Umgangsrecht / Sorgerecht - OLG - 07.04.2022

In der Regel ist ein Antrag auf Verfahrenskostenhilfe für ein umgangsrechtliches Verfahren mutwillig und daher zurückzuweisen, wenn der Antragsteller sich nicht zunächst an das Jugendamt gewandt hat. Anders verhält es sich dann, wenn eine Vermittlung durch das Jugendamt bereits fehlgeschlagen oder erkennbar aussichtslos ist, oder wenn die Sache besonders dringlich ist.

Beschluss:
Gericht: OLG Brandenburg
Datum: 07.04.2022
Aktenzeichen: 13 WF 52/22
Leitparagraph: § 114 ZPO
Quelle: NZFam 2022, Seite 516

Kommentierung:

Der Maßstab für die „Mutwilligkeit“ nach Verfahrenskostenhilferecht ist derjenige, wie sich ein Antragsteller, der nicht hilfebedürftig ist, verhalten würde. Dieser würde im Regelfall zunächst das kostenfrei Angebot des Jugendamtes auf Vermittlung annehmen. Es ist Aufgabe des hilfebedürftigen Antragstellers, selbst die Initiative zu ergreifen und zunächst beim Jugendamt Hilfe zu suchen. Da dies im vorliegenden Fall nicht gegeben war und auch die anderweitigen Gründe in Satz 2 des Leitsatzes nicht vorlagen, wurde Verfahrenskostenhilfe abgelehnt.

Diese Entscheidung gilt für umgangsrechtliche Verfahren, möglicherweise nicht für sorgerechtliche Verfahren (OLG Hamm, NZFam 2022, Seite 420). Hier ist jedoch zu bedenken, dass auch in sorgerechtlichen Verfahren zunächst außergerichtlichen Regelungen der Vorrang zu geben ist, insbesondere etwa durch eine sogenannte Sorgerechtsvollmacht.

 

 

Hierzu die Entscheidung:

  1. Die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn dem Kindeswohl nicht durch mildere Mittel als die Sorgerechtsübertragung entsprochen werden kann.
  2. Bei Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht entfällt trotz ihrer uneingeschränkten Widerruflichkeit im Regelfall die Erforderlichkeit eines gerichtlichen Eingriffs in die elterliche Sorge, soweit sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt.
  3. Auch soweit in der erteilten Sorgevollmacht das Aufenthaltsbestimmungsrecht insoweit ausgenommen wird, als die Vollmacht sich hier nur auf die Aufenthaltsbestimmung bei Klassenfahrten und Reisen innerhalb der Europäischen Union beschränkt, besteht ein Bedürfnis für die Aufhebung der gemeinsamen Sorge in diesem Teilbereich auch dann nicht, wenn Reisen des betreuenden Elternteils in sein hiervon ausgenommenes Heimatland und ein Umzug mit den Kindern im Raum stehen.

Beschluss:
Gericht: OLG Brandenburg
Datum: 29.03.2022
Aktenzeichen: 10 UF 43/21
Leitparagraph: § 1671 BGB
Quelle: NZFam 2022, Seite 493

Kommentierung:

Hier hat das OLG die Antragsabweisung der Kindsmutter bestätigt, diese hatte die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge beantragt, obwohl der Kindsvater der Mutter eine umfassende Sorgerechtsvollmacht überlassen hatte – auch wenn diese nicht unwiderruflich war.

Das OLG hat „lehrbuchsmäßig“ die Kriterien zusammengefasst, nach denen eine gemeinsame Sorge in Betracht kommt, bzw. nicht in Betracht kommt (BGH, NJW 2016, Seite 2497).

  • Nachhaltiger tiefgreifender Elternkonflikt
  • Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge
  • Tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern
  • Keine schwerwiegende und nachhaltige Störung auf der Kommunikationsebene der Eltern, die befürchten lässt, dass das Kind dadurch erheblich belastet wird, u.a.


Allein der Umstand, dass das Alleinsorgerecht „vieles leichter machen würde“, reicht nicht aus. Nach den festgestellten Umständen hat das OLG wohl eher dazu tendiert, die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben, im Hinblick auf eine vom Vater während des Beschwerdeverfahrens vorgelegte Sorgerechtsvollmacht es jedoch bei der gemeinsamen elterlichen Sorge belassen. Es war unerheblich, dass die Kindsmutter diese Sorgerechtsvollmacht nicht mitunterzeichnet hatte, da eine Vollmacht eine einseitige, nicht annahmebedürftige Erklärung des Vollmachtgebers ist. Dass die Vollmacht jederzeit widerrufen werden kann, steht der Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht im Wege. Das Sorgerecht liegt nicht in der freien „Verfügbarkeit“ der Eltern und kann schon aus diesem Grund nicht wirksam unwiderruflich erteilt werden. Zudem stünde das ja dann faktisch einer Alleinsorge der Mutter gleich. Erst wenn eine solche Vollmacht widerrufen wird, sind die Gründe hierfür zu beurteilen und führen dann ggf. zu einer anderen Entscheidung. Eine solche Vollmacht lässt die Erforderlichkeit eines Eingriffs in die elterliche Sorge entfallen.

Obwohl die Bindungen des Vaters zu den Kindern als auch die Bindungen der Kinder zum Vater als mäßig einzustufen waren und auch die Kinder sich für ein Alleinsorgerecht der Mutter ausgesprochen hatten (ein Kind 13 Jahre alt, das andere Kind unter 12 Jahre), hat das OLG im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keine Veranlassung gesehen, die gemeinsame elterliche Sorge hinsichtlich Gesundheitsfürsorge, Behördenangelegenheiten, Vermögenangelegenheiten und schulische Angelegenheiten aufzuheben. Dies im Hinblick auf die Sorgerechtsvollmacht, durch die die Mutter vollständige Handlungsbefugnisse hatte. Beim Aufenthaltsbestimmungsrecht hatte der Vater in der Vollmacht Einschränkungen formuliert, wonach sich die Vollmacht nicht auf Reisen der Mutter mit den Kindern in ihr Heimatland erstreckte. Auch hat sich die Vollmacht nicht erstreckt auf die Möglichkeit des Umzuges in einen anderen Wohnort. Diese Beschränkungen stehen nach Auffassung des OLG der Beibehaltung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht entgegen. Auch wenn der Vater bislang nur sehr dürftig sein Umgangsrecht mit den Kindern wahrgenommen hat, hat er nicht nur vor dem OLG bekundet, in Zukunft mehr Umgang wahrnehmen zu wollen, sondern hat sogar ein umgangsrechtliches Verfahren bei Gericht eingeleitet. Diese Bemühungen rechtfertigen auch die Einschränkungen in der Vollmacht, wonach der Mutter kein Freibrief für einen Umzug mit den Kindern gegeben werden soll.

In der Gesamtschau hat das OLG daher die Sorgevollmacht für ausreichend erachtet, den Antrag auf Übertragung der Alleinsorge abzuweisen. Das OLG hat auch darauf verwiesen, dass wenn es zukünftig Probleme bzw. Meinungsverschiedenheiten bei Reisen in das außereuropäische Heimatland der Mutter mit den Kindern geben sollte oder ein Wohnortwechsel nicht akzeptiert wird, dass dann immer noch ein Verfahren nach § 1628 BGB auf Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis in einem Einzelfall möglich ist. Der BGH hatte schon in seiner Entscheidung BGH, NJW 2020, Seite 2182, auf die Bedeutung von Sorgerechtsvollmachten hingewiesen, Sorgerechtsvollmachten nehmen in der Praxis an Bedeutung zu. Eine Sorgerechtsvollmacht ist nicht nur eine Alternative zur gerichtlichen Sorgerechtsübertragung nach § 1671 BGB, sondern wird wohl auch als „vorrangig“ zu bezeichnen sein (insbesondere bei sorgerechtlichen Verfahren, die mit Verfahrenskostenhilfe geführt werden sollen). Dann werden möglicherweise Rechtsstreite nicht über die Übertragung von Sorgerecht geführt werden, sondern über die einzelnen Inhalte und die Ausformulierung von Sorgerechtsvollmachten.

Alleinentscheidungsbefugnis (§ 1628 BGB) und Corona-Pandemie

Das Rechtsinstitut des Antrags auf Alleinentscheidungsbefugnis eines Elternteiles im Rahmen der gemeinsamen elterlichen Sorge, bezog sich hauptsächlich auf Schulwahl, Kindergartenwahl, Religionswahl, aber auch auf Einzelfragen des Aufenthaltsbestimmungsrechts oder die Verwaltung von Kindesvermögen. Auch in der Vergangenheit waren schon die „üblichen, von der STIKO empfohlenen Impfungen im Rahmen der sogenannten U-Untersuchungen für Kinder Gegenstand derartiger Verfahren. Im Regelfall haben die Gerichte dann demjenigen Elternteil die Alleinentscheidungsbefugnis übertragen, der den Empfehlungen der STIKO gefolgt ist. Durch die Corona-Pandemie haben sich weitere bzw. vermehrte Aufgabenfelder für derartige sorgerechtliche Fragen ergeben. Nach der Pandemie ist vor der Pandemie, sodass die Rechtsprechung hierzu kurz dargestellt werden soll.

  1. Aufenthaltsbestimmungsrecht/Reisen des Kindes


    Vor der Pandemie bedurfte es lediglich für Reiseziele, die für das Kind mit über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehenden Gefahren verbunden war, einer Zustimmung des anderen Elternteils. Unabhängig davon gibt und gab es Einreisebestimmungen/Flugbestimmungen, die es notwendig machen und machten, dass ein mitsorgeberechtigter Elternteil grundsätzlich oder vorsorglich eine entsprechende schriftliche Erklärung den Reisenden mitgibt. 

Durch die Pandemie sind Auslandsreisen stets als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung angesehen worden, dies wegen Ansteckungsgefahr etc. So hat das OLG Frankfurt bereits im März 2020 eine Nicaragua-Reise gestoppt (OLG Frankfurt, NZFam 2020, Seite 537). Nachfolgend gab es eine Vielzahl von derartigen Entscheidungen, je nach „Corona-Lage“ = Inzidenz-Lage und der wissenschaftlichen Einordnung dieser Zahlen unter Berücksichtigung der aktuellen Corona-Maßnahmen. Im Jahr 2021 (Juli) hat z. B. das OLG Dresden (NZFam 2021, Seite 750) eine zweiwöchige USA-Reise des Vaters mit seinem 6-jährigen Kind zum Besuch der Großeltern nach dem Wegfall der Einstufung als Risikogebiet und nach Aufhebung der Reisewarnung nicht als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung eingestuft. Das allgemeine Infektionsrisiko stelle nur eine abstrakte Gesundheitsgefahr dar.

Es bleibt zu hoffen, dass die Zahlen weiterhin gering bleiben (bzw. diese Zahlen so wie heute interpretiert werden), vor einem Anstieg der Zahlen im Herbst wird schon gewarnt. COVID-19 bleibt spannend, auch in der Beurteilung der Rechtsauslegung.

  2. Kindesbetreuung


    Wegen der Pandemie gab es Schulschließungen, aber auch vermehrt Homeoffice. Da stellte sich sorge- und umgangsrechtlich die Frage, ob im Hinblick auf die veränderten Rahmenbedingungen andere Betreuungsmodelle sinnvoll erscheinen. War eine Notbetreuung in Einrichtungen „gefährlicher“ als eine erweiterte Betreuung durch ein Elternteil, welches durch Homeoffice Betreuungsmöglichkeiten aufweisen konnte? So hat das AG München eine Kindsgefährdung in Gemeinschaftseinrichtungen gesehen und dem Vater mehr Umgang gewährt (AG München, NJW 2020, Seite 2039).

Nachdem die Politik Schulschließungen als „ultima ratio“ ansieht und in jedem Fall derartiges verhindern will, bleibt zu hoffen, dass derartige Fragen nicht mehr den Gerichten zugeführt werden.

  3. Impfung


    Die Impfung von Kindern – je nach Empfehlungsstand der STIKO – war häufig Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen nach § 1628 BGB. Nahezu einhellig handelt es sich hierbei um eine Angelegenheit von grundsätzlicher Bedeutung. Das OLG München sieht es nicht als Aufgabe der Gerichte, sämtliche für oder gegen eine Impfung sprechende Gesichtspunkte zusammenzutragen und damit letztendlich anstelle der Eltern die Entscheidung über die Impfung zu treffen. Auch ein medizinisches Gutachten ist nicht notwendig, die Entscheidung ist zugunsten desjenigen Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolgt. Bei allen Schutzimpfungen sind die Empfehlungen der STIKO entscheidend, deren Empfehlungen sind medizinischer Standard. Wenn eine Empfehlung der STIKO nicht vorliegt, müssen auch andere Kriterien für die Übertragung des Bestimmungsrechts geprüft werden (sehr dezidiert AG Hamburg, NZFam 2022, Seite 128). 

In diesem Zusammenhang wird auch immer die Frage gestellt, ob eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz (Schnellverfahren) möglich ist. Auch hier gehen letztendlich die Meinungen je nach Einzelfall auseinander, eine Zusammenfassung zu dieser Gesamtthematik findet man bei Prof. Löhnig, NZFam 2022, Seite 245 ff.. Auch in der Urteilsbank des ISUV im Report Nr. 168, Seite 18/19 findet man eine Zusammenstellung darüber, wer überhaupt für eine entsprechende Impfung zustimmen kann, zustimmen muss, etc.