Sorgerecht - BVerfG - 22.03.2018

 

1. Der Gesetzgeber darf einem Elternteil die Hauptverantwortung für das Kind für den Fall zuordnen, dass die Voraussetzung für eine gemeinsame Wahrnehmung der Elternverantwortung fehlen. Bei der konkreten Regelung des Sorgerechts im Einzelfall unter Berücksichtigung der widerstreitenden Grundrechte ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, der gemeinsamen Sorge gegenüber der alleinigen Sorge einen Vorrang einzuräumen.

2. Die Aufhebung der gemeinsamen Sorge muss am Wohl des Kindes ausgerichtet sein. Sie setzt keine Kindeswohlgefährdung voraus.

3. Die Grundrechte des Kindes gebieten, bei der gerichtlichen Sorgerechtsregelung den Willen des Kindes zu berücksichtigen, aber nur soweit das mit seinem Wohl vereinbar ist.

4. Ist eine Entscheidung über die elterliche Sorge angegriffen, die auf Antrag eines Elternteils ergangen ist, beschränkt sich die Aufgabe des BVerfG grundsätzlich darauf, zu prüfen, ob die Fachgerichte eine auf das Wohl des Kindes ausgerichtete Entscheidung getroffen und dabei die Tragweite der Grundrechte aller Beteiligten nicht grundlegend verkannt haben.

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Kommentierung:

Im Gegensatz zum vorherigen Beschluss des BVerfG (vom 22.03.2018), geht es hier nicht um den Sorgerechtsentzug für beide Elternteile und das Unterbringen in einer Pflegefamilie, sondern um den „Normalfall“, in dem die Eltern über die alleinige elterliche Sorge eines Elternteiles streiten. Im vorliegenden Fall waren die Kinder 15 und 17 Jahre alt, die seit der Trennung der Eltern – seit 4 Jahren – bei der Mutter leben und den Kontakt zum Vater strikt ablehnen. Das Amtsgericht hatte zunächst den Antrag der Mutter auf Übertragung der Alleinsorge abgewiesen, das OLG hat nach Anhörung der Eltern/Verfahrensbeistand/Jugendamt die elterliche Sorge auf die Mutter übertragen, mit dem Argument, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht. Das OLG hält fest, dass nicht davon auszugehen ist, dass die Eltern in naher Zukunft ihren Konflikt würden beilegen können und zeitnah erforderliche Entscheidungen für die Kinder treffen können, ohne diese Konflikte auf dem Rücken der Kinder auszutragen. Der Vater rügt die Verletzung seines Elternrechts nach Art. 6 Abs. 2 GG, das OLG hätte den verfassungsrechtlichen Vorrang der gemeinsamen elterlichen Sorge vor der Alleinsorge verkannt. Für die Begründung der Alleinsorge reiche es nicht, dass die Eltern tief zerstritten seien, weil dies nichts über ihre Unfähigkeit/Fähigkeit sage, in Angelegenheiten der Kinder zu gemeinsamen kindeswohlverträglichen Lösungen zu gelangen.

Auch im hiesigen Fall hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde mangels Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93 a BVerfGG). Die Entscheidung des OLG ist mit Art. 6 Abs. 2 GG vereinbar. Der Gesetzgeber darf über § 1671 BGB einem Elternteil die Hauptverantwortung für das Kind zuordnen, wenn wegen fehlender tragfähiger Beziehung zwischen den Eltern die gemeinsame Wahrnehmung der Elternverantwortung fehlt. Es gibt keinen Vorrang der gemeinsamen Sorge. Die Aufhebung der gemeinsamen Sorge muss am Kindeswohl als oberste Richtschnur orientiert sein, setzt aber keine Kindeswohlgefährdung voraus, wie sie bei Trennung eines Kindes von seinen Eltern nach Art. 6 Abs. 3 GG erforderlich ist (siehe obiger Fall zum elterlichen Sorgerecht). Dem Willen des Kindes kommt mit zunehmendem Alter immer größere Bedeutung zu. In den hiesigen Fällen kommt es darauf an, ob die Instanzgerichte eine auf das Wohl des Kindes ausgerichtete Entscheidung getroffen haben. Ein Verfassungsverstoß ist daher nicht zu erkennen, zumal dem Willen der Kinder wegen ihres fortgeschrittenen Alters eine höhere Bedeutung zukommt.

Diese Entscheidung des BVerfG liegt auf der Linie vorangegangener Entscheidungen. Wenn die Eltern keine tragfähige soziale Beziehung haben, ist eine gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung problematisch, sodass auch das Alleinsorgerecht im Einzelfall von den Instanzgerichten angeordnet werden kann. Für die Praxis ist wichtig, zu beachten, dass das Gericht sowohl hinsichtlich seines Prüfungsmaßstabes als auch hinsichtlich der rechtlichen Voraussetzungen die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und Übertragung der Alleinsorge (Kindeswohl als Richtschnur) klar von der Entziehung des Sorgerechts zum Zweck der Trennung des Kindes von seinen Eltern (Kindeswohlgefährdung erforderlich – siehe obige Entscheidung des BVerfG) unterschiedet.