Unterhaltsrecht - BGH - 09.03.2022

  1. Auch beim Kindesunterhalt können grundsätzlich bis zur Höhe des Wohnvorteils neben den Zinszahlungen zusätzlich die Tilgungsleistungen berücksichtigt werden, die der Unterhaltspflichtige auf ein Darlehen zur Finanzierung einer selbstgenutzten Immobilie erbringt (Fortführung BGHZ 2013, 288 = FamRZ 2017, Seite 519/NZFam 2017, Seite 303 und BGH v. 15.12.2021, Az. XII ZB 557/20 = FamRZ 2022, Seite 434/NZFam 2022, Seite 208).
  2. Überschreitet der Schuldendienst für die Immobilie den dadurch geschaffenen Wohnvorteil nicht, ist aber gleichwohl der Mindestunterhalt minderjähriger Kinder gefährdet, kann dem gesteigert Unterhaltspflichtigen zwar nicht eine vollständige Aussetzung der Tilgung, wohl aber nach den Umständen des Einzelfalls ausnahmsweise eine Tilgungsstreckung zugemutet werden. Die kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn eine besonders hohe Tilgung vereinbart wurde oder die Immobilie bereits weitgehend abbezahlt ist.

Beschluss:
Gericht: BGH
Datum: 09.03.2022
Aktenzeichen: XII ZB 233/21
Leitparagraph: § 1603 BGB
Quelle: FamRZ 2022, Seite 781 ff.; NZFam 2022, Seite 402 ff.

Kommentierung:

Der BGH hat in dieser Sache überraschend schnell entschieden, denn das Beschwerdegericht (OLG Oldenburg, Az. 3 UF 29/21) hatte erst am 08.04.2021 die zugrundeliegende Entscheidung getroffen (NZFam 2021, Seite 604/ISUV-Report Nr. 168, Seite 19). Eine BGH-Entscheidung vor Ablauf eines Jahres ist eher ungewöhnlich, offensichtlich wollte der BGH zu der gesamten Rechtsproblematik zur Berücksichtigung von Tilgungsleistungen weitergehende Klarheit schaffen.

Mit der vorliegenden Entscheidung vollzieht der BGH eine weitere Klarstellung zur Korrektur seiner älteren Rechtsprechung, wonach es sich bei Tilgungsleistungen von Immobiliendarlehen um einseitige Vermögensbildung handele und daher bei der Bemessung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens nicht zu berücksichtigen sei. Tilgungsleistungen sind nunmehr beim Eltern-, Ehegatten- und Kindesunterhalt bis zur Höhe des Wohnwertes von diesem in Abzug zu bringen, dies bis zum maximalen objektiven Wohnwert. Liegt ein Mangelfall vor, sind Möglichkeiten der Tilgungsstreckungen zu prüfen.

Die den Wohnwert übersteigenden Tilgungsleistungen können bis zu den jeweiligen Obergrenzen von 4 % bzw. 5 % des Bruttoeinkommens als zusätzliche Altersvorsorge abgezogen werden. Dies gilt nicht für den Mangelfall.

Bereits mit der Entscheidung BGH, Beschluss vom 15.12.2021, Az. XII ZB 557/20, NZFam 2022, Seite 208/FamRZ 2022, Seite 434 und ISUV-Report Nr. 169, Seite 18, hat der BGH die oben genannte Rechtsprechung zur selbstgenutzten Immobilie/Wohnwert in entsprechender Anwendung ausgedehnt für die Darlehenstilgung bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, d. h. diese Rechtsprechung gilt auch für die fremdfinanzierte, an Dritte vermietete Immobilie. Diese BGH-Entscheidung erfolgte für einen Fall des Ehegattenunterhaltes, es ist nicht ersichtlich, warum dies nicht auch für den Kindesunterhalt entsprechend gelten soll.

Es gilt somit der Grundsatz: Ohne Tilgungsleistungen kein Wohnwert / Ohne Tilgungsleistungen keine Mieteinnahme.

Wenn bei der Berechnung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens ein Wohnwert oder eine Mieteinnahme auf der Einkommensseite berücksichtigt wird, ist es nur folgerichtig, dass auch bis zu diesen unterhaltsrechtlich relevanten Zurechnungen die damit zusammenhängenden Kosten zur Finanzierung (Zins- und Tilgungsleistungen) einkommensmindern zu berücksichtigen sind.

Der Verfasser hat noch nie die alte Rechtsprechung verstanden, wonach Wohnwert/Mieteinnahmen zu berücksichtigen sind, aber Finanzierungsaufwendungen als einseitige Vermögensbildung nicht akzeptiert wurden. Dies hat der BGH nunmehr mit seiner Rechtsprechung seit dem Jahr 2017 und der Fortführung dieser Rechtsprechung bis zur hiesigen Entscheidung korrigiert.

Diese Rechtsprechung des BGH wird z. B. im Ehegattenunterhalt auch umgekehrt anzuwenden sein, d. h. auch wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte eine eigene Immobilie finanziert, gilt der Grundsatz des Abzugs von Zins- und Tilgungsleistungen bis zum Wohnwert. Dies gilt ebenso, wenn ein Ehegatte dem anderen seinen Miteigentumsanteil abkauft, dies finanzieren muss und sich dafür dann einen Wohnwert zurechnen lassen muss. Problematisch wird es dann, wenn bei einem solchen „Abkauf“ auch zugewinnrechtliche Fragen mitgeregelt werden und über den Kredit auch der Zugewinn mitfinanziert wird, denn die Kosten der Finanzierung des Zugewinns können grundsätzlich beim Ehegattenunter bei der Einkommensberechnung nicht berücksichtigt werden. Sonst würde ja der eine die Zugewinnauseinandersetzung des anderen über den Ehegattenunterhalt mitfinanzieren. Diese Abgrenzung wird in der Praxis Schwierigkeiten bereiten.

Möglicherweise sind diese Grundsätze/Überlegungen zum Wohnwert und zur fremdfinanzierten Immobilie auch auf andere Ratenzahlungskredite übertragbar, wenn auf der anderen Seite ein Nutzungsvorteil einkommensrechtlich Berücksichtigung findet. Auch in Zukunft wird man Kreditbelastungen nach Zins- und Tilgungsanteil darlegen müssen, um eine eventuelle Obliegenheit zur Tilgungsstreckung prüfen zu können, bzw. eine zusätzliche Altersvorsorge ermitteln zu können.

Es ist davon auszugehen, dass der BGH sich nunmehr seit 2017 in dieser Frage „ausgetobt“ hat und allenfalls noch eine Entscheidung zu dieser Thematik zu erwarten ist, dies für den Fall der fremdfinanzierten Immobilie beim Kindesunterhalt. Alle weiteren Fallkonstellationen scheinen vom BGH „abgearbeitet“.
Ausführlich zu dieser Thematik auch ISUV-Merkblatt Nr. 11 – RA Heinzel, „Das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen“, Seite 20 ff..