OLG Hamm, Beschluss vom 9.2.2011 - Kindesunterhalt

Auch wenn die Dynamisierung gem. § 1612 a BGB nur für den Unterhalt eines Minderjährigen gilt, ist eine zeitliche Begrenzung bis zur Volljährigkeit des Kindes gesetzlich nicht vorgesehen. Hat der Unterhaltspflichtige ohne eine entsprechende Übereinkunft einen auf die Zeit der Minderjährigkeit befristeten Titel geschaffen, so hat der Minderjährige daher einen Anspruch auf unbefristete Festsetzung seines Unterhaltsanspruchs in Form eines dynamisierten Titels über einen bestimmten Prozentsatz des Mindestunterhalts.

 ~

Urteil

Gericht         : OLG Hamm 
Datum           : 09.02.2011 
Aktenzeichen    : 8 WF 37/11 
Leitparagraph   : BGB §1612a 
Quelle          : FamFR 2011, S.201 
Kommentiert von : RA Simon Heinzel 

Inhalt:

Folgender Sachverhalt lag zugrunde:

Der unterhaltspflichtige Vater hat ohne Zustimmung des unterhaltsberechtigten minderjährigen Kindes zu Gunsten des Kindes einen dynamisierten Unterhaltstitel (Jugendamtsurkunde oder Notarurkunde) geschaffen, diesen jedoch befristet/beschränkt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Die Antragstellerin (minderjähriges Kind vertreten durch die betreuende Mutter) begehrt Verfahrenskostenhilfe mit dem Antrag auf Titulierung des dynamisierten Unterhalts ohne Befristung.

 ~

Das Amtsgericht hat Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen, da bis zum 18. Lebensjahr ein Titel geschaffen wurde, damit der aktuelle Unterhalt tituliert ist und über das 18. Lebensjahr hinaus zum jetzigen Zeitpunkt kein Rechtschutzbedürfnis (bzw. kein Anspruch) bestünde. Hiergegen wurde Beschwerde eingelegt, das OLG hat der Beschwerde statt gegeben und entgegen des Amtsgerichtes Verfahrenskosten bewilligt.

 ~

Die Entscheidung des OLG:

Nach Auffassung des OLG steht dem minderjährigen Kind ein materiell-rechtlicher Anspruch auf unbefristete Festsetzung seines Unterhaltes in Form eines dynamisierten Titels über das 18. Lebensjahr hinaus zu. Zwar hat nach § 1612 a BGB nur das minderjährige Kind einen Anspruch darauf, dass ihm der Unterhalt in dynamisierter Form (Prozentsatz des jeweiligen Mindestunterhaltes) entsprechend seiner Altersstufe bezahlt wird. Eine Begrenzung des Unterhalts auf die Zeit bis zur Volljährigkeit ist aber vom Gesetz nicht vorgesehen, auch wenn die Dynamisierungsbestimmungen nur für den Minderjährigenunterhalt gelten. Der Titel gilt in Höhe des letzten Zahlungsbetrages (vor Volljährigkeit) bis zu seiner Abänderung fort. Das Kind soll nicht gezwungen sein, sich sogleich nach Eintritt der Volljährigkeit um einen neuen Unterhaltstitel bemühen zu müssen, wenn das Kind – wie regelmäßig – noch unterhaltsbedürftig ist. Daher hat das Kind einen Anspruch auf einen unbefristeten Unterhaltstitel (egal ob dynamisiert oder nicht dynamisiert).

 ~

>~ FAZIT

Da der Wechsel von Minderjährigkeit zur Volljährigkeit immer wieder Fragen aufwirft, soll dieser Wechsel mit diesem Urteil etwas näher beleuchtet werden:

 ~

Minderjährigenunterhalt und Volljährigenunterhalt sind unterschiedlich zu berechnen. Bei dem einen wird das hälftige Kindergeld auf den Tabellenbetrag angerechnet, beim anderen das gesamte Kindergeld. Bei dem einen wird der hälftige Eigenverdienst (z. B. eines Azubis) nach Abzug pauschaler berufsbedingter Aufwendungen (z. Z. 90 €) vom Unterhaltsbetrag abgezogen, beim anderen der gesamte Eigenverdienst. Beim Volljährigenunterhalt gibt es keine Unterscheidung mehr zwischen Betreuungs- und Barunterhalt, beide Elternteile haben Barunterhalt zu leisten entsprechend bzw. in der Quote ihrer jeweiligen Einkommen (verdienen beide Elternteile dasselbe, so teilen sie sich auch den Barunterhalt zu je 50 %). Vor diesem Hindergrund ist es eher geboten sogar von zwei unterschiedlichen „Unterhaltstatbeständen“ auszugehen, wie beim Getrenntlebendunterhalt und nachehelichem Ehegattenunterhalt. Hier endet der Getrenntlebendunterhaltsanspruch mit der Scheidung, ein nachehelicher Unterhalt ist neu festzulegen bzw. zu titulieren. Es ist daher die berechtigte Frage zu stellen, warum mit dem Eintritt in die Volljährigkeit nicht ebenso eine Zäsur zu machen ist und somit es dem Unterhaltsverpflichteten auch gestattet sein muss die Titulierung auf die Minderjährigkeit zu beschränken. Das Argument, dass das Kind „regelmäßig“ auch über die Volljährigkeit hinaus noch unterhaltsberechtigt ist, greift nach diesseitiger Auffassung nicht, da gerade bei Azubis die Vollanrechnung des Eigenverdienstes statt der vormaligen nur 50 %-igen Anrechnung häufig zum Wegfall des Unterhaltsanspruches führt. Zudem führt die Mitverpflichtung des vormals betreuenden Elternteils zu einer vollständigen Neuberechnung der Unterhaltshöhe. Warum soll der Unterhaltspflichtige derjenige sein, der auf die Unterhaltsabänderung ab Volljährigkeit verwiesen wird? Vielfach besteht zwischen dem Unterhaltspflichtigen und dem Kind kein oder nur wenig Kontakt, so dass der Unterhaltspflichtige keine Kenntnisse von den Gesamtumständen hat, es jedoch nach gefestigter Rechtsauffassung Aufgabe eines Volljährigen ist, seinen bestehenden Ausbildungsunterhaltsanspruch substantiiert darzulegen. Insoweit ist das volljährige Kind verpflichtet seine Ausbildungssituation darzustellen, seine eventuell vorliegenden Eigeneinkünfte oder Vermögen darzulegen und ebenso die Einkünfte des anderen Elternteils. Vor diesem Hindergrund sieht der Verfasser eher eine Berechtigung einen Unterhaltstitel auf das 18. Lebensjahr zu beschränken. Manche Jugendämter titulieren auch auf Wunsch des Unterhaltspflichtigen mit der Beschränkung, manche nicht.

 ~

Die herrschende Rechtsauffassung, die sich auch im Beschluss des OLG Hamm wiederfindet, geht jedoch davon aus, dass der Kindesunterhalt, egal ob Minderjährigenunterhalt oder Volljährigenunterhalt ein Unterhaltstatbestand ist (§ 1601 BGB = Verwandtenunterhalt), dies im Gegensatz zum Getrennlebendunterhalt (§ 1361 BGB) und Nachehelichenunterhalt (§§ 1570 ff. BGB). Zudem würde § 1612 a Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 BGB für die dritte Altersstufe keine zeitliche Begrenzung vorsehen. Darüber hinaus ordnet § 244 FamFG (früher § 798 a ZPO) ausdrücklich an, dass einem dynamischen Unterhaltstitel, wenn die Unterhaltsberechnung fortbesteht, bei Vollstreckung für Unterhaltszeiträume nach Vollendung des 18. Lebensjahr nicht der Wegfall der Minderjährigkeit entgegen gehalten werden kann. Nach diesseitiger Auffassung greift dieses Argument jedoch nicht, jedenfalls nicht für die Frage ob ein Unterhaltstitel auf das 18. Lebensjahr beschränkt werden kann oder nicht. Mag zwar bei einem bestehenden unbefristeten Titel der Übergang von Minderjährigkeit zu Volljährigkeit nicht dazu führen, dass der Unterhalt nicht vollstreckt werden könne, dies hat jedoch nichts damit zu tun, ob nicht von vornherein eine Befristung auf das 18. Lebensjahr möglich sein soll. Der herrschenden Rechtsauffassung ist jedoch dahingehend Recht zu geben, als bei Neufassung des § 1612 a BGB im Jahr 1998 in der Gesetzesbegründung nachzulesen war, dass auch eine Vollstreckung über das 18. Lebensjahr hinaus ohne einen neuen Titel möglich sein soll. Dies beantwortet jedoch immer noch nicht die Frage, ob man nicht von vornherein das Recht haben muss, eine Befristung wirksam titulieren zu lassen, da Volljährigenunterhalt anders berechnet wird als Minderjährigenunterhalt und somit letztendlich faktisch von zwei unterschiedlichen Ansprüchen auszugehen ist.

 ~

Nach der wohl herrschenden Rechtsauffassung ist jedoch davon auszugehen (so auch BGH NJW-RR 2006, Seite 217), dass der Unterhaltspflichtige mit Eintritt der Volljährigkeit selbst und aktiv eine Abänderung gem. §§ 238, 239 FamFG begehren muss, wenn er der Auffassung ist, dass sich die materiellen Unterhaltsvoraussetzungen verändert haben. Der Verfasser sieht dies ein wenig anders (siehe oben), denn mit dem Erreichen der Volljährigkeit ändern sich die materiellen Voraussetzungen, zwar nicht die Verwandtschaft gem. § 1601 BGB, jedoch die Berechnungsmethode, die barunterhaltspflichtigen Personen und auch die Tatsache, dass sich das Kind in Ausbildung befindet. Vor diesem Hintergrund muss weiterhin für eine Befristungsmöglichkeit des Minderjährigenunterhaltes bis zum Eintritt in die Volljährigkeit „geworben“ werden.