Kindesunterhalt - OLG - 06.06.2023
- Bei den Kosten für die Nachmittagsbetreuung in der offenen Ganztagsschule handelt es sich unterhaltsrechtlich um Mehrbedarf des Kindes, wenn die offene Ganztagsschule nicht nur eine Hausaufgabenbetreuung bietet, die grundsätzlich auch vom betreuenden Elternteil zu leisten wäre.
- Nach § 1613 BGB ist ein Auskunftsverlangen betreffend den Elementarkindesunterhalt – entsprechend der Rechtsprechung zum Altersvorsorgeunterhalt – nicht ausreichend, um ab Zugang eines solchen Auskunftsverlangens auch einen Anspruch auf Zahlung von Mehrbedarf für die Vergangenheit geltend machen zu können.
Beschluss:
Gericht: OLG Schleswig
Datum: 06.06.2023
Aktenzeichen: Az. 13 UF 107/22
Leitparagraph: §§ 1605, 1610, 1613 BGB
Quelle: NZFam 2024, Seite 35
Kommentierung:
Das Kind, vertreten durch die Mutter, verlangt laufenden und rückständigen Elementarunterhalt sowie die Zahlung monatlichen Mehrbedarfs für den Besuch einer Ganztagsschule. Hierzu hat die Mutter im Vorfeld den Vater aufgefordert, Auskunft zu erteilen, um den Kindesunterhalt berechnen zu können. Erst ein Jahr und 2 Monate später verlangt sie zusätzlich Zahlung eines Mehrbedarfs (ca. 50 €). Der Vater wendet ein, dass rückständiger Elementarunterhalt und Mehrbedarf nicht rückwirkend verlangt werden kann, insbesondere, weil das allgemeine Auskunftsverlangen im Jahr 2020 den Mehrbedarf nicht enthalten hat. Zudem handele es sich bei den Kosten der Ganztagsschule nicht um Mehrbedarf, da dieser lediglich dem Zweck diene, der Mutter die Erwerbstätigkeit zu ermöglichen.
Das OLG hat rückständigen Mehrbedarf erst ab Rechtshängigkeit des Antrags aus dem Jahr 2021 zugesprochen, rückständigen Elementarunterhalt bereits ab dem Zeitpunkt des allgemeinen Auskunftsverlangens. Zudem hat das OLG die Kosten der Ganztagsschule als Mehrbedarf des Kindes eingestuft, dies mit dem Argument, dass die Ganztagsschule nicht nur eine Hausaufgabenbetreuung anbiete, sondern darüber hinaus über ein umfangreiches Kursprogramm verfüge, das es dem Kind ermögliche, sich sportlich und kreativ zu betätigen. Insoweit liegen somit auch pädagogische Gründe im Interesse des Kindes vor. Da im ersten Auskunftsverlangen ein Mehrbedarf nicht geltend gemacht wurde, konnte diesbezüglich kein Verzug eintreten, sodass erst ab dem konkreten Verlangen im Jahr 2021 dieser Mehrbedarf geschuldet ist. Dem Unterhaltspflichtigen ist seine eventuelle Verpflichtung hinsichtlich der Zahlung von Mehrbedarf erst ab dem konkreten Verlangen erkennbar und ist von dem allgemeinen Auskunftsanspruch auf Zahlung von Kindesunterhalt nicht abgedeckt.
In der Praxis wird häufig darüber gestritten, wann Kinderbetreuungskosten Mehrbedarf sind, wann nicht. Nach der herrschenden Rechtsprechung stellen Kinderbetreuungskosten immer dann Mehrbedarf dar, wenn sie neben der Fremdbetreuung auch einen pädagogischen Nutzen für das Kind haben und damit nicht alleine der Entlastung des betreuenden Elternteils dienen (dann nur berufsbedingte Aufwendungen des Elternteils und bei der Berechnung eines eventuellen Ehegattenunterhalt als Abzugsposten zu berücksichtigen). Für den Kindergarten ist das vom BGH so bestätigt worden (BGH, FamRZ 2008, Seite 1152; BGH 2017, Seite 437). Hinsichtlich anderer Betreuungseinrichtungen (Hort, Kinderkrippe, Mittagsbetreuung etc.) ist der pädagogische Nutzen nicht in gleicher Weise offenkundig. Erforderlich ist daher ein spezielles Angebot der Einrichtung, welches über das Mittagessen und die Hausaufgabenbetreuung hinausgeht (BGH, FamRZ 2018, Seite 23 u.a.). Das OLG Frankfurt (NZFam 2019, Seite 627) geht hingegen immer von einem Mehrbedarf aus, was jedoch der Rechtsprechung des BGH widerspricht.
Da diese Entscheidung insbesondere auch zur Frage der rückwirkenden Geltendmachung von Mehrbedarf für eine Vielzahl von Fällen von Bedeutung ist, wurde vom OLG Schleswig die Rechtsbeschwerde zugelassen, die auch beim BGH eingelegt wurde (Az. XII ZB 282/23).
Ob die Fremdbetreuung des Kindes Mehrbedarf ist oder berufsbedingte Fremdbetreuung wird vermutlich nur im Einzelfall zu klären sein und von Einrichtung zu Einrichtung unterschiedlich sein, jedoch auch in der Bewertung des jeweiligen Richters.