Kindesunterhalt - OLG - 03.05.2023

  1. Der gesteigert Unterhaltspflichtige, der den Mindestunterhalt nicht aufbringen kann, ist verpflichtet, auch neben einer Vollzeitbeschäftigung eine Nebentätigkeit auszuüben. Die aus ihr erzielten Einkünfte sind bis zur Deckung des Mindestunterhalts einzusetzen und insoweit nicht überobligatorisch.
  2. Beruft sich der Unterhaltsschuldner auf eine Erhöhung des Selbstbehalts wegen überhöhter Wohnkosten, hat er darzulegen und zu beweisen, dass diese den Umständen nach unvermeidbar sind.
  3. Auch bei erheblich höheren Einkünften des betreuenden Elternteils ist der Barunterhaltspflichtige nicht ohne weiteres entlastet. Die sich aus den beiderseitigen Einkünften ergebende Einkommensdifferenz ist vielmehr wertend zu korrigieren.
  4. Zur Ermittlung der Einkommensdifferenz ist von den beiderseitigen Einkünften der angemessene Selbstbehalt in Abzug zu bringen, der wegen der überhöhten Wohnkosten anzuheben ist.

Beschluss:
Gericht: OLG München
Datum: 03.05.2023
Aktenzeichen: 2 UF 1057/22e
Leitparagraph: §§ 1601, 1603 II, 1606 Abs. 3 BGB
Quelle: NZFam 2023 S. 756

Kommentierung:

Zwei minderjährige Kinder leben im Haushalt des Vaters. Die Mutter war zunächst mit 31 Wochenstunden beschäftigt, ab März 2022 in Vollzeit. Darüber hinaus hatte sie eine Nebenbeschäftigung als ambulante Pflegekraft. Das Amtsgericht hat bei der Kindsmutter die Einkünfte aus der Nebentätigkeit im vollen Umfang angerechnet und vom gesamten unterhaltsrechtlichen Einkommen eine um 270,00 € erhöhten Selbstbehalt in Abzug gebracht, da die Wohnkosten der Mutter jeweils über dem im Selbstbehalt enthaltenen Betrag liegen. Das Amtsgericht ist im Hinblick auf die Einkommensverhältnisse von einer alleinigen Barunterhaltsverpflichtung der nichtbetreuenden Mutter ausgegangen. Das Amtsgericht kam zu 88 % des Mindestunterhaltes, die Mutter hat eine Verringerung von 250,00 € beantragt, der Vater eine Erhöhung auf 110 % des Mindestunterhaltes.

Das OLG kam zu 100 % des Mindestunterhaltes. Einkünfte aus der Nebenbeschäftigung sind in jedem Fall bis zur Höhe des Mindestunterhaltes nicht überobligatorisch und sind voll zur Bedarfsdeckung einzusetzen. Dies gilt insbesondere bis einschließlich Februar 2022, da die Kindsmutter bis zu diesem Zeitpunkt mit einem Beschäftigungsgrad von nur 80 % ihre Erwerbsobliegenheit nicht erfüllt hat. Nachdem die Einkünfte aus der Vollzeittätigkeit danach nicht ausreichten um den Mindestbedarf (100 % des Mindestunterhaltes) der beiden Kinder zu decken war sie auch danach verpflichtet eine Nebentätigkeit bis zur einer Gesamtarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche auszuüben.

Das OLG hat eine Erhöhung des Selbstbehaltes nicht vorgenommen, auch wenn unstreitig Wohnkosten von 700,00 € im Monat angefallen sind und somit über den im Selbstbehalt „eingepreisten“ Wohnkosten liegen. Eine Erhöhung des Selbstbehaltes kommt nur in Betracht, wenn die Wohnkosten erheblich und den Umständen nach unvermeidbar sind. Die Unterhaltsverpflichtete hatte nicht vorgetragen, dass sie sich um günstigeren Wohnraum bemüht hätte. Ein Erfahrungssatz, nach dem es im Großraum München unmöglich sei, Wohnraum zu dem im Selbstbehalt enthaltenen Wohnkostenanteil zu bekommen, gibt es nicht.

Eine Mithaftung des Vaters nach 1603 Abs. 2 BGB hat das OLG abgelehnt. Es verneint eine erhebliche Einkommensdifferenz, wobei das OLG an dieser Stelle bei der Ermittlung der beiden Einkünfte den angemessenen Selbstbehalt in Abzug bringt – und nicht den Mindestselbstbehalt - und ohne Begründung diesen angemessenen Selbstbehalt um erhöhte Wohnkosten anhebt. Beim betreuenden Vater erhöht das OLG den Selbstbehalt noch mal wegen der von ihm erbrachten Betreuungsleistungen.

Mit der Anrechnung der Nebeneinkünfte folgt das OLG der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH NJW 2014 S. 3784). Selbiges gilt zu den Erwägungen zur Mithaftung des betreuenden Vaters. Auch nach Ansicht des BGH muss eine Erhöhung des Selbstbehaltes den Umständen nach nicht vermeidbar sein (BGH NJW 2021 S. 472). Dies hat derjenige darzulegen und zu beweisen, der sich darauf beruft. Dazu hat man seinen Wohnbedarf darzulegen, das Mietniveau darzustellen und zu den Bemühungen eine preiswerte Wohnung zu finden vorzutragen, ggfs. zu beweisen. Mögen auch die Darlegungsverpflichtungen in Städten mit hohem Mietniveau nicht gar so hoch angesiedelt sein wie in ländlichen Gebieten, trotzdem muss man dies eben darlegen und beweisen.

Etwas überraschend erscheint es, dass beim angemessenen Selbstbehalt das OLG einen anderen Maßstab anlegt, dies ergibt sich weder aus unterhaltsrechtlichen Leitlinien noch nach der Rechtsprechung des BGH.

Die Unterscheidung zwischen notwendigem Selbstbehalt und angemessenen Selbstbehalt und der dort eingepreisten Wohnwerte finden Sie in diesem Report an anderer Stelle.