Umgangsrecht - BVerfG - 01.04.2008

Urteil 116 a
Umgangsrecht
mitgeteilt von RA Simon Heinzel, Fachanwalt für Familienrecht
BVerfG, Urteil v. 01.04.20008, Az. 1 BvR 1620/04 €“ Art. 6 Abs. 2 GG, §§ 1684 BGB, 33 FGG
Suchworte: Umgangsrecht, Umgangspflicht, Zwangsmittel
FamRZ 2008, Seite 845
:: Leitsatz::
Regelmäßig kann die Umgangspflicht eines umgangsunwilligen Elternteils nicht zwangsweise durchgesetzt werden. Der durch die Zwangsmittelandrohung bewirkte Eingriff in das Grundrecht des Elternteils auf Schutz der Persönlichkeit ist nicht gerechtfertigt, es sei denn, es gibt im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass ein erzwungener Umgang dem Kindeswohl dienen wird.
I. Folgender Sachverhalt lag zugrunde:
Der Beschwerdeführer, dem das OLG eine Umgangspflicht auferlegt hat, ist verheiratet und hat zwei minderjährige Kinder aus dieser Ehe. Zudem hat er einen im Februar 1999 geborenen Sohn, der aus einer außerehelichen Beziehung stammt. Für dieses außereheliche Kind hat er die Vaterschaft anerkannt und leistet Unterhalt. Persönliche Kontakte unterhält er zu dem Kind nicht. Der Beschwerdeführer trägt vor, dass solche Umgangskontakte unweigerlich zum Zerbrechen seiner Ehe führen würden, zudem empfinde er keine Bindung zu dem ihm unbekannten und gegen seinen ausdrücklichen Willen gezeugten Kind.
Im November 2000 hat das Amtsgericht den Antrag der Mutter des Kindes auf Umgang (Umgangspflicht) zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass ein erzwungener Umgang angesichts der ablehnenden Haltung des Vaters nicht dem Wohl des Kindes entspreche. Das Oberlandesgericht änderte diese Entscheidung nach Einholung eines psychologischen Gutachtens im Januar 2004 ab und ordnete einen Umgang an. Das OLG begründet dies damit, dass nach § 1684 Abs. 1 BGB das Kind ein Recht auf Umgang mit seinem leiblichen Vater habe. Danach sei der Vater verpflichtet, den Umgang wahrzunehmen. Der Umgang solle €“ wie vom Sachverständigen vorgeschlagen €“ als betreuter Umgang in Anwesenheit eines fachkundigen Dritten stattfinden. Das OLG hat weiterhin für den Fall der Verweigerung durch den Vater ein Zwangsgeld von bis zu 25.000 Euro angeordnet.
Der Vater und Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass die Zwangsgeldandrohung ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verletze. Er vertritt die Auffassung, dass der Gesetzgeber zwar in § 1684 Abs. 1 BGB den Elternteilen aufgegeben hat, Umgang mit den Kindern zu führen, diese moralische Verpflichtung sei jedoch nach dem Willen des Gesetzgebers nicht mit Zwangsmitteln vollstreckbar. § 33 FGG (welcher Zwangsmittel regelt) kann daher nicht Rechtsgrundlage für die zwangsweise Durchführung eines Umgangskontaktes gegen den Willen des betroffenen Elternteils herangezogen werden. Zudem treffe die Anordnung des Ordnungsgeldes mittelbar auch seine Familie in dem Recht auf Schutz der Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG. Bei zwangsweiser Durchsetzung des Umgangs würde ein bestehender Familienverband zerstört werden.
Das BVerfG hat der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers (Vater) stattgegeben, die Sache wurde zur erneuten Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.
II. Das BVerfG begründet seine Entscheidung wie folgt:
Grundsätzlich hat ein Kind einen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, dass seine Eltern Sorge für es tragen und der Pflicht auf Pflege und Erziehung nachkommen. Allerdings dient ein Umgang mit dem Kind, der nur mit Zwangsmitteln gegen seinen umgangsunwilligen Elternteil durchgesetzt werden kann in der Regel nicht dem Kindeswohl. Daher ist die Zwangsmittelvorschrift des § 33 FGG verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass eine zwangsweise Durchsetzung der Umgangspflicht zu unterbleiben hat. Anders liegt es, wenn es im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte gibt, die darauf schließen lassen, dass ein erzwungener Umgang trotzdem dem Kindeswohl dienen wird. Dann kann der Umgang auch mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Da das OLG hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache an das OLG zurückzuverweisen, um im Einzelfall hierüber zu befinden.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Die Androhung eines Zwangsgeldes greift in das Grundrecht des Vaters auf Schutz der Persönlichkeit ein. Gegen seine Einstellung wird er gezwungen, seinem Kind zu begegnen. Dies setzt den Vater unter Druck, sich seinem Kind gegenüber so zu verhalten, wie er es selbst nicht will. Ob dieser Grundrechtseingriff in die Persönlichkeit zu rechtfertigen ist, muss anhand der gesetzlich normierten Umgangspflicht gemäß § 1684 Abs. 1 BGB überprüft werden. § 33 FGG (Zwangsmittel) und die Anwendung dieses Paragraphen muss daher in Verbindung mit § 1684 Abs. 1 BGB geprüft werden.
Grundsätzlich verfolgt der Gesetzgeber mit der Möglichkeit der Zwangsgeldandrohung einen legitimen Zweck. Die in § 1684 BGB normierte Pflicht auf Umgang ist eine zulässige Konkretisierung der grundrechtlich zugewiesenen Verantwortung für ein Kind. Art. 6 Abs. 2 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihres Kindes, macht diese Aufgabe aber zugleich auch zu einer den Eltern obliegenden Pflicht. Diese Pflicht besteht nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber dem Kind. § 1684 BGB stellt eine Rechtsgrundlage dar, damit Eltern ihrer Verantwortung gegenüber dem Kind nachkommen.
Der Grundrechtseingriff in das Persönlichkeitsrecht durch die Umgangsverpflichtung ist wegen der den Eltern durch Art. 6 Abs. 2 GG auferlegten Verantwortung für ihr Kind gerechtfertigt. Wägt man das Interesse des Kindes an einem gedeihlichen Umgang mit seinen Eltern mit dem Interesse eines Elternteiles ab, mit dem Kind nicht in persönlichen Kontakt treten zu wollen, dann ist dem kindlichen Anliegen gegenüber dem elterlichen Wunsch ein erheblich größeres Gewicht beizumessen. Der Umgang eines Kindes mit seinen (beiden) Elternteilen ist für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes von maßgeblicher Bedeutung und trägt grundsätzlich zu seinem Wohle bei. Es ist einem Elternteil deshalb zumutbar, zum Umgang mit seinem Kind verpflichtet zu werden, wenn dies dem Kindeswohl dient.
Die Androhung der zwangsweisen Durchsetzung der Umgangspflicht gegen den erklärten Willen eines Elternteils ist jedoch regelmäßig nicht geeignet, den mit ihr verfolgten Zweck zu erreichen. Ein Umgang mit dem Kind, der nur mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann, dient in der Regel nicht dem Kindeswohl. Daher ist der mit der Zwangsmittelandrohung erfolgende Eingriff in das Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit nicht gerechtfertigt, es sei denn, es gibt im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass ein erzwungener Umgang dem Kindeswohl dienen wird.
** Eine zwangsweise Durchsetzung des Umgangs, bei der eine emotionale Zuwendung zum Kind erwartet wird und nicht nur die bloße Anwesenheit, widerstrebt den Gefühlen des Vaters, die er gegenüber dem Kind hegt. Ein solcher auch gegenüber dem Kind offenbarer Widerwille, verbunden mit der ablehnenden Haltung gegenüber dem Kind, kann nicht ohne Auswirkungen auf das Kind bleiben. Das Kind gerät in eine Situation, die mit dem Umgang nicht bezweckt ist, sondern muss spüren, dass es abgelehnt wird und das auch noch von seinem eigenen Elternteil. Dies birgt die große Gefahr, dass das Selbstwertgefühl des Kindes Schaden nimmt.
** Entscheidend ist, ob ein zwangsweiser Umgang dem Kindeswohl dient, nicht, ob dadurch das Kindeswohl gefährdet sein könnte. Der Umgang mit den Eltern ist für die Entwicklung von herausragender Bedeutung und soll dem Kindeswohl dienen. Dies rechtfertigt grundsätzlich den Eingriff in das Grundrecht eines Vaters auf Schutz der Persönlichkeit. Allerdings kann dies nur so weit gehen, wie der Umgang dem Kindeswohl auch tatsächlich dienlich ist. Wird dieser Zweck verfehlt, ist die Umgangspflicht nicht mehr geeignet, den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Vaters zu rechtfertigen. Dies gilt ebenso für die Androhung von Zwangsmitteln. Dem steht nicht entgegen, dass § 1684 Abs. 4 BGB die Einschränkung und den Ausschluss des Umgangsrechts nur zulässt, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Hier werden nur die Grenzen des elterlichen Umgangsrechts normiert, nicht die Durchsetzung der Umgangspflicht.
** Es ist nicht auszuschließen, dass es Fälle gibt, in denen eine reale Chance besteht, dass das Kind in der Lage ist, durch sein Verhalten den Widerstand des umgangsunwilligen Elternteils aufzulösen, sodass ein zunächst erzwungener Umgang dem Kindeswohl dienen kann. Dies ist ggf. mit Hilfe von Sachverständigen zu klären. Je älter und gefestigter ein Kind in seiner Persönlichkeitsentwicklung ist, umso eher wird man davon ausgehen können, dass die zwangsweise Durchsetzung der Umgangspflicht dem Kind dienlich sein kann. In solchen Fällen ist eine zwangsweise Durchsetzung möglich.
# Die Zwangsvorschrift des § 33 FGG ist verfassungsgemäß dahingehend auszulegen, dass eine zwangsweise Durchsetzung der Umgangspflicht zu unterbleiben hat, es sei denn, hinreichend konkrete Anhaltspunkte liegen vor, die darauf schließen lassen, dass der Umgang für das Kind dienlich ist.
# Bei erneuter Verhandlung durch das OLG hat dieses den Anspruch des Kindes auf rechtliches Gehör zu beachten und zu prüfen, ob dem Kind ein Verfahrenspfleger zur Seite zu stellen ist. Der Fall gibt Anlass für Zweifel, ob der von der Mutter initiierte Antrag auf Durchsetzung der Umgangspflicht des Vaters auch mit Zwangsmitteln wirklich den Interessen des Kindes entspricht oder nicht eher diesen zuwider läuft.
Der Erste Senat des BVerfG hat diese Entscheidung in den Ziffern 3/4 mit 7 : 1 Stimmen, im Übrigen einstimmig ausgeurteilt.
III. Fazit
Mit dieser Entscheidung hat das BVerfG den Grundsatz aufgestellt, dass die in § 1684 BGB normierte Umgangspflicht regelmäßig nicht durch Zwangsmittel durchgesetzt werden kann. Dies war in der obergerichtlichen Rechtsprechung uneinheitlich. Der Grundgedanke, dass ein zwangsweiser Umgang mit einem umgangsunwilligen Elternteil nicht dem Kindeswohl dienen kann, war jedoch bereits vorher Gegenstand oberlandesgerichtlicher Entscheidungen.
Auch hat das BVerfG deutlich darauf hingewiesen, dass das Umgangsrecht ein eigenes, persönliches, subjektives Recht des Kindes auf Umgang ist und nicht z. B. von einem Elternteil missbraucht werden kann und darf, um gegen den Willen des Kindes zu handeln (siehe Ziffer 5 der Entscheidung). Im Mittelpunkt des § 1684 BGB steht das Kind, und nicht die Eltern. Es handelt sich um eine Elternpflicht, jedoch zum Wohl des Kindes (BVerfG, FamRZ 1999, Seite 85, OLG Köln, FamRZ 2004, Seite 52). Der Anspruch des Kindes auf Umgang ist gemäß § 1684 BGB einklagbar (OLG Celle, MDR 2001, Seite 395, OLG Köln, FamRZ 2004, Seite 52, OLG Nürnberg, FamRZ 2002, Seite 413), nach der Entscheidung des BVerfG jedoch regelmäßig nicht nach § 33 FGG durchsetzbar (ebenso schon: OLG Köln, FamRZ 2001, Seite 1023, OLG Nürnberg, FamRZ 2002, Seite 413, OLG Nürnberg, FamRZ 2007, Seite 925: die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde ist beim BGH unter Az. XII ZR 225/06, andere Ansicht: Palandt/Dietrichsen, § 1684, Rdn. 41, OLG Brandenburg, FamRZ 2005, Seite 293, OLG Köln, FamRZ 2002, Seite 979, vermittelnd: OLG München, FamRZ 2005, Seite 1010).
Anhand der umfangreichen Rechtsprechung ist ersichtlich, dass die Frage der Durchsetzbarkeit einer Umgangspflicht kontrovers gesehen wird, das BVerfG hat hier zumindest einen Regel-Ausnahme-Grundsatz aufgestellt, wonach regelmäßig eine zwangsweise Durchsetzung nicht dem Kindeswohl dient und nur im Einzelfall eine zwangsweise Durchsetzung möglich ist. Ein widerwillig hingenommener Umgang durch ein Elternteil wird in der Regel für ein Kind belastender sein, als der Verlust des Kontaktes zu diesem Elternteil, sodass ein Zwangsumgang nicht sinnvoll ist.
Dies auch der Grundtenor der Entscheidung des BVerfG.
Die ausnahmsweise Verpflichtung zum nicht gewollten Umgang ist durch intensive Anhörung des betroffenen Kindes und ggf. mit sachverständiger Hilfe zu ermitteln. Dabei kann auch die Frage eine Rolle spielen, ob ein Elternteil den anderen Elternteil in die Umgangspflicht nehmen kann (so im entschiedenen Fall, bei welchem die Mutter die treibende Kraft war), oder ob das Begehren auf Umgang unmittelbar von dem Kind ausgeht (natürlich nur bei älteren Kindern von Relevanz).
Hier werden die Gerichte einen verstärkten Prüfungsmaßstab anwenden müssen.