Ehegattenunterhalt - OLG - 16.05.2023

  1. Ein „automatischer“ Abzug von geleistetem Naturalunterhalt vom Einkommen des betreuenden Elternteils beim Ehegattenunterhalt ist entgegen der Rechtsprechung des BGH nicht gerechtfertigt.
  2. Erforderlich ist die Darlegung eines tatsächlich geleisteten zusätzlichen Aufwands nach den üblichen Regeln zur Darlegungs- und Beweislast bei zu berücksichtigenden Belastungen beim Berechtigten wie auch Verpflichteten.
  3. Berücksichtigungsfähig sind nur tatsächlich erbrachte Leistungen. Erforderlich ist ferner eine entsprechende Rechtspflicht zu dem zu leistenden Naturalunterhalt, da freiwillige Leistungen das Unterhaltsrechtsverhältnis in der Regel unberührt lassen.
  4. Jedenfalls verbietet sich eine „automatische“ Berücksichtigung, sofern beim betreuenden Elternteil der angemessene Selbstbehalt unterschritten ist.

Beschluss:
Gericht: OLG Oldenburg
Datum: 16.05.2023
Aktenzeichen: UF 32/23
Leitparagraph: §§ 1578, 1606 III S. 2, 1610 I BGB
Quelle: FamRZ 2023 S. 131 ff.

Kommentierung:

Die erwerbstätige Ehefrau, die minderjährige Kinder aus der Ehe betreut und deren Einkünfte den angemessenen Selbstbehalt nicht erreichen, hat im Scheidungsverbund nachehelichen Unterhalt verlangt. Das Amtsgericht hat bei der Berechnung nur den tatsächlich gezahlten Kindesunterhalt in Abzug gebracht. Sie verweist auf die Rechtsprechung des BGH (zuletzt FamRZ 2022 S. 1366), wonach der betreuende Elternteil Naturalunterhalt in Höhe der Differenz zwischen dem Bedarf des Kindes nach den beiderseitigen Einkünften der Eltern und dem vom barunterhaltspflichtigen Elternteil tatsächlich gezahlten Unterhaltes als Abzugsposten bei ihr zu berücksichtigen sei, was letztendlich dazu führt, dass in etwa in Höhe der Hälfte dieses Differenzbetrages sich der Ehegattenunterhalt erhöht. Nach der Rechtsprechung des BGH soll ein solcher „fiktiver“ zusätzlicher Naturalunterhalt der Kindesmutter als Abzugsposten berücksichtigt werden, unabhängig davon ob er tatsächlich durch die Kindesmutter an das Kind „bezahlt“ wird.

Das OLG kritisiert die BGH-Rechtsprechung, insbesondere dahingehend, dass der Bedarf eines Kindes nicht nach dem beiderseitigen Einkommen beider Elternteile in Addition zu bemessen ist, da auch die Lebensstellung des Kindes durch die Trennung der Eltern geprägt ist, insbesondere die mit der vormaligen gemeinsamen Lebensführung verbundenen Synergieeffekte entfallen sind. Die Unterhaltsbeträge der Düsseldorfer Tabelle passen auch nicht für eine Bedarfsbemessung nach dem zusammengezählten Einkommen der Eltern. Eine einkommensmindernde Berücksichtigung eines solchen fiktiv ermittelten Naturalunterhalts der Mutter kann nur dann einkommensmindernd berücksichtigt werden, wenn er auch tatsächlich erbracht wird. Das hat der betreuende Elternteil darzulegen und zu beweisen.

Das OLG greift die Kritik an der Rechtsprechung des BGH auf (ZB Götz/Seiler FamRZ 2022 S. 1338) und weicht mit seiner Entscheidung vom BGH ab.

Die Auffassung des OLG, wonach der betreuende Elternteil den Anfall des rechnerisch ermittelten Naturalunterhalts darzustellen und ggfs. zu beweisen hat führt in der Praxis dazu, dass ein Abzug des Naturalunterhaltes niemals erfolgt. Um das nachzuweisen müsste der betreuende Elternteil die gesamten Kosten der Versorgung des Kindes einschließlich des vom barunterhaltspflichtigen gezahlten Barunterhalts vollständig darstellen. Das ist grundsätzlich unmöglich und wird hier auch vom betreuenden Elternteil hinsichtlich der Verwendung des erhaltenden Barunterhalts nicht gefordert.

Auf der anderen Seite stellt sich die grundsätzliche Frage, warum überhaupt ein fiktiver Naturalunterhalt für die Bemessung des Ehegattenunterhaltes und somit zur Berechnung eines höheren Ehegattenunterhaltes zu berücksichtigen ist. Ohne nähere Begründung ist der BGH von seiner langjährigen Berechnung abgewichen, wonach sich der Bedarf eines minderjährigen Kindes allein aus dem Einkommen des Unterhaltspflichtigen berechnet. Warum auf einmal nach dem zusammengerechneten Einkommen? Auch der Hinweis, dass durch die Trennung der Eltern Synergieeffekte aus dem Zusammenleben wegfallen ist völlig berechtigt. Mag beim Zusammenleben der Eltern das Kind seine Lebensstellung hieraus ableiten, nicht mehr jedoch beim Getrenntleben. Auch liegt nach diesseitiger Auffassung ein Widerspruch zu § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB vor, wonach der Betreuende seine Unterhaltsverpflichtung in der Regel durch Betreuungsleistungen erbringt und gerade nicht durch „Geldzahlungen“ aus seinem Einkommen oder seinem Ehegattenunterhalt.

Sehr eingehend hierzu die Anmerkung von Seiler (in FamRZ 2023 S. 1373 oder Viefhues, FuR 2023, S 166 ff.).

Das OLG hat diesen Hinweisbeschluss erlassen und hat darauf hingewiesen, dass es die Beschwerde der Kindesmutter ggfs. ohne mündliche Verhandlung zurückweisen wird und die Rechtsbeschwerde zum BGH zulassen wird. Genauso hat es das OLG dann auch gemacht, das OLG hat wohl gehofft, dass seine Rechtsauffassung entgegen des BGH von der Ehefrau mit der Rechtsbeschwerde angegriffen wird um diesbezüglich eine Entscheidung des BGH herbeizuführen. Indes hat die Ehefrau die zugelassene Rechtsbeschwerde überraschenderweise nicht eingelegt.

Zugegebenermaßen ist diese Rechtsprechung des BGH nicht für jedermann zugänglich, an sich ist es tatsächlich nicht zu verstehen warum ein fiktiv angenommener Naturalunterhalt durch die Ehegattenunterhaltsberechtigte deren Einkommen mindern soll und dadurch im Hinblick auf den „Halbteilungsgrundsatz“ beim Ehegattenunterhalt letztendlich diesen um die Hälfte des berechneten Naturalunterhaltes des Kindes erhöhen soll.