Masken- und Testpflicht für Kinder an Schulen - AG Weimar - 13.04.2021 (Corona-Rechtsprechung)

Beschluss:
Gericht: AG Weimar
Datum: 08.04.2021
Aktenzeichen: Az. 9 F 148/21

und

Gericht: AG Weilheim
Datum: 13.04.2021
Aktenzeichen: Az. 2 F 192/21
Leitparagraph: § 1666 BGB
Quelle: NZFam 2021, Seite 419

Kommentierung:

Ein Familienrichter in Weimar hat mit einem ausführlichen Beschluss (ca. 170 Seiten) die öffentlich-rechtliche Bestimmung zu Maskenpflicht und Coronatestpflicht an zwei Schulen aus Gründen des Kindeswohles aufgehoben. Das Gericht geht von einer Verfassungswidrigkeit aus und bewertet die Maskenpflicht während des Schulunterrichts als unzulässigen, die Gesundheit gefährdenden, Eingriff in die körperliche Integrität der Kinder. Vorausgegangen war die Einleitung eines Kinderschutzverfahrens gemäß § 1666 BGB, wonach das Familiengericht Maßnahmen zur Abwendung von Gefahren für das körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern treffen kann, in Angelegenheiten der Personensorge auch Maßnahmen mit Wirkung gegen Dritte. Das Familiengericht hatte zunächst in einem Hauptsacheverfahren sachverständig klären lassen, ob die in Schulen verordnete Maskenpflicht für Kinder schädliche Auswirkungen auf deren Gesundheit hat. Nach Eingang des Gutachtens hat das Familiengericht Weimar dann per einstweiliger Anordnung den Schulen bzw. Lehrern untersagt, die Kinder in der Schule zum Maskentragen/Testpflicht zu zwingen. Ähnlich hat das AG Weilheim entschieden.

Gegen diese beiden Entscheidungen wurde von Seiten der Behörden „Sturm gelaufen“. Viele andere Amtsgerichte haben entsprechende Anträge, die bei Gericht eingegangen sind, nicht weiterverfolgt und auch kein Verfahren eingeleitet, da – ungeachtet der Frage der Zuständigkeit der Familiengerichte – jedenfalls keine konkreten Kindswohlgefährdungen ersichtlich seien. Sowohl die Weimarer Staatsanwaltschaft als auch die Weilheimer Staatsanwaltschaft prüft Anzeigen gegen den/die Richter/in wegen Rechtsbeugung.

In chronologischer Reihenfolge hat dann das Verwaltungsgericht Weimar (Beschluss vom 20.04.2021, Az. 8 E 416/21) die Entscheidung des AG Weimar (Familiengericht) als offensichtlich rechtswidrig eingestuft und darauf verwiesen, dass das Familiengericht keine Befugnis hat, Anordnungen gegenüber Behörden zu treffen und insoweit Behörden auch keine „Dritte“ im Sinne des § 1666 Abs. 4 BGB sind. Die gerichtliche Kontrolle von Behörden und Schulen obliegt ausschließlich den Verwaltungsgerichten. Gleichzeitig hat das Verwaltungsgericht die Maskenpflicht im Unterricht bestätigt und einen dahingehenden Eilantrag abgelehnt. Es bestünden keine durchgreifenden gesundheitlichen Bedenken, es gäbe auch keine wissenschaftlich fundierten Quellen. Das Verwaltungsgericht hat hierzu entschieden, weil dieselben Antragsteller, die auch Antragsteller im Verfahren des AG Weimar sind, Az, 9 F 148/21, parallel am Verwaltungsgericht entsprechenden Antrag gestellt hatten. Auch das OLG Frankfurt a. M. hat mit Beschluss vom 05.05.2021, Az. 4 UF 90/21 entschieden, dass das Familiengericht nicht für die Prüfung von Corona-Maßnahmen an Schulen zuständig ist. Zuständig sind ausschließlich die Verwaltungsgerichte.

Auch alle anderen Gerichte haben die Corona-Regelungen für Schulunterricht für verfassungsgemäß gehalten und die jeweiligen Verordnungen bestätigt:

  • OVG Magdeburg, Beschluss vom 16.04.2021, Az. 3 R 94/21 (Ausschluss vom Präsenzunterricht bei fehlender Schnelltesteinwilligung)
  • OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.04.2021, Az. 13 MN 192/21 (Schulbetretungsverbot bei Verweigerung von Coronaschnelltest)
  • BayVerfGH, Entscheidung vom 22.04.2021, Az. Vf. 26 – VII – 21 (Bestätigung Testpflicht an Schulen und Ablehnung auf Außervollzugsetzung der betreffenden Verordnung)
  • VGH Mannheim, Beschluss vom 29.04.2021, Az. 1 S 1204/21 (Ablehnung von Eilanträgen gegen die angeordnete Testpflicht an Schulen wegen Unbegründetheit und in diesem Fall auch wegen Unzulässigkeit, da die antragsstellende Kindsmutter nicht Adressatin der Testpflicht ist; abgelehnt wurde auch ein Antrag einer Lehrerin im Verfahren 1 S 1340/21)
  • OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.04.2021, Az. 20 WF 70/21 (Ein Familiengericht kann selbst entscheiden, ob überhaupt ein Verfahren nach § 1666 BGB eingeleitet werden kann oder darf. Gibt es hierfür keinen Grund, kann das Familiengericht die Angelegenheit selbst beendet, es bedarf keiner Abgabe an das Verwaltungsgericht.)
  • VG Münster, Beschluss vom 03.05.2021, Az. 5 L 276/21 (Verpflichtung von Lehrern bei Anwendung von Selbsttests die Schüler anzuleiten und zu beaufsichtigen)
  • OVG Schleswig, 3 MB 23/21 und 3 MB 25/21 (Verpflichtung eines Coronatests für Teilnahme am Präsenzunterricht rechtmäßig)
  • VerfG Brandenburg, Beschluss vom 05.05.2021, Az. 8/21 EA (Eilantrag gegen Testpflicht an Schulen zurückgewiesen – Grundrechtseingriffe sind hinzunehmen.)
  • VG Ansbach, Urteil vom 12.05.2021, Az. An 2 K 21.00257 (Schüler, die dem Präsenzunterricht unentschuldigt fernbleiben, müssen ein amtsärztliches Attest vorlegen, wenn ernsthafte Zweifel am Bestehen einer Erkrankung vorliegen. Dies gilt insbesondere, wenn sie oder ihre Eltern als Gegner der schulischen Maskenpflicht bekannt sind.)
  • AG Garmisch-Partenkirchen, Beschluss vom 03.05.2021, Az. 1 F 128/21 und 1 F 125/21: Dem Familiengericht fehlt jede Kompetenz, nach § 1666 Abs. 4 BGB Anordnungen gegenüber Schulbehörden zu treffen. Wer – Eltern – durch ins Internet gestellte Musteranträge veranlasst, wegen der Maskenpflicht wegen Gefährdung des Kindeswohles beim Familiengericht Verfahren einzuleiten, handelt grob schuldhaft, ihm können daher die Kosten des familiengerichtlichen Verfahrens auferlegt werden. Wie alle hier zitierten Entscheidungen, reiht sich diese in eine Reihe von Beschlüssen, mit denen offenbar Gerichte ein Zeichen gegen die Überflutung mit Kindsschutzverfahren setzen wollen. So hat das AG Wittenberg (Beschluss vom 08.04.2021, Az. 5 F 140/21) den Gebrauch einer Mustervorlage zum Anlass genommen, die Erziehungseignung und Erziehungsfähigkeit des Sorgeberechtigten zu überprüfen. Das AG Leipzig (Beschluss vom 15.04.2021/16.04.2021, Az. 335 F 1187/21) hat einen Verfahrenswert, der eigentlich in solchen Verfahren zwischen 2000 € (Eilverfahren) und 4000 € (Hauptsacheverfahren) liegt, auf astronomische 1,4 Millionen €, später korrigiert auf 500.000 € festgesetzt, mit der Begründung, dass eben nicht nur eine Person (Antragsteller) von der Tragkraft einer solchen Entscheidung betroffen ist. Hier will man offensichtlich den Internetaufrufen zur massenhaften Verfahrensanregung wirksame Contrapunkte entgegensetzen. Keuter in NZFam 2021, Seite 512, warnt jedoch vor einem „Kreativitätswettbewerb“, der am Ende den Kritikern der Corona-Maßnahmen das unzutreffende Argument liefert, sie sollten mundtot gemacht werden.
  • OLG Nürnberg, Beschluss vom 27.04.2021, Az. 9 WF 342/21 und 9 WF 343/21 (Für die gerichtliche Überprüfung coronabedingter Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung (hier: Maskenpflicht, Testpflicht etc.) besteht keine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte. § 1666 Abs. 4 BGB erfasst nicht Maßnahmen gegenüber den Trägern der staatlichen Gewalt.)
  • LVerfG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21.05.2021, Az. LVG 21/21 (Präsenzunterricht darf an Corona-Testungen gekoppelt werden, Testregelung ist durch Infektionsschutz gerechtfertigt.)

Zwischenzeitlich hat das OLG Jena mit Beschluss vom 14.05.2021, Az. 1 UF 136/21, die Entscheidung des AG Weimar aufgehoben. Das OLG hat den Rechtsweg zum Familiengericht für unzulässig erklärt, es besteht keine Anordnungskompetenz gegenüber staatlichen Behörden etc., derartiges ergibt sich auch nicht aus § 1666 Abs. 4 BGB. Der Freistaat Thüringen hat gegen die Entscheidung des AG Weimar Beschwerde eingelegt, und zwar ohne Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 54 Abs. 2 FamFG, sondern als sofortige Beschwerde als auch als außerordentliche Beschwerde. Das OLG hat zwar das Recht zu einer außerordentlichen Beschwerde mit Überspringen des Antrags auf mündliche Verhandlung abgelehnt, jedoch der Beschwerde als sofortige Beschwerde stattgegeben. Dies wegen des fehlenden Beschlusses des Amtsgerichtes im Vorfeld über die Zulässigkeit des Rechtsweges zu entscheiden. Einzelheiten der dogmatischen juristischen Zulässigkeitsfragen sind an dieser Stelle nicht von Bedeutung, letztendlich hat das OLG Jena den berühmt-berüchtigten Beschluss des AG Weimar zur Maskenpflicht und zum Präsenzunterricht aufgehoben (NZFam 2021, Seite 555). Letztendlich hat das OLG Jena so entschieden, wie zu erwarten stand und letztendlich auch bis zum Verfassen dieses Artikels sämtliche anderen Obergerichte entschieden hatten. Es verbleibt die Hoffnung, dass mit Erscheinen dieser Urteilsbesprechung die Brisanz derartiger Fragen nicht mehr so hoch ist.