Ehegattenunterhalt - OLG Brandenburg - 22.06.2020


1.
Eine verfestigte Lebensgemeinschaft im Sinne von § 1579 Nr. 2 BGB kann angenommen werden, wenn objektive, nach außen tretende Umstände wie etwa ein über einen längeren Zeitraum hinweg geführter gemeinsamer Haushalt, das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, größere gemeinsame Investitionen wie der Erwerb eines gemeinsamen Familienheims oder die Dauer der Verbindung den Schluss auf eine verfestigte Lebensgemeinschaft nahelegen.

2. Für die Annahme einer verfestigten Lebensgemeinschaft im Sinne von § 1579 Nr. 2 BGB kommt es darauf an, ob die Partner ihre Lebensgemeinschaft so aufeinander eingestellt haben, dass sie wechselseitig füreinander einstehen, indem sie sich gegenseitig Hilfe und Unterstützung gewähren und damit das Zusammenleben ähnlich gestalten wie Ehegatten.

3. Vor Ablauf einer gewissen Mindestdauer wird sich in der Regel nicht verlässlich beurteilen lassen, ob die Partner nur "probeweise" zusammenleben oder ob sie auf Dauer in einer gefestigten Gemeinschaft leben. Je fester allerdings die Verbindung nach außen in Erscheinung tritt, umso kürzer wird die erforderliche Zeitspanne anzunehmen sein.

4. Die Voraussetzungen für die Anwendung von § 1579 Nr. 2 BGB können erst nach einer Dauer der Beziehung von regelmäßig zwei bis drei Jahren angenommen werden. Die Zeitspanne kann kürzer sein, wenn aufgrund besonderer Umstände schon früher auf eine hinreichende Verfestigung geschlossen werden kann, insbesondere bei einer bereits umgesetzten gemeinsamen Lebensplanung, z. B. in Form von gemeinsamen erheblichen Investitionen.

5. Bei einer Beziehung, die nicht überwiegend durch ein Zusammenwohnen und auch nicht durch ein gemeinsames Wirtschaften geprägt ist, ist eine verfestigte Beziehung dann erreicht, wenn die Partner seit fünf Jahren in der Öffentlichkeit, bei gemeinsamen Urlauben und der Freizeitgestaltung als Paar auftreten und Feiertage und Familienfeste zusammen mit Familienangehörigen verbringen.

Beschluss:
Gericht: OLG Brandenburg
Datum: 22.06.2020
Aktenzeichen: Az. 9 UF 254/19
Leitparagraph: § 1579 Nr. 2 BGB
Quelle: NZFam 2020, Seite 881

Kommentierung:

Das Gesetz kennt beim Ehegattenunterhalt Einschränkungsmöglichkeiten bei grober Unbilligkeit. Dies ist in § 1579 BGB normiert. Häufig wir die grobe Unbilligkeit darauf gestützt, dass der Unterhaltsberechtigte in einer verfestigten Lebensgemeinschaft mit einem neuen Partner lebt. Es müssen Umstände vorliegen, die eine fortwirkende Unterhaltsverpflichtung unzumutbar erscheinen lassen. Grundsätzlich kommt es darauf an, ob die neuen Lebenspartner ihre Lebensverhältnisse so aufeinander eingestellt haben, dass sie wechselseitig füreinander einstehen und die neue Lebensgemeinschaft gleichsam an die Stelle einer Ehe getreten ist. Die Rechtsprechung versucht immer wieder Kriterien herauszuarbeiten, ab wann dies der Fall ist. Angenommen wird dies bei einer Dauer von 2 – 3 Jahren, wenn nicht aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles schon früher auf eine hinreichende Verfestigung geschlossen werden kann. Dies liegt vor, wenn durch erhebliche gemeinsame Investitionen eine gemeinsame Lebensplanung schon umgesetzt ist. Selbiges gilt bei der Geburt eines Kindes aus der neuen Gemeinschaft oder auch der Anmietung einer gemeinsamen Wohnung nach wenig mehr als einem Jahr. Ein räumliches Zusammenleben ist grundsätzlich nicht Voraussetzung, wenn die Partner jedoch in getrennten Wohnungen leben, wird eine Verfestigung nur schwer nachzuweisen sein. Der Unterhaltsberechtigte wird die Lebensbereiche mit dem neuen Partner möglichst getrennt halten und darauf hinweisen, dass im Hinblick auf die Erfahrungen der vorausgegangenen Beziehung die neue bewusst auf Distanz gehalten wird und diese Form der Lebensgestaltung zu respektieren ist, mit der Folge, das Unterhalt weiter geschuldet ist (BGH, FamRZ 2002, Seite 23; BGH, FamRZ 2011, Seite 1498). Auch das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit kann zur Annahme einer verfestigten Gemeinschaft führen, so das „Auftreten als Paar“ in Gestalt gemeinsamer Urlaube, gemeinsame Familienfeste, aber auch ein gemeinsames Erscheinen in öffentlichen Netzwerken (Stichwort: Facebook). Besonders ausgiebiges Posten bzgl. des „neuen Glücks“ führt sehr leicht zur Unterhaltsverwirkung.

Das OLG Brandenburg hatte den Fall zu entscheiden, bei der die Unterhaltsberechtigte zweimal mit dem neuen Mann im Urlaub war und überwiegend der „Neue“ bei der Unterhaltsberechtigten gewohnt hat (Ergebnis der Beauftragung eines Detektivbüros). Sowohl das Amtsgericht als auch das Oberlandesgericht hat den Unterhaltspflichtigen zur weiteren Zahlung von Unterhalt verpflichtet, da es im Einzelfall noch keine ausreichende Verfestigung der neuen Lebensgemeinschaft feststellen konnte. Wenn die neuen Partner zusammenwohnen, geht die Rechtsprechung von einer Verfestigung wie schon erwähnt erst nach ca. 2/3 Jahren aus, leben sie nicht zusammen und sind trotzdem nach den Kriterien der Rechtsprechung Gemeinsamkeiten vorhanden, die eine Verfestigung begründen, wird diese erst nach ca. 5 Jahren anzunehmen sein. Dies bekräftigt das Oberlandesgericht in den Leitsätzen Nr. 4/5. Zwei gemeinsame Reisen und „gegenseitige Besuche“ reichen grundsätzlich nicht aus, es muss festgestellt werden, dass die neuen Partner füreinander einstehen, sie sich gegenseitige Hilfe und Unterstützung gewähren, auch durch regelmäßige Unterstützungsleistungen bei getrennten Wohnsitzen etc. Bloße wechselseitige Besuche der in verschiedenen Wohnungen lebenden Partner lassen, auch wenn sie sich bei der täglichen Hausarbeit unterstützen, allein noch nicht auf eine Verfestigung schließen (Palandt, 80. Auflage 2021, § 1579 Rdn 11-15 mit weiteren Einzelfallrechtsprechungsnachweisen).

Mit dieser Entscheidung soll aufgezeigt werden, dass der Nachweis einer verfestigten Lebensgemeinschaft als Verwirkungsgrund für Ehegattenunterhalt zumeist schwer zu führen sein wird, und insbesondere bei fehlendem Zusammenleben kaum vor Ablauf von 5 Jahren trotz entsprechendem Auftreten in der Öffentlichkeit hiervon ausgegangen werden kann.