Elterliche Sorge und Umgangsrecht - AG Marl - 29.12.2020 (Corona-Rechtsprechung)


Corona-Tests bei Kindern gehören zur Alltagszuständigkeit des jeweils betreuenden Elternteiles. Getrennt lebende Eltern dürfen bei der Abwägung zwischen Infektionsschutz und Kindeswohl unterschiedliche Auffassungen haben und in ihrer Betreuungszeit umsetzen.

Beschluss:
Gericht: AG Marl
Datum: 29.12.2020
Aktenzeichen: Az. 36 F 347/20
Leitparagraph: § 1687 BGB
Quelle: NZFam 2021, Seite 272/FamRZ 2021, Seite 761

Kommentierung:

Der getrennt lebende mitsorgeberechtigte Vater von zwei Kindern lebt mit seinem eigenen Vater zusammen, der zu einer Corona-Hochrisikogruppe gehört. Die Kinder pflegen regelmäßigen Umgang mit ihrem Vater, zum Schutz des Großvaters testet er zu jedem Umgang die beiden Kinder durch eine Ärztin, zudem müssen die Kinder im Haushalt Masken tragen und Abstand halten. Der Vater selbst hatte versucht die Kinder aus der Schulnotbetreuung herauszunehmen (zum Schutz des Großvaters). Das Familiengericht sah bereits in der Entscheidung der Mutter, die Kinder in die Notbetreuung zu geben, eine Angelegenheit des täglichen Lebens, über die die Mutter alleine entscheiden durfte. Jetzt versucht die Mutter den Umgang mit dem Vater komplett auszusetzen, da der Umgang mit ständigen Corona-Tests und Maske nicht kindeswohlgerecht sei.

Das Amtsgericht hält die Corona-Testung ebenso für eine Angelegenheit des täglichen Lebens, sodass auch hier der Vater im Rahmen seines Umgangs hierüber frei entscheiden kann. Tests werden auch anlasslos für Urlaubsreisen durchgeführt, Zudem erfolgt die Testung dem anzuerkennenden Zweck, den Großvater zu schützen. Ein solcher Testabstrich ist den Kindern zumutbar, es handelt sich auch nicht um einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit (Körperverletzung). Das Gericht führt näher aus, dass ebenso ein Test sicherlich keine Schmerzen verursacht. Selbiges gilt insgesamt auch für das Tragen der Masken.

In die gleiche Richtung gehen auch andere Entscheidungen (z. B. OLG Brandenburg, Beschluss vom 03.03.2020, Az. 13 UFH 2/20), wonach es keiner Gerichtsentscheidung dazu bedarf, welchen Corona-Infektionsschutz der jeweils andere im Rahmen der Betreuung seiner Kinder zu beachten habe. Dazu sind die staatlichen Bußgeldvorschriften ausreichend und im Übrigen verbleibt es bei dem Grundsatz gemäß § 1687 BGB, wonach jeder Elternteil in seiner Zeit mit dem Kind alle Entscheidungen treffen kann, die den anderen nicht betreffen (Alltagsangelegenheiten). Grenzen sind nur durch § 1666 BGB (Kindeswohlgefährdung) gesetzt, dann auch Umgangsregelung einschließlich eventueller Auflagen möglich (§ 1684 Abs. 3 BGB).

Die Corona-Pandemie führt nicht dazu, dass die getrennt lebenden Eltern sich gegenseitig im Rahmen ihrer Umgangszeiten „gängeln“ können. Bedauerlicherweise meinen streitsüchtige Eltern auf der Spielwiese „Corona-Pandemie“ ihre Grenzen neue definieren zu wollen. So hat z. B. auch völlig unabhängig von umgangsrechtlichen Fragen eine Mutter nach einer vom Gesundheitsamt durchgeführten Corona-Schnelltestung in der Schulklasse ihres Kindes eine Anklage wegen Körperverletzung erzwingen wollen. Das OLG Oldenburg (Beschluss vom 10.05.2021, Az. 1 WS 141/21) erteilte diesem Ansinnen jedoch mangels hinreichendem Tatverdacht eine Absage. Die Mutter hatte ein Attest einer Allgemeinärztin vorgelegt, wonach ihr Kind durch diese Testung unter anderem eine schwere psychische Traumatisierung erlitten haben soll. Eine Strafverfolgung wurde abgelehnt, da ein Test insgesamt verhältnismäßig ist und den Tatbestand einer Körperverletzung nicht erfülle. Der Beweiswert des Attestes der Mutter wurde in Frage gestellt, insbesondere, dass eine Ärztin in einem einzigen Termin die Diagnose einer schweren psychischen Traumatisierung habe stellen können. Nach Auffassung des OLG Oldenburg ergibt sich vielmehr der Anfangsverdacht des Ausstellens eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses gemäß § 278 StGB. Ob ein Ermittlungsverfahren gegen die Ärztin eingeleitet wird, bliebe abzuwarten.

Auch an dieser Entscheidung sieht man, welche „Blüten“ die Corona-Pandemie hervorbringt.