Umgangsrecht - OLG Hamm - 23.04.2020


Die tatsächliche Vermutung, dass ein Familieneinkommen bis zur Höhe des Doppelten des höchsten in der Düsseldorfer Tabelle ausgewiesenen Einkommensbetrags (derzeit 2 x 5500 € = 11000 €) vollständig für den Lebensbedarf verwendet worden ist, kann von dem Unterhaltspflichtigen entkräftet werden. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt der Unterhaltspflichtige.

Beschluss:
Gericht: OLG Hamm
Datum: 23.04.2020
Aktenzeichen: Az. II-2 UF 152/19
Leitparagraph: § 1361 BGB
Quelle: NZFam 2020, Seite 821

Kommentierung:

Die Eheleute streiten um Getrenntlebendunterhalt. Das gemeinsame Einkommen lag zusammen über 11000 €, wobei der Mann ca. 10000 €, die Frau ca. 3000 € verdienten. Vorgerichtlich wurde ein konkreter Bedarf von 3076 € begehrt, im gerichtlichen Verfahren ein Quotenunterhalt von 3049 €. Das Familiengericht hat zu einem Gesamtunterhalt von ca. 600 € verurteilt. Hiergegen hat die Frau Beschwerde eingelegt.

Das Familiengericht hat den Unterhaltsanspruch anhand des vorprozessual konkret dargelegten Bedarfs ermittelt und nicht nach einer Quote. Der BGH hat in FamRZ 2018, Seite 260 sowie FamRZ 2020. Seite 21, entschieden, dass eine tatsächliche Vermutung für den Verbrauch des Familieneinkommens spricht, soweit dieses derzeit die 11000 € nicht übersteigt, d. h. bis rechnerisch 11000 € kann der Unterhaltsberechtigte nach der für ihn günstigeren Quotenberechnung Unterhalt geltend machen.

Das OLG führt aus, dass diese Vermutung lediglich ein Anscheins- oder Indizienbeweis sei. Allein die ursprünglich vorgenommene konkrete Ermittlung des Elementarbedarfs spricht schon gegen die Annahme, die Ehegatten hätten ein Gesamteinkommen von 11.000 € im Monat verlebt. Diese Verbrauchsvermutung von 11000 € im Monat wurde auch im Verfahren dadurch widerlegt, dass der Unterhaltspflichtige ein während der Ehe geführtes Haushaltsbuch vorgelegt hat, aus welchem hervorgeht, dass vom Einkommen insbesondere auch Kreditverbindlichkeiten auf Eheimmobilien oder private Altersvorsorge verwendet wurden. Insoweit geht auch das OLG davon aus, dass die Verbrauchsvermutung von 11000 € im Monat nicht nur erschüttert sondern sogar widerlegt ist (§ 113 FamFG i.V.m. § 286 ZPO). Weil der Bedarf vorgerichtlich mit 3076 € angesetzt war und die Ehefrau selbst 2598 € verdient hat, konnte an Unterhalt nur der Differenzbetrag ausgeurteilt werden.

Praxishinweis:

Die Rechtsprechung des BGH führt grundsätzlich dazu, dass bei der 3/7-Methode und einem bereinigten Familieneinkommen von 11000 € dann ein Ehegattenunterhalt in Höhe von 4714 € geltend gemacht werden kann (bei 45 % - Süddeutsche Leitlinien sogar 4950 €). Auszugehen ist bei dieser Rechtsprechung von einem bereinigten Nettoeinkommen, d. h. nach Abzug von Steuern, KV, PV, gestatteter privater Altersvorsorge sowie anderweitiger unterhaltsrechtlich relevanter Abzüge und nach Abzug von etwaigem anderweitigem Kindesunterhalt. Das OLG gestattet nunmehr dem Unterhaltspflichtigen, die Verbrauchsvermutung dieser 11000 € zu widerlegen. Nach Auffassung des Verfassers ist diese Möglichkeit der „Gegendarstellung“ zu begrüßen, nachdem ohnehin die Grenze eines Einkommens von 11000 €, bis zu der ein Quotenunterhalt berechnet werden darf, zu hoch angesetzt ist. Die vom BGH aufgestellte Vermutung, dass bis 11000 € bereinigtem Einkommen das Geld auch verbraucht wurde, erschein realitätsfremd. Vormals hatten die Gerichte unterschiedliche „Obergrenzen“, teilweise bis maximal zur obersten Grenze der Düsseldorfer Tabelle, in Höhe von 5500 €. Wer tatsächlich in der Familie 11000 € netto verbraucht hat, ist dann auch in der Lage, im Rahmen einer konkreten Bedarfsberechnung die oben genannten Unterhaltsbeträge knapp unter 5000 € darzulegen und nachzuweisen. Es gibt jedoch diese wohl verfestigte Rechtsprechung des BGH, sodass man dem Unterhaltsverpflichteten dann richtigerweise zumindest die Möglichkeit geben muss, den Einkommensverbrauch von 11000 € netto zu widerlegen, und nicht wegen der „einfacheren“ Unterhaltsberechnung nach Quote dies untersagen (so jedoch Riegner, NZFam 2020, Seite 821, in seiner Anmerkung). Der Verfasser geht auch davon aus, dass der BGH die Möglichkeit des Widerlegens der Verbrauchsvermutung von 11000 € für möglich erachtet, gegenteiliges ist nicht bekannt.