Unterhaltsrecht - BGH - 05.03.2008

  1. Nach der Trennung der Parteien ist der Vorteil mietfreien Wohnens zunächst regelmäßig nur noch in dem Umfang zu berücksichtigen, wie er sich als angemessene Wohnungsnutzung durch den in der Ehewohnung verbliebenen Ehegatten darstellt. Dabei ist auf den Mietzins abzustellen, den er auf dem örtlichen Wohnungsmarkt für eine dem ehelichen Lebensstandard entsprechende kleinere Wohnung zahlen müsste. Ist eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft allerdings nicht mehr zu erwarten, etwa wenn ein Scheidungsantrag rechtshängig ist oder die Ehegatten die vermögensrechtlichen Folgen ihrer Ehe abschließend geregelt haben, sind solche Ausnahmen von der grundsätzlichen Berücksichtigung des vollen Mietwerts nicht mehr gerechtfertigt. (Abgrenzung zu dem Senatsurteil vom 28. März 2007 – XII ZR 21/05 – FamRZ 2007, 879).
  2. Von dem Vorteil des mietfreien Wohnens sind grundsätzlich die mit dem Eigentumserwerb verbundenen Kosten abzusetzen, weil der Eigentümer nur in Höhe der Differenz günstiger lebt als ein Mieter. Der Tilgungsanteil der Kreditraten kann aber dann nicht mehr berücksichtigt werden, wenn der andere Ehegatte nicht mehr von der mit der Tilgung einhergehenden Vermögensbildung profitiert und daher eine einseitige Vermögensbildung zulasten des Unterhaltsberechtigten stattfindet, wie es im Fall des gesetzlichen Güterstandes ab Zustellung des Scheidungsantrags der Fall ist (Fortführung der Senatsurteile vom 28. März 2007 – XII ZR 21/05 – FamRZ 2007, 879 und vom 1. Dezember 2004 – XII ZR 75/02 – FamRZ 2005, 1159).
  3. Vor der Berechnung des Ehegattenunterhaltes ist der Zahlbetrag des Kindesunterhaltes (Tabellenbetrag abzgl. des vollen Kindergeldes bei volljährigen Kindern, bzw. des halben Kindergeldes bei minderjährigen Kindern) abzuziehen (so Büttner in seiner Urteilsbesprechung FamRZ 2008, S. 967/968).

Ziffer 1 und 2 amtliche Leitsätze des BGH, Ziffer 3 ergänzender Leitsatz des Verfassers.

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Urteil

Gericht         : BGH
Datum           : 05.03.2008 Aktenzeichen    
Aktenzeichen    : XII ZR 22/06
Leitparagraph   : BGB §1361, BGB §1612b
Quelle          : FamRZ 2008, Seite 963 / FuR 2008, Seite 283
Kommentiert von : RA Simon Heinzel

Inhalt:

Folgender Sachverhalt lag zugrunde:

 

Die Parteien streiten um Trennungsunterhalt. Aus der 1984 geschlossenen Ehe sind 2 Söhne (geboren 1985 / 1987) hervorgegangen. Die Trennung erfolgte Ende 2004, die Ehefrau zog gemeinsam mit dem damals 17 Jahre alten Sohn aus der Ehewohnung aus (Ehewohnung im Hälfteeigentum beider Eheleute). Mit Ehevertrag hat die Frau ihr Hälfteeigentum auf den Mann übertragen. Die für 75000 Euro, wobei 7500 Euro auf Zugewinn entfielen, der Rest den Verkehrswert darstellte. Desweiteren wurde Gütertrennung vereinbart und auf weitergehenden Zugewinnausgleich verzichtet.

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Der Mann hatte ein Nettoeinkommen in Höhe von monatlich gerundet 3260 Euro. Der bei ihm wohnende volljährige Sohn hatte bereinigtes Ausbildungseinkommen in Höhe von ca. 400 Euro, später in Höhe von ca. 490 Euro. Den verbleibenden Barunterhaltsbedarf trägt der Vater. Der Unterhalt für den bei der Mutter lebenden Sohn belief sich auf 406 Euro nach Abzug von hälftigem Kindergeld.

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Die Ehefrau arbeitete 28 Wochenstunden und erzielte nach Abzug berufsbedingter Aufwendung 950 Euro. Der Ehemann zahlte an die Ehefrau monatlichen Trennungsunterhalt in Höhe von gerundet monatlich 260 Euro, das Amtsgericht hat ihn verurteilt darüber hinaus weitere ca. 515 Euro zu bezahlen. Der Ehemann hat hiergegen Berufung eingelegt, das OLG hat das Ersturteil abgeändert und über die freiwillig gezahlten ca. 260 Euro den Ehemann verurteilt, weitere ca. 370 Euro zu bezahlen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision des Ehemannes, der allenfalls bereit war, in der Summe 400 Euro (freiwillige 260 Euro + 140 Euro) zu bezahlen.

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Der BGH hat die Revision des Ehemannes für begründet erachtet, hat das Urteil des OLG aufgehoben und zur nochmaligen Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

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Der BGH begründet seine Entscheidung wie folgt

  1. Das OLG hat vom Einkommen des Mannes zunächst den Barunterhalt für beide Kinder abgesetzt. Weiterhin hat das OLG dem Mann einen Wohnvorteil zugerechnet, bei dessen Bemessung nach der Rechtsprechung des BGH auf die tatsächlichen Gegebenheiten nach der Übertragung des Miteigentumanteils durch die Ehefrau auf ihn abzustellen ist. Die Belastungen aus dem Erwerb des Miteigentumanteils hat das OLG mit in Abzug gebracht, wobei jedoch die Tilgungsanteile unberücksichtigt blieben. Das OLG begründet dies damit, dass durch Ehevertrag Gütertrennung eingetreten ist und somit die Ehefrau auch nicht mehr an der Vermögensbildung durch Tilgungsleistungen partizipiert. Tilgungsanteile waren auch nicht als zusätzliche Altersvorsorge zu berücksichtigen.Das OLG führt weiter aus, dass der Ehefrau aufgrund ihres Alters (50 Jahre) und der 15jährigen Familienpause keine weitergehende Tätigkeit zuzurechnen sei, da sie auch bei einer vollschichtigen Tätigkeit kein höheres Einkommen erzielen könne. Der Ehefrau ist jedoch nach einer Übergangszeit eine Nebentätigkeit zuzumuten. Aus diesem Grund sind ihr zum einen Zinserträge aus der Übertragung der Eigentumswohnung (nicht Zinserträge aus dem Anteil des Zugewinns) zuzurechnen sowie Einkünfte aus einer Nebentätigkeit. Diese Entscheidungsgründe halten der rechtlichen Nachprüfung durch den BGH nicht in allen Punkten stand.
  2. a) Die Bemessung der beiderseitigen unterhaltsrelevanten Einkünfte steht mit der Rechtsprechung des Senats nicht im Einklang. Richtigerweise sind nur die Zinsleistungen für die zur Finanzierung aufgenommenen Kredite abgesetzt worden, der so errechnete Nutzungswert ist dem Einkommen hinzuzurechnen, soweit die unterhaltsrechtlich zu berücksichtigenden Belastungen niedriger sind. Insoweit war es richtig den Wohnwert des gesamten Hauses einzustellen. Revisionsrechtlich auch nicht zu beanstanden ist es, dass die objektive Marktmiete, d. h. der volle Wohnwert eingestellt wurde. Zwar wird in der Trennungszeit normalerweise nur ein angemessener Wohnwert berücksichtigt, der volle Wohnwert kommt dann zum Tragen, wenn nicht mehr mit einer Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft zu rechnen ist, was etwa mit Zustellung des Scheidungsantrags der Fall ist. Nachdem die Parteien hier die Auseinandersetzung des Hauses bereits durchgeführt haben und insoweit Ausgleichsansprüche (Zugewinn etc.) abschließend durch Ehevertrag geregelt haben, ist bereits mit Abschluss des Ehevertrages bei der Unterhaltsberechnung der volle Wohnwert zu berücksichtigen. Grundsätzlich sind vom Wohnwert bis zur Rechtshängigkeit eines Scheidungsantrages sowohl Zins- und Tilgungsleistungen abzuziehen, da über den Zugewinn der andere an der Vermögensbildung durch Tilgungsleistungen noch teilnimmt, anders jedoch, wenn durch Ehevertrag, wie hier, der Zugewinn bereits endgültig geregelt ist. In einem solchen Fall kann nur noch der Zinsaufwand berücksichtigt werden.b) Entgegen der Rechtsprechung des BGH hat das OLG jedoch den Tilgungsanteil auch nicht unter dem Gesichtspunkt zusätzlicher Altersvorsorge berücksichtigt. Der BGH geht jedoch davon aus, dass auch zusätzliche Altersvorsorge zu gestatten ist, egal in welcher Form, auch durch Bildung von Immobilieneigentum (durch Tilgungsleistungen), da durch die gesetzliche Rentenversicherung alleine keine angemessene Altersvorsorge gesichert ist. Die Entschuldung des Immobilieneigentums stellt ebenso eine Altersvorsorge dar. Auszugehen ist von einer zusätzlichen Altersvorsorge von bis zu 4 % des Bruttoeinkommens, wobei nur tatsächlich erbrachte Altersvorsorgeleistungen berücksichtigt werden können (kein fiktiver Abzug zusätzlicher Altersvorsorge). Das OLG hätte daher eine zusätzliche Altersvorsorge berücksichtigen müssen, was nunmehr durch die Zurückverweisung nachzuholen ist. c) Das OLG hat auch das Einkommen der Ehefrau nicht rechtsfehlerfrei ermittelt. Im ersten Trennungsjahr besteht in der Regel keine erweiterte Erwerbsobliegenheit als vor der Trennung. Dies hat das OLG richtigerweise berücksichtigt, wonach spätestens nach der Volljährigkeit beider Kinder und länger als ein Jahr nach der Trennung eine erhöhte Erwerbsobliegenheit angenommen wurde. Dass das OLG jedoch neben der Teilzeittätigkeit nur ein fiktives Einkommen aus einer Geringverdienertätigkeit hinzugerechnet hat, hält der Nachprüfung nicht stand, denn das Argument, die Ehefrau könne auch aus einer vollschichtigen Tätigkeit nicht mehr Einkommen erzielen, ist durch nichts belegt. Bei einer Vollzeittätigkeit würde die Ehefrau in ihrem derzeit ausgeübten Beruf sehr wohl höhere Einkünfte erzielen. Ob entsprechende Bemühungen vorlagen, ist nicht geprüft worden, auch hieraus rechtfertigt sich die Zurückweisung an das OLG. d) Richtigerweise hat das OLG vom Einkommen des Vaters den geschuldeten Barunterhalt abgesetzt. Der Unterhalt der Kinder jedoch wurde unzutreffend ermittelt. Das OLG hat lediglich die Ausbildungsvergütung abgesetzt, nicht das volle Kindergeld. Der Unterhaltsbedarf wird jedoch durch das staatliche Kindergeld gedeckt. Auch hat das OLG nicht nur den Zahlbetrag bei der Bemessung des Getrenntlebendunterhaltes abgesetzt, sondern den Tabellenbetrag. Dies ist rechtsfehlerhaft. Das Kindergeld dient dem allgemeinen Familienlastenausgleich und will die Unterhaltslast im Ganzen, also die Unterhaltslast aller Unterhaltspflichtigen erleichtern. Bei volljährigen ist daher das gesamte Kindergeld vom Einkommen des volljährigen Kindes bzw. vom Tabellenbetrag abzuziehen (§ 1612 b Abs. 1 Nr. 2 BGB i. d. F. v. 01.01.2008). Auch unter Berücksichtigung des sich dann ergebenden Ehegattenunterhalts verbleibt dem barunterhaltspflichtigen Elternteil jedenfalls die um seinen Erwerbstätigenbonus erhöhte Hälfte des Kindergeldes. Auch wenn die Eltern anteilig für den Barunterhalt ihres volljährigen Kindes haften, führt die Berücksichtigung des Zahlbetrages im Rahmen des Ehegattenunterhaltes nur zu einem hälftigen Ausgleich der Entlastung.

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Fazit

 

Der BGH hat zwei für die Praxis wichtige Dinge entschieden, ohne dass dies aus den amtlichen Leitsätzen deutlich wird, der Verfasser hat daher einen dritten (nichtamtlichen) Leitsatz hinzugefügt.

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  1. Wie den Leitsätzen zu entnehmen ist, soll nicht mehr der Grundsatz gelten, dass die gesamte Trennungszeit nur ein angemessener Wohnwert und nicht der volle Wohnwert (objektive Marktmiete) in eine Unterhaltsberechnung einzustellen ist. In den Leitsätzen wird formuliert, dass der volle Wohnwert schon dann in eine Unterhaltsberechnung einsetzbar ist, wenn die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten ist, etwa, wenn ein Scheidungsantrag rechtshängig ist oder die Ehegatten die vermögensrechtlichen Folgen ihrer Ehe abschließend geregelt haben. Somit steht fest, dass der BGH davon ausgeht, dass spätestens mit der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags nur noch der volle Mietwert in der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen ist, dieser Zeitpunkt sogar noch vorzuverlagern ist, wenn die Regelungen zum Zugewinn und der Vermögensauseinandersetzung durch Notarvertrag geregelt sind.Abhängig davon, in welcher Situation man lebt und ob für einen bei der Unterhaltsberechnung nur ein angemessener Wohnwert „besser“ ist oder der volle Wohnwert, wird man die Frage beurteilen, ob man im Vorfeld der Rechtshängigkeit eines Scheidungsantrags bereits abschließende vermögensrechtliche Regelungen trifft oder nicht. Derjenige, der von dem niedrigeren angemessenen Wohnwert profitiert, wird nunmehr kaum darauf drängen, bereits im Vorfeld vermögensrechtliche Klärungen herbeizuführen. Es wird daher in Zukunft Schwierigkeiten bereiten, im Vorfeld einer Scheidung ehevertragliche Regelungen zu finden, ohne die Frage des Wohnwertes entsprechend zu berücksichtigen.
  2. Der BGH hat nochmals ausdrücklich festgehalten, dass in Höhe von bis zu 4 % des Bruttoeinkommens zusätzliche Altersvorsorge bei der Unterhaltsberechnung abzugsfähig ist (wenn auch tatsächlich geleistet), egal in welcher Form Altervorsorge betrieben wird (Schaffung von Immobilienvermögen, Lebensversicherung oder anderweitige Geldanlagen, die der Zukunftssicherung zumindest dienlich ist).
  3. Der BGH hat entschieden, dass auch nach 15 Jahren Berufspause im Alter von 50 Jahren und fast erwachsener Kinder grundsätzlich eine Erwerbsobliegenheit besteht.

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  1. Weiterhin äußert sich der BGH im Urteil zur Frage des Abzugs des Tabellenbetrages oder des tatsächlichen Zahlbetrages vor Berechnung eines Ehegattenunterhaltes. Man muss davon ausgehen, dass der BGH mit dieser Entscheidung die umstrittene Frage des Abzugsbetrages dahingehend entschieden hat, als sowohl beim Volljährigen als auch beim Minderjährigen jeweils nur der tatsächliche Zahlbetrag vom Einkommen des Unterhaltspflichtigen abgesetzt wird. Das OLG Stuttgart, das OLG Frankfurt (2./7. Senat), das OLG Hamm, das OLG Naumburg und das OLG Oldenburg sehen dies anders und ziehen ausweislich ihrer Leitlinien vor Berechnung des Ehegattenunterhaltes den Tabellenbetrag ab. Dies auch bei minderjährigen Kindern. Alle anderen Oberlandesgerichte haben sich für den Abzug des tatsächlichen Zahlbetrages entschieden, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um ein minderjähriges oder ein volljähriges Kind handelt.Es wird nunmehr angenommen, dass die hiesige Entscheidung den Abzug des Zahlbetrages auch bei minderjährigen Kindern festschreibt (Büttner, FamRZ 2008, 967/968), sodass völlig unabhängig davon, ob es sich um minderjährige oder volljährige Kinder handelt, vor Berechnung des Ehegattenunterhaltes immer nur der tatsächliche Unterhaltszahlbetrag vom Einkommen des Unterhaltspflichtigen abzuziehen ist. Nach Auffassung des Verfassers wird im zitierten BGH-Urteil diese Frage nur für den Volljährigenunterhalt behandelt, eine ausdrückliche Bezugnahme auf minderjährige Kinder findet sich nicht. Ungeachtet dessen vertritt Büttner die Auffassung, dass das BGH-Urteil auch darüber befindet, dass auch bei minderjährigen Kindern nur der Zahlbetrag vor Berechnung des Ehegattenunterhaltes abzuziehen ist. Nachdem zwei Richter des XII. Zivilsenats (Familiensenat) bereits in anderweitigen literarischen Veröffentlichungen die Auffassung vertreten, dass lediglich der Zahlbetrag abzuziehen ist, ist davon auszugehen, dass auch alsbald eine Entscheidung des BGH zum Minderjährigenunterhalt in diese Richtung erfolgt. Nach Auffassung des Verfassers ist entgegen Büttner die Auffassung, dass nur der Zahlbetrag abzuziehen ist, nicht überzeugend, da sie dem Zweck des Kindergeldes widerspricht, welches beiden Elternteilen zu gleichen Teilen zugute kommen soll. Denn wenn man vor der Berechnung des Ehegattenunterhaltes bei minderjährigen Kindern nur den Zahlbetrag in Abzug bringt, partizipiert der unterhaltsberechtigte Ehegatte letztendlich wieder zur Hälfte an dem abgezogenen hälftigen Kindergeld, sodass dem unterhaltsberechtigten Ehegatten letztendlich knapp ¾ des Kindergeldes „zugute kommt“. Diese Rechtsfolge ist zwar aufgrund des Wortlautes des Gesetzes seit 01.01.2008 kaum zu verhindern, ob dies jedoch „gerecht“ ist, ist fraglich und erscheint auch verfassungsrechtlich bedenklich. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Frage weiterentwickeln wird, wie gesagt, der Gesetzeswortlaut ist eindeutig (Abzug Zahlbetrag), ob dieses Gesetz einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhält, bleibt abzuwarten.