Nachehelicher Unterhalt - BGH - 26.09.2007

Urteil 114 a
Aufstockungsunterhalt
BGH, Urteile v. 26.09.2007, Az. XII ZR 11/05 u. XII ZR 15/05 €“ §§ 1573 V, 1578 BGB
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(Suchworte: Unterhalt, Aufstockungsunterhalt, nachehelicher Unterhalt)

:: Leitsatz::
Eine Befristung des Anspruchs auf Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 5 BGB und eine Begrenzung des Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB ist auch bei einer 20-jährigen Ehedauer (€žkurze Ehe€œ) möglich.


I. Folgende Sachverhalte lagen zugrunde:
1. BGH, Az. XII ZR 11/05
Die Eheleute, die beide Jahrgang 1960 sind, hatten 1982 die Ehe geschlossen. Aus der Ehe sind zwei 1982 und 1984 geborene Kinder hervorgegangen. Die Trennung erfolgte 2001. Die Ehe wurde 2004 geschieden. Während der Ehezeit in der früheren DDR gingen beide einer Vollzeiterwerbstätigkeit nach. Die Ehefrau verdiente als Bauingenieurin monatlich 690 Mark, während der Ehemann in herausgehobener Stellung ca. 1000 Mark verdiente. Seit 1992 (nach der Wende) war die Ehefrau zunächst bei verschiedenen Arbeitgebern, zeitweise nur in Teilzeit und später selbstständig als Bauingenieurin tätig. Inzwischen ist sie im öffentlichen Dienst beschäftigt und erzielt ein Nettoeinkommen von rund 1400 Euro. Der Ehemann erzielt als Geschäftsführer Einkünfte in Höhe von rund 4850 Euro (netto).
Das Amtsgericht hat den Ehemann zur Zahlung eines monatlichen Aufstockungsunterhalts in Höhe von 1116 Euro verurteilt. Das OLG hat die Berufung des Ehemannes, mit der er eine Befristung des Unterhaltsanspruchs auf die Zeit bis März 2006 begehrte, zurückgewiesen.
Auf die vom OLG zugelassene Revision des Ehemannes hat der BGH die Entscheidung des OLG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das OLG zurückverwiesen.
2. BGH, Az. XII ZR 15/05
Die 1961 bzw. 1962 geborenen Eheleute haben im Jahr 1982 die Ehe geschlossen, die kinderlos blieb. Nach Trennung im Jahr 2002 wurde die Ehe 2004 geschieden. Der Ehemann erzielt ein unterhaltsrelevantes Nettoeinkommen von monatlich rund 1500 Euro. Die Ehefrau hat während der Ehezeit ihren schwer erkrankten Vater gepflegt und war daneben halbschichtig berufstätig. Seit 2003 arbeitet sie vollschichtig als Kassiererin mit einem monatlichen Nettoeinkommen in Höhe von rund 1000 Euro.
Während der Ehezeit hatte die Ehefrau im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ein Hausgrundstück im Wert von rund 133.000 Euro erhalten, zudem mit der Scheidung einen Zugewinnausgleich in Höhe von 60.000 Euro.
Das Amtsgericht hat den Ehemann zur Zahlung eines monatlichen Aufstockungsunterhalts in Höhe von 164 Euro verurteilt. Auf die Berufung des Ehemannes hat das OLG die Unterhaltspflicht auf die Zeit bis Juli 2011 befristet.
Dagegen richtet sich die vom OLG zugelassene Revision der Ehefrau.
Der BGH hat die gegen das Urteil eingelegte Revision der Ehefrau zurückgewiesen.
II. Der BGH begründet seine Entscheidungen wie folgt:
1. Der BGH führt aus, dass nach der neueren Rechtsprechung des BGH das Oberlandesgericht nicht allein wegen der Dauer der Ehe von mehr als 20 Jahren von einer Befristung des Unterhaltsanspruchs absehen dürfe. Das OLG hat allein aufgrund der Ehedauer, ohne weitere Sachprüfung, eine Befristung abgelehnt. Das OLG hätte prüfen müssen, ob auch jetzt, z. B. infolge der Haushaltstätigkeit und Kindererziehung, noch ehebedingte Nachteile vorliegen. Ist das nicht der Fall, und erzielt die Ehefrau eigene Einkünfte, die sie auch ohne die Ehe erzielen würde (keine ehebedingten Nachteile), kann es ihr nach einer Übergangszeit zumutbar sein, auf den €“ höheren €“ Lebensstandard nach den ehelichen Lebensverhältnissen (4850 Euro Ehemann und 1400 Euro Ehefrau) zu verzichten und sich mit dem Lebensstandard zu begnügen, den sie aus ihren eigenen Einkünften erreichen kann. Das OLG wird daher prüfen müssen, ob die Ehefrau ohne die Einschränkung ihrer Erwerbstätigkeit während der Ehe heute ein höheres Einkommen erzielen würde. Dabei wird das OLG zu berücksichtigen haben, dass beide Ehegatten während der ersten Hälfte ihrer Ehe voll erwerbstätig waren und die Kinder anderweitig betreut wurden.
Da das OLG zu diesen entscheidenden Fragen keine Feststellungen getroffen hat, muss das OLG dies nachholen und auf der Grundlage der dann bekannten Erkenntnisse neu entscheiden, sodass eine Zurückverweisung notwendig war.
2. Der BGH hat die Revision der Ehefrau gegen die Befristung des Unterhalts deshalb zurückgewiesen, da nach den Feststellungen des OLG ehebedingte Nachteile deswegen fern liegen, weil die Ehe kinderlos geblieben ist und die Ehefrau bei Zustellung des Scheidungsantrags trotz der relativ langen Ehe (über 20 Jahre) erst 42 Jahre alt und wieder vollschichtig erwerbstätig war. Soweit die Ehefrau während der Ehezeit ihren eigenen Vater gepflegt hat, ist dies auf ihre familiäre Bindung zum Vater, jedoch nicht auf die Ehe zurückzuführen (kein ehebedingter Nachteil). Der Ehefrau ist es deswegen zumutbar, nach einer Übergangszeit auf den Lebensstandard nach den ehelichen Lebensverhältnissen zu verzichten und sich mit dem Lebensstandard zu begnügen, den sie aus ihren eigenen Einkünften erreichen kann. Hinzu kommt, dass die Ehefrau ein Vermögen von knapp 200.000 Euro hat und auch dieses für eigene Unterhaltsansprüche einzusetzen hat.
III. Fazit
Erst durch die Einführung der sog. Differenzmethode zur Berechnung des Ehegattenunterhalts im Jahr 2001 (vorher sog. Anrechnungsmethode) sind die schon seit längerem im Gesetz normierten zeitlichen Befristungsmöglichkeiten sowie Begrenzungsmöglichkeiten der Höhe nach für nacheheliche Unterhaltsansprüche in den Focus der Rechtsprechung gelangt. Die Befristungs-/Begrenzungsmöglichkeiten wurden weder von den Parteien noch den Gerichten in der vom Gesetz vorgesehenen Art und Weise genutzt. Zudem ging die Rechtsprechung früher davon aus, dass maximal bei ca. bis zu 12- bis 15-jährigen Ehen Befristungs-/Begrenzungsmöglichkeiten bestünden, ab einer Ehedauer von 15 Jahren war nicht mehr von einer €žkurzen Ehe€œ i. S. der §§ 1573 Abs. 5, 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB auszugehen. Hierbei gilt zu bedenken, dass zur Ehezeit etwaige Zeiten in denen noch ein eheliches Kind bis zum 15. Lebensjahr zu betreuen ist hinzuaddiert werden (Beispiel: Ehedauer: 10 Jahre, eheliches Kind zum Zeitpunkt der Scheidung 5 Jahre alt, somit noch 10 Jahre bis zum 15. Lebensjahr des Kindes, somit Ehedauer 20 Jahre, davon 10 Jahre tatsächliche Ehedauer zzgl. weiterer 10 Jahre Betreuungszeit). Nach dem derzeit gültigen Gesetzeswortlaut ist neben der Frage der Ehedauer weiterhin von entscheidender Bedeutung, ob ehebedingte Nachteile vorliegen (zumeist bei langjähriger Erwerbslosigkeit und Haushaltstätigkeit aufgrund von Kinderbetreuung) und ob aufgrund der Gesamtumstände eine Befristung/Begrenzung nach Billigkeitsgesichtspunkten in Betracht kommt. Der Gesetzesentwurf zur Unterhaltsrechtsreform sieht eine Erweiterung der Befristungs- und Begrenzungsmöglichkeiten dann sämtlicher Unterhaltsansprüche vor, die nacheheliche Eigenverantwortlichkeit soll stärker berücksichtigt werden.
Auf dieser Linie liegen nunmehr auch die beide hier zitierten Entscheidungen des BGH, wonach in Abkehr zur früheren Rechtsprechung auch bei 20-jähriger oder längerer Ehe Befristungs-/Begrenzungsmöglichkeiten nicht kategorisch ausgeschlossen sind, sondern das Kriterium der ehebedingten Nachteile genauesten geprüft werden muss. Es ist davor zu warnen, dass jeder Unterhaltsschuldner nunmehr meint, auf der Grundlage der neueren BGH-Rechtsprechung eine Befristung-/Begrenzung des nachehelichen Unterhalts zu erhalten, denn in den weitaus meisten Fällen wird ein geringerer Verdienst eines Ehepartners zum Großteil auf ehebedingte Gründe (zumeist Kinderbetreuung) zurückzuführen sein, mit der Folge, dass eine Befristung-/Begrenzung ausgeschlossen ist. Man könnte natürlich darüber nachdenken, fiktiv zu ermitteln, welchen Verdienst aufgrund der Ausbildung derjenige Ehepartner €“ der ehebedingte Nachteile hatte €“ hätte, um dann auf dieser Grundlage Unterhaltsansprüche zu ermitteln. Dies führt jedoch zu immer detaillierteren Einzelfallentscheidungen, welche ggf. zu einer Einzelfallgerechtigtkeit führt. Die hier besprochenen Urteile sind nicht der Regelfall. In einem Fall war die Ehe kinderlos geblieben, und festgestellt worden, dass dadurch auch keine ehebedingten Nachteile eingetreten sind. Im anderen Fall war die Besonderheit, die jetzt das OLG noch zu beachten hat, dass die Eheleute trotz Kinderbetreuung vollschichtig gearbeitet haben, sodass dann die Frage zu stellen ist, ob überhaupt ehebedingte Nachteile eingetreten sind.
Der BGH hat bereits in seinen Entscheidungen v. 23.05.2007, Az. XII ZR 245/04, FamRZ 2007, Seite 1232, v. 28.02.2007, Az. XII ZR 37/05, FamRZ 2007, Seite 793 und v. 25.10.2006, Az. XII ZR 190/03, FamRZ 2007, Seite 200, entschieden, dass pauschale Aussagen, wonach Unterhaltsansprüche bei Ehedauer von 20 oder mehr Jahren nicht befristet/begrenzt werden können, nicht möglich sind, sondern dass auch bei einer solchen Ehedauer Befristungs-/Begrenzungsmöglichkeiten denkbar sind. Sowohl im Rahmen der Befristung des Aufstockungsunterhalts nach § 1573 Abs. 5 BGB als auch im Rahmen der Begrenzung des Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB kommt eine Begrenzung in Betracht, soweit insbesondere unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe sowie der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit eine unbegrenzte Bemessung unbillig wäre. Das Gesetz hat in den genannten Paragrafen keine bestimmte Ehedauer festgelegt, bis wann Befristung/Begrenzung möglich ist, sodass auch keine starren Zeitangaben möglich sind sondern unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles eine Billigkeitsabwägung stattzufinden hat. Pauschalierte Urteilsgründe, wonach ab einer Ehedauer von 20 Jahren schlichtweg keine Befristung/Begrenzung mehr möglich sei, wird es daher in Zukunft nicht mehr geben.
Diese neue Rechtsprechung des BGH in Verbindung mit den vorausgegangenen Entscheidungen führt natürlich auch zu Kritik, insbesondere mit dem Argument, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten mit zunehmender Ehedauer immer mehr miteinander verwoben werden und sich, auch gesellschaftlich gegenseitig bedingen und daher die Ehebedingtheit entweder schwer abgrenzbar ist und kaum im Einzelnen festgestellt werden kann (Maurer, FamRZ 2007, Seite 1237/1238).
Mit Interesse ist daher weiter zu verfolgen, wie die Amtsgerichte bzw. Oberlandesgerichte zukünftig nach der derzeitigen Rechtslage die Rechtsprechung des BGH umsetzen werden.
Noch vielschichtiger und interessanter werden diese Fragen dann beim zu erwartenden Unterhaltsrechtsänderungsgesetz werden, da in weitaus größerem Maß Befristungen und Begrenzungen im Gesetz vorgesehen sind.