorgeberechtigten Mutter. Da diese einen Wechsel der Kinder in ihren Haushalt wünschte und beabsichtigte, sie aus der bisher besuchten Schule bzw. aus dem Kindergarten herauszunehmen und sie zu Beginn des Schuljahrs 2010 in entsprechende Einrichtungen in der Nähe ihrer Wohnung wechseln zu lassen, unterband das OLG dies durch vorläufige Anordnung, um den status quo bis zur Hauptsacheentscheidung aufrecht zu erhalten.
  4. Der Verband ISUV/VDU fordert hinsichtlich der Umsetzung der Urteile des EGMR und des BVerfG durch den Gesetzgeber die Begründung einer gemeinsamen elterlichen Sorge für nichteheliche Kinder kraft Gesetzes ab Feststehen der Vaterschaft, da dies dem Kindeswohl am besten entspricht. Zur Darstellung und Begründung im Einzelnen wird auf die ISUV-Broschüre ""Gemeinsame elterliche Sorge für nichteheliche Kinder"", die Kolumne von Willutzki, ISUV-Report Nr. 125, September 2010, S. 4 sowie den Beitrag des Verfassers im ISUV-Report Nr. 123, März 2010, S. 5 verwiesen.

 

Derzeit werden in der Politik vor allem zwei Grundmodelle diskutiert

 

Das Widerspruchsmodell sieht vor, dass nicht miteinander verheiratete Eltern von Anfang an die gemeinsame Sorge erhalten, wenn die Vaterschaft geklärt ist und der Vater eine Sorgeerklärung abgibt. Die Mutter kann dann in begründeten Fällen gegen die gemeinsame Sorge Widerspruch einzulegen, über den das Familiengericht entscheidet. Nach dem Antragsmodell erhält die Mutter zunächst ab Geburt die alleinige elterliche Sorge. Wünscht der Vater das gemeinsame Sorgerecht, kann die Mutter innerhalb einer bestimmten Frist widersprechen. Erfolg dies, hat der Vater die Möglichkeit, beim Familiengericht einen Antrag auf eine gemeinsamen elterliche Sorge zu stellen. Das Widerspruchsmodell, dessen Ausgestaltung im Einzelnen noch nicht näher erläutert worden ist, steht grundsätzlich dem Vorschlag von ISUVNDU e. V. am nächsten. Allerdings ist nach Auffassung des Verbands eine Sorgeerklärung des Vaters nicht erforderlich, weil sämtliche Väter in die Verantwortung für ihre Kinder einbezogen werden müssen, da dies im Regelfall dem Kindeswohl am besten entspricht. Ein Referentenentwurf ist zum Ende des Jahres 2010 zu erwarten.