EuGHMR, Urteil vom 04.12.2008 - Verfahrensdauer

Kindschaftsrechtliche Verfahren sind beschleunigt durchzuführen. Besonderer Beschleunigung bedürfen Verfahren wegen der Einschränkung oder Verweigerung von Umgang mit kleinen Kindern.

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Urteil

Gericht         : EuGHMR
Datum           : 04.12.2008
Aktenzeichen    : 44036/02   
Leitparagraph   : EMRK Art. 6 
Quelle          : www.bundesgerichtshof.de
Kommentiert von : RA Georg Rixe

Inhalt:

Folgender Sachverhalt lag zugrunde:

 

Der Kindesvater und die Großeltern väterlicherseits machten gerichtlich Umgang mit dem am 20.3.1995 geborenen Kind geltend, das in den ersten drei Jahren überwiegend von den Großeltern betreut wurde, da seine Mutter ganztags berufstätig war. Im Februar 1998 trennten sich die Eltern. Das vom Kindesvater eingeleitete Umgangsregelungsverfahren dauerte in zwei Instanzen vier Jahre und drei Monate. Das Verfahren der Großeltern dauerte sechs Jahre und neun Monate in zwei Instanzen. Der Gerichtshof verurteilte die BRD wegen überlanger Dauer der beiden Verfahren gem. Art. 6 I EMRK.

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Der EGMR begründete seine Entscheidung wie folgt

 

Nach Art. 6 I EMRK ist die Angemessenheit der Verfahrensdauer im Lichte der Umstände des Einzelfalls sowie unter Berücksichtigung folgender Kriterien zu bewerten: Der Komplexität des Falls, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Gerichte sowie der Bedeutung des Verfahrens für den Beschwerdeführer. Der Gerichtshof beanstandete, dass das OLG im Umgangsverfahren des Kindesvaters acht Monate gebraucht hatte, um einen ersten Anhörungstermin durchzuführen. Darüber hinaus benötigte das Familiengericht fast sechs Monate, um einen Anhörungstermin abzuhalten, nachdem der Kindesvater nach Scheitern der getroffenen Zwischenvereinbarung mehrmals um Anberaumung eines Termins ersucht hatte.

 

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Im Umgangsverfahren der Großeltern stellte der Gerichtshof fest, dass den innerstaatlichen Gerichten beträchtliche Verfahrensverzögerungen anzulasten seien. So seien nach Einreichung des Umgangsantrags vier Monate vergangen, bevor das Familiengericht einen Verfahrenspfleger bestellt hatte. Daraufhin dauerte es weitere sieben Monate, bis das Familiengericht den ersten Anhörungstermin durchführte. Nachdem die Großeltern im Folgenden einen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens gestellt hatten, führte das Familiengericht erst neun Monate später eine Anhörung durch.

 

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Der Gerichtshof wies darauf hin, dass die Verfahren angesichts des Alters des Kindes besonders beschleunigt durchzuführen waren, weil Gefahr bestand, dass allein die Verfahrensverzögerungen faktisch zu einer Vorentscheidung der Verfahren führten. Die Gerichte seien verpflichtet gewesen, jede unnötige Verzögerung zu vermeiden und einen engen Zeitplan einzuhalten.

 

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Fazit

 

Der Gerichtshof bestätigt mit der vorliegenden Entscheidung erneut seine Rechtsprechung, dass die Gerichte Umgangsverfahren beschleunigt durchzuführen haben. Besonders beschleunigt durchzuführen sind Verfahren, bei denen wegen der fortschreitenden Entfremdung allein der Zeitablauf zu einer Vorentscheidung führen kann, insbesondere also Umgangsverfahren betreffend ein Kleinkind.

 

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Der Gesetzgeber hat bereits im Vorgriff auf die Reform des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit in § 50 e I FGG ein Vorrang- und Beschleunigungsgebot für wesentliche kindschaftsrechtliche Verfahren geregelt. Gemäß § 50 e II FGG soll binnen einen Monats nach Antragstellung ein Anhörungstermin durchgeführt werden. Nach dem am 1.9.2009 in Kraft tretenden Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) sind weitere Beschleunigungsmaßnahmen vorgesehen, insbesondere die Fristsetzung bei der Einholung eines Sachverständigengutachtens gem. § 163 I FamFG, die Verpflichtung des Gerichtes, den Verfahrensbeistand so früh wie möglich zu bestellen (§ 158 III FamFG) und zu prüfen, ob eine einstweilige Regelung des Umgangs angezeigt ist, wenn es im ersten Termin nicht zu einer Einigung kommt (§ 156 III FamFG). Die Bundesrepublik hat aber immer noch nicht die Entscheidung des EGMR vom 8. 6. 2006 im Verfahren Sürmeli/Deutschland (vgl. ISUV-Report 4/2007, S. 16 f.) umgesetzt, nach der ein effektiver Rechtsbehelf gegen eine überlange Verfahrensdauer zu schaffen ist.

 

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