Kindesunterhalt - BGH - 05.03.2008

Urteil 116 c
Unterhalt
mitgeteilt von RA Simon Heinzel, Fachanwalt für Familienrecht
BGH, Urteil v. 05.03.2008, Az. XII ZR 150/05 €“ §§ 1601 ff. BGB

Suchworte: Kindesunterhalt, Mehrbedarf, Kindergartenkosten, Kinderbetreuungskosten
BGH, Pressemitteilung Nr. 48/08, [http://www.bundesgerichtshof.de]
:: Leitsatz::
Die Kosten für den ganztägigen Besuch des Kindergartens stellen einen Mehrbedarf des Kindes dar, soweit sie über den halbtägigen Kindergartenbesuch hinausgehen.
I. Folgender Sachverhalt lag zugrunde:
Der Beklagte ist der Vater der im Jahr 2001 geborenen nichtehelichen Tochter. Der Vater ist verheiratet und hat weitere drei eheliche Kinder. Er hat sich durch Jugendamtsurkunde verpflichtet, den sog. Mindestunterhalt (damals 100 % des Regelbetrages) zu leisten. Die Mutter der nichtehelichen Tochter ist berufstätig, die Tochter besucht ganztags einen Kindergarten. Mit der Klage wird ein Mehrbedarf des Kindesunterhalts geltend gemacht und zwar in Höhe des Kindergartenbeitrags von ca. 90 Euro monatlich (ohne Essensgeld).
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, auch die Berufung zum OLG blieb erfolglos. Mit der Revision zum BGH wird das Klagebegehren auf Zahlung von Mehrbedarfskosten weiterverfolgt. Der BGH hat entgegen der Vorinstanzen entschieden, dass die für den Kindergartenbesuch anfallenden Kosten zum Bedarf eines Kindes zu rechnen sind und grundsätzlich keine berufsbedingten Aufwendungen des betreuenden Elternteils darstellen. Da das OLG keine Feststellungen zur Leistungsfähigkeit des Vaters und zu einer etwaigen Beteiligungsquote der Mutter getroffen hat, wurde die Sache an das OLG zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.
II. Der BGH begründet seine Entscheidung wie folgt:
Das OLG hat den Anspruch auf Mehrbedarf (Unterhalt) wegen der Kindergartenkosten abgelehnt, mit der Begründung, die Kosten für den halbtägigen Besuch des Kindergartens würden durch den gezahlten Unterhalt gedeckt, soweit darüber hinaus Kosten für den ganztägigen Besuch des Kindergartens entstünden, handele es sich um berufsbedingten Aufwand der Mutter. Das Kind besucht deshalb den Kindergarten ganztags, damit die Mutter einem Vollzeiterwerb nachgehen könne.
Dem widerspricht der BGH und erklärt ausdrücklich, dass Kosten für den Kindergartenbesuch Bedarf des Kindes sind und keine berufsbedingten Aufwendungen des betreuenden Elternteils darstellen. Wesentlich ist insofern, dass der Kindergartenbesuch unabhängig davon, ob er halb- oder ganztags erfolgt, in erster Linie erzieherischen Zwecken dient. Die Aufwendungen hierfür sind deshalb zum Lebensbedarf eines Kindes zu rechnen, der auch die Kosten der Erziehung umfasst. Allerdings sind nicht die gesamten Kindergartenkosten Mehrbedarf. Soweit die Kosten für den halbtägigen Besuch anfallen, was heutzutage die Regel ist, sind diese Kosten grundsätzlich in dem laufenden Kindesunterhalt enthalten (falls dieser Unterhalt das Existenzminimum für ein Kind nicht unterschreitet). Mehrbedarf sind jedoch regelmäßig diejenigen Kosten, die den halbtätigen Aufwand überschreiten. Diesen Mehrbedarf hat jedoch nicht der barunterhaltspflichtige Elternteil allein sondern beide Eltern anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen zu decken. Da das OLG zur Frage der Leistungsfähigkeit des Vaters und zur Höhe der Beteiligungsquote keine Feststellungen getroffen hat, wurde das Verfahren zur Nachholung dieser Feststellungen an das OLG zurückverwiesen.
III. Fazit
Mehrbedarf des Kindes ist ein während eines längeren Zeitraums regelmäßig anfallender Bedarf, der die üblichen Kosten übersteigt und deshalb mit den Regelsätzen nicht erfasst wird (BGH, FamRZ 2007, Seite 882). Ein solcher Mehrbedarf ist dann bedarfserhöhend, wenn die kostenverursachende Maßnahme sachlich begründet ist (z. B. OLG Koblenz, FamRZ 2005, Seite 1006) oder beide Elternteile mit den Mehrkosten einverstanden sind. Auch bei Alleinsorge kann deshalb der betreuende Elternteil einen kostenverursachenden Mehrbedarf für das Kind nur geltend machen, wenn hierfür triftige Gründe vorliegen und die (anteiligen) Mehrkosten dem anderen Elternteil wirtschaftlich zumutbar sind. Bei Volltagskindergarten sind diese Kriterien zumeist erfüllt. In der Vergangenheit hat sich die Rechtsprechung schwer damit getan, einen Mehrbedarf des Kindes von Kinterbetreuungskosten des erwerbstätigen Elternteils abzugrenzen (BGH, FamRZ 2007, Seite 882 speziell zum Kindergarten). Auch schon nach alter Rechtsprechung des BGH waren die Kosten für den halbtätigen Besuch des Kindergartens Kosten, die in den Tabellenbeträgen der Düsseldorfer Tabelle enthalten sind (BGH, FamRZ 2007, Seite 882). Bereits zu dieser Rechtsprechung gab es Kritik, insbesondere da die Kindergartenkosten nicht einheitlich sind (Gerhardt, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 6. Auflage, 6. Kapitel, Rdn. 153). Gerhardt vertritt auch die Auffassung, dass nach der Unterhaltsrechtsreform zum 01.01.2008 und der erweiterten Erwerbsobliegenheit eines betreuenden Elternteils Kindergartenkosten künftig generell Kinderbetreuungskosten seien und als Abzugsposten bei der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen sind. Dies steht im krassen Widerspruch zur nunmehr vom BGH vertretenen Auffassung, wonach die Kindergartenkosten für halbtags in den Tabellenbeträgen beinhaltet sind und für darüberhinausgehende Ganztagskosten ein Mehrbedarf und somit ein Unterhaltsanspruch des Kindes vorliegt. Wenn neben dem Kindesunterhalt auch ein Ehegattenunterhalt besteht, spielt nach Auffassung des Verfassers die dogmatische Unterscheidung zwischen €žMehrbedarf des Kindes€œ und €žKinderbetreuungskosten der Mutter€œ keine so große Rolle, da bei Vorwegabzug von Kindergartenkosten als Betreuungskosten dies zu einem entsprechend geringeren Ehegattenunterhalt führt und sich dadurch die Mutter wie im BGH-Urteil bereits quotal durch einen geringeren Ehegattenunterhalt an den Kosten beteiligt. Wenn hingegen, wie im zu entscheidenden Fall, ein nichteheliches Kind betroffen ist, und vermutlich ein Unterhalt an die Mutter nicht zu bezahlen ist, ist es wohl richtig, die Kindergartenkosten (die über die Halbtagskosten hinausgehen) als einen Unterhaltsanspruch des Kindes zu formulieren (mit quotaler Beteiligung der Mutter), da bei Qualifizierung als Betreuungskosten ein Anspruch vollständig unberücksichtigt bliebe. Die Entscheidung des BGH setzt sich jedoch nicht nur mit Gerhardt in Widerspruch, sondern ansich auch mit den Gesetzesmaterialien zu § 1570 BGB hinsichtlich der Unterhaltsrechtsreform zum 01.01.2008, denn der Gesetzgeber hat in diesen Gesetzesmaterialien ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Kinderbetreuungskosten als Abzugsposten beim Ehegattenunterhalt zu berücksichtigen sind (BT-Ds. 16/1830 vom 15.06.2006, Seite 17). Zu diesen Kinderbetreuungskosten gehören wohl auch Kindergartenkosten (so Gerhardt, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 6. Auflage, 6. Kapitel, Rdn. 79 ff.).
Die nunmehrige Entscheidung des BGH wird daher wohl auch in Zukunft trotzdem zu kontroversen Meinungen führen, es bleibt abzuwarten, wie die Obergerichte das hiesige Urteil in ihre Rechtsprechung aufnehmen.