Nachehelicher Unterhalt - BGH - 06.02.2008

  1. Bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 I 1 BGB) sind spätere Änderungen des verfügbaren Einkommens grundsätzlich zu berücksichtigen, und zwar unabhängig davon, wann sie eingetreten sind, ob e sich um Minderungen oder Verbesserungen handelt oder ob die Veränderung auf Seiten des Unterhaltspflichtigen oder des Unterhaltsberechtigten eingetreten ist.
  2. Das Unterhaltsrecht will den geschiedenen Ehegatten nicht besser stellen, als er während der Ehe stand oder auf Grund einer absehbaren Entwicklung ohne die Scheidung stehen würde. Daher sind nur solche Steigerungen des verfügbaren Einkommens zu berücksichtigen, die schon in der angelegt waren, nicht aber zum Beispiel ein Einkommenszuwachs infolge eines Karrieresprung.
  3. Die Berücksichtigung einer nachehelichen Verringerung des verfügbaren Einkommens findet ihre Grenze erst in der nachehelichen Solidarität. Nur bei unterhaltsrechtlich leichtfertigem Verhalten ist deswegen von einem fiktiven Einkommen auszugehen. Diese Voraussetzung liegt nicht vor, wenn ein Unterhaltsschuldner Kinder aus einer neuen Beziehung bekommt. Daher ist in solchen Fällen von den tatsächlichen Verhältnissen auszugehen und auch die neue Unterhaltspflicht bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts zu berücksichtigen.

 ~

Urteil

Gericht         : BGH 
Datum           : 06.02.2008 
Aktenzeichen    : XII ZR 14/06 
Leitparagraph   : BGB §1578 
Quelle          : FamRZ 2008, Seite 968, NJW 2008, Seite 1663, FuR 2008, Seite 297 
Kommentiert von : RA Simon Heinzel 

Inhalt:

Folgender Sachverhalt lag zugrunde:

Der Abänderungskläger und die Beklagte zu 1. sind geschiedene Eheleute. Aus dieser sind die 1993 und 1986 geborenen Kinder hervorgegangen. In einem Vergleich im Jahr 1999 hat sich der unterhaltspflichtige Vater und Ehegatte zu einem Trennungsunterhalt und später zu einem nachehelichen Unterhalt in Höhe von damals 754 DM verpflichtet. Grundlage war weiterhin ein Kindesunterhalt für die beiden Kinder in Höhe von 522 DM bzw. 618 DM, jeweils abzgl. hälftigem Kindergeld. Darüber hinaus war Grundlage, dass die Ehefrau bis einschließlich 07/03 monatlich 1000 DM netto anrechnungsfrei hinzuverdienen darf und eine evtl. neue Partnerschaft ebenso in diesem Zeitraum nicht zu beachten ist. Der Kläger (Mann) ist seit 2000 wieder verheiratet, aus dieser Ehe ist 2001 eine weitere Tochter hervorgegangen, er lebt mit Frau und Kind mietfrei im Haus der neuen Ehefrau.

 ~

Im Jahr 2002 wurde der vormalige Vergleich abgeändert, der nacheheliche Unterhalt wurde auf 333 Euro herabgesetzt, im Übrigen sollte es bei den Grundlagen des alten Vergleichs bleiben. Für die Kinder wurde durch Jugendamtsurkunde ein Unterhalt in Höhe von 107 % des Regelbetrages festgelegt. Ab Februar 2005 hat dann der Mann auf den Unterhalt der Frau nur noch einen Betrag in Höhe von 100 Euro geleistet, ein weiterer Betrag wurde zur Sicherheit „hinterlegt“. Mit seiner Abänderungsklage hat der Kläger den Wegfall des nachehelichen Unterhalts begehrt, sowie die Herabsetzung des Kindesunterhaltes auf 219 Euro, sowie die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung für Unterhalt aus zurückliegenden Zeiten. Daneben begehrte der Vater auch Rückzahlung überzahlten Unterhalts.

 ~

Das Amtsgericht hat den nachehelichen Unterhalt ab August 2004 auf monatlich 237 Euro herabgesetzt und auch die Zwangsvollstreckung für vergangene Zeiten für Kindesunterhalt teilweise für unzulässig erklärt und die Kindesunterhaltslast auf 219 Euro herabgesetzt. Darüber hinaus wurde auch teilweise den Rückzahlungsansprüchen stattgegeben.

 ~

Auf die Berufungen beider Parteien hat das OLG das Urteil abgeändert. Das OLG hat den nachehelichen Unterhalt noch weiter herabgesetzt und zwar auf zuletzt 135 Euro für die Zeit ab 11/05. Das OLG hat beim Kindesunterhalt Korrekturen vorgenommen und bei dem Rückzahlungsanspruch diesen beschränkt auf Teilbereiche. Der Kläger hat gegen diese Endentscheidung des OLG Revision zum BGH eingelegt, er begehrt weiterhin den Gesamtwegfall des nachehelichen Unterhalts sowie eine weitere Herabsetzung des Kindesunterhalts (sowie die Erstattung der Kosten eine Zwangsvollstreckung).

 ~

Der BGH hat gegen den im Verhandlungstermin nicht erschienen Kläger durch sog. Versäumnisurteil entschieden, dieses beruht jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis des Klägers, sondern berücksichtigt den gesamten Sach- und Streitstand. Die Revision ist begründet und das Urteil des OLG wird insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers entschieden worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

 ~

Der BGH begründet seine Entscheidung wie folgt:

 

Grundlagen der OLG-Entscheidung

  • Die Klage auf Abänderung des Unterhalts ist zulässig und richtet sich nach den Grundsätzen des Wegfalls der früheren Geschäftsgrundlage. Es sei eine Neuberechnung ohne Bindung an die Grundlagen des Vergleichs erforderlich, weil sich die Vergleichsgrundlage, mit Ausnahme der bindenden Vereinbarung bis 07/03 weder aus dem alten Vergleich ergebe und nicht unstrittig ist. Daher sind für die Bemessung des nachehelichen Unterhalts die ehelichen Lebensverhältnisse zu bestimmen und entscheidend.
  • Es ist das Erwerbseinkommen des Mannes im Jahr 2004 zugrundezulegen, zumal keine Änderungen eingetreten sind. Realsplitting-Vorteil ist lediglich bis 07/04 zu berücksichtigen, da ab 08/04 Abänderung und Wegfall begehrt wird. Der Realsplittingvorteil ist zu berechnen auf der Grundlage der Lohnsteuerklasse I. Der Splittingvorteil aus der neuen Ehe ist bei der Berechnung des nachehelichen Unterhalts nicht zu berücksichtigen, ebenso wenig der höhere Kinderfreibetrag ab Geburt des weiteren Kindes in zweiter Ehe. Abzuziehen von Einkommen auch eine Direktversicherung sowie vermögenswirksame Leistungen. Nach Abzug von 5 % berufsbedingten Aufwendungen verblieben monatliche Einkünfte in Höhe von 1670 Euro.
  • Ein Wohnvorteil ist nicht zu berücksichtigen, das mietfreie Wohnen im Haus der neuen Ehefrau stellt eine freiwillige Leistung dar, die nicht die Unterhaltslast aus erster Ehe beeinflusst und nicht der geschiedenen Ehefrau zugute kommen soll.
  • Abzuziehen ist der die ehelichen Lebensverhältnisse prägende Kindesunterhalt, nicht jedoch der Unterhalt des Kindes aus zweiter Ehe, welches erst nach der Scheidung geboren wurde. Bei der Berechnung des Kindesunterhaltes für die Kinder aus erster Ehe ist der Splittingvorteil aus der zweiten Ehe zu berücksichtigen. Das Kind aus zweiter Ehe ist bei der Berechnung des Kindesunterhaltes nur insoweit zu berücksichtigen, als es für die Einstufung in die Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle maßgeblich ist (Herabstufung wegen mehrerer Unterhaltsberechtigter).
  • Die geschiedene Ehefrau ist im Hinblick auf das Alter der jüngsten Tochter (4./5. Grundschulklasse) zur Aufnahme einer Halbtagstätigkeit verpflichtet. Ausreichende Erwerbsbemühungen seien nicht nachgewiesen. Deshalb sind der Frau entweder konkret oder fiktiv 630 Euro netto monatlich zuzurechnen.
  • Auf Seiten des geschiedenen Ehemannes liegt Leistungsfähigkeit vor. Der Selbstbehalt ist wegen des Zusammenlebens mit der neuen Ehefrau um 250 Euro zu reduzieren.
  • Der nacheheliche Unterhaltsanspruch ist nicht verwirkt, auch wenn in erster Instanz verschwiegen wurde, dass seit März 2005 eine feste Arbeitsstelle vorhanden war. Ein versuchter Prozessbetrug führt nur dann zur Verwirkung, wenn dieser ein schwerwiegendes Fehlverhalten darstellt. Dies ist nicht der Fall, da die Frau bereits mit der Berufungsbegründung ohne gerichtliche Nachfrage ihr tatsächliches Einkommen offenbart hat.
  • Das gezahlte Kindergeld für ein volljähriges Kind ist in voller Höhe auf den Unterhaltsbedarf anzurechnen.
  • Der Kläger kann Unterhalt nur für die Zeit ab Rechtshängigkeit der Rückforderungsklage zurückfordern, davor liegt Entreicherung vor.
  • Die Kosten der Zwangsvollstreckung gegen ihn kann der Kläger nicht erstattet verlangen.

 ~

Das hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

 ~

Die BGH-Entscheidung

 

Zu Recht hat das OLG die Abänderungsklage für zulässig erachtet. Die Bemessung der Unterhaltsansprüche entspricht aber nicht in allen Punkten der Rechtsprechung des Senats. Dies wirkt sich auch auf den Rückforderungsanspruch aus.

 ~

  • Die Abänderungsklage ist zulässig, weil seit Vergleichsschluss/Jugendamtsurkunde wesentliche Änderungen der Verhältnisse eingetroffen sind (Wegfall der Geschäftsgrundlage). Enthält ein Unterhaltsvergleich, wie hier, allerdings keine ausdrückliche Vergleichsgrundlage und lässt sich eine solche auch nicht ermitteln, ist der Unterhaltsanspruch im Abänderungsverfahren ohne Bindung an den abzuändernden Vergleich allein nach den gesetzlichen Vorgaben zu ermitteln.
  • Daher wird der nacheheliche Unterhaltsanspruch dem Grunde nach nur für die Zeit bis Ende 2007 von den Entscheidungsgründen getragen. Das OLG hat zu Recht bis 31.12.07 einen Betreuungsunterhalt zugesprochen. Die jüngste gemeinsame Tochter war zu diesem Zeitpunkt erst 14 Jahre alt. Nach dem alten Unterhaltsrecht und Alterphasenmodell bestand daher lediglich eine Obliegenheit zur Halbtagstätigkeit. Der Ansatz von 630 Euro abzgl. 5 % berufsbedingte Aufwendungen und 10 % Erwerbstätigenbonus sind nicht zu beanstanden. Für die Zeit ab 01.01.08 wird das OLG allerdings die Änderungen der Unterhaltsrechtsreform zu berücksichtigen haben. Danach besteht ohne weitere Begründung nur ein Betreuungsunterhaltsanspruch bis zu 2. Lebensjahr des Kindes. Zwar kann dieser Anspruch im Einzelfall aus kindbezogenen oder elternbezogenen Gründen verlängert werden, für die Umstände, die eine solche Verlängerung rechtfertigen können ist der Unterhaltsberechtigte (Ehefrau) darlegungs- und beweispflichtig.
  • Grundsätzlich ist es richtig, dass die ehelichen Lebensverhältnisse maßgeblich sind. Das OLG hat insoweit richtigerweise den Splittingvorteil aus der neuen Ehe aus dem Einkommen herausgerechnet (BVerfG, FamRZ 2003, S. 1821, BGH, FamRZ 2005, S. 1817). Ebenso richtig ist die Berücksichtigung des Splittingvorteils beim Kindesunterhalt, da dieser auch dem Kind aus der neuen Ehe zugute kommt (zuletzt BGH, FamRZ 2007, S. 1081). Eine zweistufige Berechnung für Ehegatten- und Kindesunterhalt ist nur bis 31.12.2007 notwendig, danach gehen die Kindesunterhaltsansprüche im Rang vor, sodass ohnedies zuerst der Kindesunterhalt ermittelt wird und anschließend dann ohne Splittingvorteil der Ehegattenunterhalt. Auch die Berücksichtigung des Realsplittingvorteils ist nicht zu beanstanden und ist auf der Grundlage des Grundtarifs (Steuerklasse I) zu bemessen.Bei der Ermittlung der ehelichen Lebensverhältnisse ist gemäß § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich vom tatsächlich erzielten Einkommen auszugehen. Es besteht jedoch eine Obliegenheit, den Realsplittingvorteil wahrzunehmen. Ein solcher Realsplittingvorteil errechnet sich jedoch nur dann, wenn tatsächliche Unterhaltszahlungen geleistet wurden, wenn eine Unterhaltspflicht aufgrund eines Titels feststeht, sind sogar bei Nichtzahlung die möglichen steuerlichen Vorteile des Realsplittings aus der gesamten Unterhaltspflicht fiktiv zu berechnen (BGH, FamRZ 2007, Seite 793). Deshalb hat das OLG richtigerweise bis 07/04 den Realsplittingvorteil berücksichtigt, für die Zeit danach nicht mehr, da der Wegfall des Unterhalts begehrt wurde.
  • Richtigerweise hat das OLG die Kindesunterhaltsansprüche der ehelichen Kinder vorweg berücksichtigt, zu Unrecht jedoch den Unterhaltsanspruch des weiteren Kindes aus zweiter Ehe unberücksichtigt gelassen.

 ~

 

Nach der Rechtsprechung des BGH zu den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen soll keine fortschreibende Lebensstandardgarantie begründet werden. Für eine solche Absicherung bietet das Recht des nachehelichen Unterhalts, das nur die Risiken der mit der Scheidung fehlgeschlagenen Lebensplanung der Ehegatten bekommen und der von ihnen in der Ehe praktizierten Arbeitsteilung angemessen ausgleichen will, keine Rechtfertigung. Das Unterhaltsrecht will den bedürftigen Ehegatten nicht besser stellen, als er ohne die Scheidung stünde. Bei Fortbestehen der Ehe hätte ein Ehegatte die negative Einkommensentwicklung des anderen Ehegatten wirtschaftlich mitzutragen. Es ist nicht einzusehen, warum die Scheidung ihm das Risiko einer solchen Entwicklung abnehmen soll. Nichts anderes kann für sonstige Änderungen der maßgeblichen Verhältnisse gelten, wenn sich dadurch das dem Unterhaltspflichtigen verfügbare Einkommen vermindert (BGH, FamRZ 2006, Seite 683). Daher muss eine Korrektur nicht erst bei der Leistungsfähigkeit, sondern schon bei der Bedarfsbemessung ansetzen.

 

Die Rechtsprechung mit der Anknüpfung der ehelichen Lebensverhältnisse an den Stichtag der rechtskräftigen Scheidung ist dadurch überholt. Entscheidend ist, wie der Senat in seiner neueren Rechtsprechung wiederholt betont hat, dass dem Recht des nachehelichen Unterhalts keine Lebensstandardgarantie entnommen werden kann (BGH, FamRZ 2008, S. 134, BGH, FamRZ 2007, S. 793). Deswegen sind spätere Einkommensveränderungen grundsätzlich zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob sie vor der Rechtskraft der Ehescheidung oder erst später eingetreten sind, und grundsätzlich auch unabhängig davon, ob es sich um Einkommensminderungen oder -verbesserungen handelt, wobei allerdings wegen der Anknüpfung an die ehelichen Lebensverhältnisse Ausnahmen geboten sind. So findet eine nacheheliche Einkommensminderung ihre Grenzen in der nachehelichen Solidarität, so darf der Unterhaltspflichtige den Unterhaltsanspruch nicht leichtfertig gefährden. Beruhen Einkommensminderungen auf einer Verletzung der Erwerbsobliegenheit, können diese Einkommensminderungen nicht berücksichtigt werden. Beruhen sie freiwilligen beruflichen oder wirtschaftlichen Dispositionen des Unterhaltspflichtigen und hätten sie durch zumutbare Vorsorge aufgefangen werden können, gilt selbiges, sodass stattdessen fiktive Einkünfte anzusetzen sind. Auch Einkommenssteigerung sind grundsätzlich zu berücksichtigen, Ausnahmen bestehen nur dort, wo die Steigerungen nicht schon in der Ehe angelegt waren (allgemeine Lohnsteigerungen), sondern auf eine unterwartete Entwicklung, z. B. einen Karrieresprung zurückzuführen sind. Dies ist dann nicht mehr den ehelichen Lebensverhältnissen zuzurechnen. Das Unterhaltsrecht will den geschiedenen Ehegatten nicht besser stellen, als er während der Ehezeit stand oder aufgrund einer schon absehbaren Entwicklung ohne die Scheidung stehen würde.

Im Hinblick auf diese Betrachtungsweise sind auch sonstige Veränderungen der maßgeblichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Es kann nicht vorwerfbar sein, eine neue Familie zu gründen und neue Kinder in die Welt zu setzen, es wäre verfehlt, die Unterhaltspflicht für das neu hinzugekommene Kind bei der Bemessung des Alt-Ehegattenunterhaltes unberücksichtigt zu lassen, was dazu führen könnte, dass der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau das verbleibende Einkommen des Unterhaltspflichtigen übersteigt (BGH, FamRZ 2006, Seite 683). Das OLG wird daher den Unterhaltsanspruch des neuen Kindes bei der Neuberechnung zu berücksichtigen haben.

 ~

  • Bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen ist der volle Unterhaltsbedarf der Kinder zu berücksichtigen, wobei dieser errechnet wird nach dem Nettoeinkommen aus der Grundtabelle (Steuerklasse I) und nicht aus der Splittingtabelle. Zwar schuldet der Kläger Unterhalt auf der Grundlage der tatsächlichen Einkünfte (mit Splittingvorteil). Für die Berechnung des nachehelichen Unterhalts wird der Splittingvorteil nicht berücksichtigt, sodass auch insoweit nur der geringere Tabellenbetrag des Kindesunterhaltes vorweg abzugsfähig ist (so schon BGH, FamRZ 2007, S. 1232).
  • Die Herabsetzung um zwei Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle liegt im tatrichterlichen Ermessen, bei drei Kindern und einer unterhaltsberechtigten Ehefrau ist dies auch revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das OLG wird allerdings zu berücksichtigen haben, dass die neue Düsseldorfer Tabelle 01/08 höhere Einkommensschritte vorsieht, sodass künftig regelmäßig eine Herauf- oder Herabstufung um eine Einkommensstufe ausreichend sein dürfte (Klinkhammer, FamRZ 2008, S. 193 ff.).
  • Zu Recht ist der Selbstbehalt wegen des Zusammenlebens mit der neuen Ehefrau herabgesetzt worden. Dem Unterhaltspflichtigen muss in jedem Fall der Betrag verbleiben, der ihm auch nach sozialhilferechtlichen Gründsätzen verbleibt. Durch die Unterhaltspflicht kann der Unterhaltsschuldner nicht sozialhilfebedürftig werden (BGH, FamRZ 2006, S. 683). Für die Kinder ist daher im Mangelfall von einem nur wenig über dem Sozialhilfebedarf liegenden notwendigen Selbstbehalt auszugehen (BGH, FamRZ 2008, S. 594), für den nachehelichen Unterhalt ist der sog. Ehegattenselbstbehalt zu beachten (BGH, FamRZ 2006, S. 683). Eine neue Lebensgemeinschaft mit entsprechenden Ersparnissen durch die gemeinsame Haushaltsführung rechtfertigt eine Herabsetzung des Selbstbehalts bis auf den Sozialhilfesatz (beim Kindesunterhalt). Bei Wiederverheiratung sind wechselseitig erbrachte Leistungen nicht als freiwillige Leistungen einzustufen. Das OLG wird daher zu klären haben, ob das Einkommen der neuen Ehefrau eine Höhe erreicht, die eine Ersparnis für den Kläger durch das gemeinsame Wirtschaften rechtfertigt. Hinzu kommt, dass der neue Wohnvorteil nicht als freiwillige Leistung Dritter anzusehen ist, sondern im Rahmen des Familienunterhaltes der neuen Ehe gewährt wird. Das mietfreie Wohnen ist auch daher in diesem Fall zu berücksichtigen.
  • Dass vom OLG eine Verwirkung des Unterhaltes verneint wurde, ist nicht zu beanstanden. Die grobe Unbilligkeit hat das OLG begründet verneint.
  • Richtigerweise hat das OLG auch nur die Ehefrau zur Rückzahlung überzahlten Unterhalts verurteilt, eine Rückzahlung von Unterhaltsansprüchen vor Rechtshängigkeit der Klage war nicht geboten (Entreicherung). Ab Eintritt der Rechtshängigkeit kann man sich auf eine Entreicherung nicht mehr berufen.

 ~

Das OLG wird das Einkommen nach den ehelichen Lebensverhältnissen neu zu bestimmen haben, sollte es auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH zu einem geringeren Unterhalt kommen, wird das OLG auch zu prüfen haben, ob das Einkommen des Unterhaltspflichtigen nicht aus anderen Gründen höher zu bemessen ist. Dies deshalb, weil das OLG bei seiner Ermittlung den höheren Freibetrag nach der Geburt des weiteren Kindes in neuer Ehe nicht berücksichtigt. Würde sich dies im Ergebnis auswirken, widerspräche dies der neueren Rechtsprechung des Senats, da derartige Freibeträge für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen gewährt werden. Da die Freibeträge unabhängig von einer Ehe der Eltern und sogar unabhängig vom Zusammenleben eingeräumt werden, brauchen sie nicht der bestehenden Ehe vorbehalten zu werden und sind auch für die Berechnung des Unterhaltsanspruchs der Alt-Ehe relevant. Anders verhält es sich nur, für Freibeträge gemäß § 32 VI S. 2 EStG (BGH, FamRZ 2007, Seite 882 ff.).

 ~

Fazit

 

Der BGH hat mit dieser Entscheidung zu einer Vielzahl von Problemen Stellung genommen.

 

 ~

  1. Maurer (Vorsitzender Richter OLG Stuttgart) vertritt die Auffassung, dass ein Betreuungsunterhalt bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres zu befristen ist und entnimmt dies aus der Formulierung des BGH. Dies würde bedeuten, dass man den Betreuungsunterhalt zunächst nur auf 3 Jahre bis zum 3. Geburtstag des Kindes geltend machen kann und erst dann neu über den Betreuungsunterhalt zu entscheiden ist, es sei denn, zum Zeitpunkt der Entscheidung und vor dem 3. Geburtstag des Kindes ist schon absehbar und von der betreuenden Person dargelegt, dass ein längerer Unterhaltsanspruch geboten ist (so schon Hauß, FamRB 2007, S. 367, Wever, FamRZ 2008, S. 553). Die andere Ansicht geht davon aus, dass eine Begrenzung bis zum 3. Geburtstag nicht geboten ist und der Unterhaltspflichtige auf die Abänderung zu verweisen ist (Borth, FamRZ 2008, S. 2 u. a.). Nach Auffassung des Verfassers geht man zu weit, wenn man in der hier zitierten Entscheidung einen Hinweis oder eine Entscheidung zu diesem Rechtsproblem erblickt, hierzu hat der BGH letztendlich nicht ausdrücklich Stellung bezogen.
  2. Maurer (siehe oben) geht weiterhin davon aus, dass mit dieser Entscheidung das „Altersphasenmodell“ einer reinen Einzelfallbetrachtung gewichen ist. Auch hier scheint Maurer in seiner Interpretation etwas zu weit zu gehen, zumal der BGH in neuester Entscheidung vom 16.7.2008, Az. XII ZR 109/05, darauf hingewiesen hat, ob nicht doch die Fragen des Betreuungsunterhaltes in Zusammenhang mit dem Alter des Kindes auch nach neuem Recht pauschaliert werden können und somit ein vom Gesetzgeber wohl nicht gewollter Rückschritt zu einem modifizierten Altersphasenmodell geebnet ist. Selbst der BGH geht in dieser Entscheidung entgegen Maurer von der Möglichkeit eines Altersphasenmodells aus.
  3. Das Stichtagsprinzip für die ehelichen Lebensverhältnisse ist abgeschafft (so schon Schürmann, NJW 2006, S. 2301). Der BGH geht von wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen aus, verbleibt jedoch bei unvorhergesehenen Einkommenserhöhungen bei seiner Rechtsprechung zum Karrieresprung. Grundsätzlich sind Einkommensverbesserungen oder -verschlechterungen hinzunehmen und zu berücksichtigen, ihre Grenzen findet eine Einkommensverbesserung beim Karrieresprung, eine Einkommensverminderung bei unterhaltsrechtlich leichtfertigem Verhalten und Verstoß gegen Erwerbsobliegenheiten, was bei „neuen Kindern“ nicht der Fall sein kann.

 ~

Der BGH hat mit diesem Urteil und weiteren schon vorausgegangenen Urteil (BGH, FuR 2007, S. 277, 367) die ehelichen Lebensverhältnisse eine von der bisherigen Rechtsprechung abweichenden Bewertung unterzogen. Danach sind nunmehr nach Scheidung von Seiten des Unterhaltspflichtigen entstehende Unterhaltsverpflichtungen, die gegenüber dem nachehelichen Ehegattenunterhalt gleichrangig oder vorrangig sind, ebenso eheprägend wie nach der Scheidung bei ihm begründete Verbindlichkeiten (vgl. dazu die bisherige Rechtsprechung z. B. BGH, FamRZ 2000, S. 1492~ 1999 S. 367, 1997, S. 806). Gegen diese geänderte Rechtsprechung haben sich schon Fachgerichte gesandt, so das OLG Celle mit Urteil vom 11.4.2007, FuR 2007, S. 383 oder OLG Düsseldorf (einschränkend), FuR 2007, S. 128. Inwieweit die Oberlandesgerichte sich ggf. verstärkt gegen diese BGH-Rechtsprechung wenden (wie OLG Celle, OLG Düsseldorf), bleibt abzuwarten, jedenfalls hat das Unterhaltsrechtsreformgesetz und die Rechtsprechung des BGH bislang nicht zur Rechtssicherheit beigetragen, im Gegenteil, die Auslegungsfragen des neuen Rechts bereiten allen Beteiligten erhebliche Schwierigkeiten, da letztendlich noch nicht abgesehen werden kann, „wohin die Reise geht“. Auch die Vielzahl der BGH-Urteile in jüngster Vergangenheit machen deutlich, dass verstärkter Klärungsbedarf gesehen wird, ob die Urteile des BGH jedoch besonders hilfreich sind, mag bezweifelt werden. Häufig finden sich auch in den BGH-Urteilen auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe, auslegungsfähige Feststellungen, die dann wieder durch die Untergerichte auszufüllen sind, dies macht in der Praxis die Rechtsberatung äußerst problematisch, da eine klare Linie – jedenfalls derzeit – in der Rechtsprechung noch nicht ersichtlich ist. Das hiesige Urteil macht zwar deutlich, dass „unvermeidbare“ Einkommensänderungen auch den Bedarf der Ex-Ehefrau beeinflussen, die Tatsache, dass Oberlandesgerichte diese Rechtsauffassung bezweifeln, macht deutlich, dass insoweit noch nicht „das letzte Wort“ gesprochen ist. Dies gilt ebenso für Fragen der Erwerbsobliegenheiten (Stichwort Altersphasenmodell, Urteil BGH, 16.07.2008, Az. XII ZR 109/05), Dauer/Befristung von Unterhaltsansprüchen und Abzugsfähigkeit von Kindesunterhalt (Zahlbetrag oder Tabellenbetrag) bei der Berechnung eines Ehegattenunterhalts.