Sorgerecht / Umgangsrecht - OLG Stuttgart - 23.02.2015

 

1. Bei der Beurteilung, ob zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung ein Umgangsausschluss gerechtfertigt ist, muss insbesondere der Kindeswille berücksichtigt werden.

2. Wenn Kinder ab dem 12. Lebensjahr aus subjektiv beachtlichen oder verständlichen Gründen den Umgang mit einem Elternteil ablehnen, ist die Erzwingung des Umgangs weder mit dem Zweck des Umgangsrechts noch mit dem Persönlichkeitsrecht des Kindes vereinbar.

Beschluss:
Gericht: OLG Stuttgart
Datum: 23.02.2015
Aktenzeichen: 15 UF 192/13
Leitparagraph: BGB § 1684
Quelle: NZFam 2016, Seite 43

Kommentierung:

Im Verfahren hat der 12-jährige Sohn immer wieder betont, dass er nicht zur Mutter will, da er sie sehr häufig angeschrien hat. Laut zweier eingeholter Sachverständigengutachten sei die ablehnende Haltung des Kindes zwar weit überwiegend Folge der Ablehnung der Mutter durch die väterliche Familie (der Sohn wohnte mit dem Vater im Haus der Großeltern väterlicherseits auch bei diesen), der ablehnende Wille des Kindes sei jedoch stabil und die Berücksichtigung dieses Kindeswillens lasse keine Kindeswohlgefährdung befürchten. Zwar hat der Vater die Umgangskontakte mit der Mutter nicht direkt vereitelt, den Sohn jedoch auch nicht ermutigt – angehalten – sich auf Umgangskontakte mit der Mutter einzulassen. Das Gericht hat trotzdem den Umgang ausgeschlossen mit dem Argument, der Wille des Kindes habe zwar keinen absoluten Vorrang, bei einem 12-jährigen Kind jedoch sei dessen Wille maßgeblich. Eine Erzwingung des Umgangs gegen subjektiv beachtliche oder verständliche Gründe ist nicht möglich.

Das OLG bekräftigt die Rechtsprechungslinie des BVerfG, nach der dem Kindeswillen selbst dann Beachtung zu schenken ist, wenn er auf Beeinflussung beruht, solange darin echte und schützenswerte Bindungen zum Ausdruck kommen (BVerfG, NJW 2015, Seite 2561). Diese Rechtsprechung führt dazu, dass der betreuende Elternteil das Umgangsrecht des anderen Elternteils durch Beeinflussung/Manipulation des Kindeswillens vereiteln kann. Es ist Aufgabe der Gerichte die Gründe für eine Verweigerung des Kindes zu ermitteln, um das Elternrecht zu schützen. Das hiesige Gericht hatte zwei Sachverständigengutachten zu Grunde gelegt, hatte mehrere Anhörungen des Kindes, sodass der Umgangsausschluss im vorliegenden Fall über die Dauer von einem Jahr nicht zu beanstanden ist. Es ist jedoch immer darauf zu achten, dass die Gerichte sich umfassend mit der Einzelfallkonstellation auseinandersetzen, ob die Gerichte diesen Vorgaben immer gerecht werden ist fraglich, insbesondere immer für denjenigen Elternteil problematisch, dem ein Umgangsrecht entzogen wird. Da wird die Frage, ob er Wille des Kindes „subjektiv beachtlich“ ist oder das Kind „verständliche Gründe“ vorbringt, von den beteiligten Eltern völlig unterschiedlich gesehen.