Eherecht - BGH - 15.03.2017

Ein Ehevertrag kann aufgrund einer Gesamtschau der zu den Scheidungsfolgen getroffenen Regelungen sittenwidrig sein, dann wenn in objektiver Hinsicht und in subjektiver Hinsicht ein erhebliches Ungleichgewicht - insbesondere bei einer Unternehmerehe - besteht.

Beschluss:
Gericht: BGH
Datum:15.03.2017
Aktenzeichen: XII ZB 109/16
Leitparagraph: BGB §§ 138, 1408
Quelle: www.bundesgerichtshof.de

Kommentierung:

In einem Ehevertrag hatten die Eheleute grundsätzlich auf nachehelichen Unterhalt gegenseitig verzichtet, haben jedoch den Kinderbetreuungsunterhaltsanspruch und den Krankheitsunterhaltsanspruch bis zum 18. Lebensjahr eines eventuell gemeinsamen Kindes hiervon ausgenommen und der Höhe nach beschränkt. Zudem erfolgte gegenseitiger Verzicht auf Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich. Der Ehemann war Unternehmer, zum Zeitpunkt der Scheidung war die Ehefrau erkrankt (MS). Die Ehefrau beruft sich auf die Unwirksamkeit des Ehevertrages und verlangt Ehegattenunterhalt wegen Krankheit (das gemeinsame Kind war bereits volljährig und somit hätte der vertragliche Komplettausschluss gegriffen). Das AG hat der Ehefrau weder Unterhalt zugesprochen noch den Versorgungsausgleich durchgeführt. Das OLG hat trotz vertraglichem Ausschluss den Versorgungsausgleich durchgeführt und den Ehemann zu gestuften Unterhaltszahlungen verpflichtet. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde hinsichtlich des Unterhalts zugelassen, hinsichtlich des Versorgungsausgleichs nicht. Der BGH hat die Rechtsbeschwerde des Mannes als unbegründet zurückgewiesen, mit dem Argument, dass mit dem OLG der Ehevertrag sittenwidrig sei.

Begründet wird dies, dass die Regelungen des Ehevertrages wegen § 138 BGB einer Wirksamkeitskontrolle nicht standhalten. Die Sittenwidrigkeit ergibt sich aus einer Gesamtschau aller Elemente, die zwar für sich allein nicht, aber in ihrem Zusammentreffen sowohl zu einer objektiv als auch subjektiv unangemessenen Benachteiligung der Ehefrau führen. Es liegt auch eine subjektive Imparität (Ungleichgewicht) infolge der Ausnutzung der sozialen und wirtschaftlichen Abhängigkeit der Ehefrau bei Vertragsschluss vor. Sie war in die Vertragsverhandlungen nicht eingebunden gewesen, sie war objektiv in einer unterlegenen Verhandlungsposition. Beim Notartermin war das vor einem Monat geborene Kind dabei etc.

Mit diesem Urteil verlässt der BGH zwar nicht seine sogenannte Kernbereichslehre sondern stellt mehr darauf ab, inwieweit ein Vertrag in einer Unterlegenheitssituation geschlossen wurde und damit sittenwidrig ist. Grundsätzlich muss bei einem Ehevertrag die sogenannte Wirksamkeitskontrolle (Fragen der Sittenwidrigkeit bei Vertragsschluss) durchgeführt werden als auch die sogenannte Ausübungskontrolle (ob in der aktuellen Situation der Vertrag nach Treu und Glauben rechtsmissbräuchlich ist).

Der BGH erklärt ausdrücklich, dass zwar jede einzelne Ausschlussregelung für sich gesehen zwar für die Ehefrau nachteilig ist, aber alleine betrachtet der Ausschluss von Zugewinn/Versorgungsausgleich/Unterhalt noch nicht zur Sittenwidrigkeit führt. Zum Kernbereich gehört z. B. der Betreuungsunterhalt, bis zum 18. Lebensjahr war jedoch dieser nicht ausgeschlossen, sondern nur der Höhe nach beschränkt. Auch der Ausschluss des Krankheitsunterhalts ab dem 18. Lebensjahr ist nicht sittenwidrig, da zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses kein Anhaltspunkt vorlag, dass die Ehefrau erkrankt. Selbst der Versorgungsausgleichsausschluss ist nicht sittenwidrig - obwohl zum Kernbereich gehörig - da die Rentenanrechte des Unternehmers sogar geringer waren als die der Ehefrau. Der Zugewinnausgleichsausschluss gehört ohnehin nicht zum Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts. Nach der Rechtsprechung des BGH kann der Ehevertrag im Rahmen einer Gesamtwürdigung insgesamt sittenwidrig sein, wenn das Zusammenwirken aller in dem Vertrag enthaltenen Regelungen erkennbar auf die einseitige Benachteiligung eines Ehegatten abzielt (so schon BGH, FamRZ 2014, Seite 629). Auch im hier vorliegenden Fall liegt nach Auffassung des BGH eine ungleiche Verhandlungsposition vor, eine einseitige Dominanz eines Ehegatten und damit eine Störung der subjektiven Vertragsparität. Das ergibt sich nicht allein aus der einseitigen Lastenverteilung im Vertrag (nur Indiz), es kommen jedoch Umstände hinzu, die eine subjektive Ungleichheit bei Vertragsschluss erkennen lassen, insbesondere die Ausnutzung einer Zwangslage (z. B. Schwangerschaft oder Kleinkind), soziale oder wirtschaftliche Abhängigkeit oder intellektuelle Unterlegenheit oder Verständnisprobleme (Stichwort: Ausländerehe).

Der BGH kam daher gar nicht mehr zur sogenannten Ausübungskontrolle, sondern hat den Ehevertrag schon auf der Ebene der Wirksamkeitskontrolle für sittenwidrig erachtet und deshalb das OLG darin bestätigt, dass der Unterhaltsausschluss unwirksam ist. Mit dieser Entscheidung wird die Ehefrau vermutlich nunmehr auch Zugewinnausgleichsansprüche geltend machen (soweit nicht verjährt), nachdem der BGH den gesamten Ehevertrag in seiner Gesamtschau für sittenwidrig erachtet hat. Dies hauptsächlich wegen der subjektiven Unterlegenheitssituation zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Daher sind auch Aussage, dass das Güterrecht/Zugewinn nicht zum Kernbereich der Ehe gehören und daher vertraglich immer wirksam ausgeschlossen werden können, so nicht richtig, insbesondere dann, wenn die vom BGH hervorgehobene subjektive Imparität (Ungleichgewicht) vorliegt (anders noch BGH, FamRZ 2004, Seite 601, der die Frage des Zugewinnausgleichs nur der Ausübungskontrolle unterwirft). Gerade bei einer Unternehmerehe dient nicht immer ein Versorgungsausgleich der sozialen Absicherung, sondern das geschaffene Vermögen innerhalb des Unternehmens, sodass auch ein vertraglicher Ausschluss des Zugewinnausgleichs in solchen Fällen zu hinterfragen ist und wie der BGH im Wege der Wirksamkeitskontrolle sittenwidrig sein kann (so schon OLG Karlsruhe, FamRZ 2015, Seite 500 u. a.).

 

⇒ Praxistipp:

Bei einer Hochzeit mit einer Ausländerin oder einem Ausländer, die/der der deutschen Sprache kaum mächtig ist, ggf. in die Ausarbeitung des Ehevertrages nicht miteingebunden war und darüber hinaus noch schwanger ist, ist bei der Formulierung eines Ehevertrages mit Ausschluss höchste Vorsicht geboten. Kein Jurist wird in einem solchen Fall eine "Garantie" dafür geben könne, ob der Ehevertrag mit seinen Ausschlussregeln im Falle der Scheidung "hält". Man sollte darauf achten, dass zumindest beim Betreuungsunterhalt und beim Krankheitsunterhalt keine Einschränkungen gemacht werden, damit ein daneben vereinbarter Verzicht auf Zugewinn nicht in der Gesamtschau "infiziert" wird und zumindest die Gütertrennung erhalten bleibt. Denn wenn in der Gesamtschau alle Regelungen für einen Ehepartner nachteilig sind und eine subjektive Unterlegenheit vorlag, wird ein Ehevertrag auch im Rahmen der Gütertrennung kaum wirksam sein/bleiben. Lieber an einer Stelle des Vertrages die gesetzliche Regelung aus dem Kernbereich der Ehe belassen und nicht ausschließen, dafür den wichtigeren Teil (z. B. Gütertrennung) wirksam erhalten.