Unterhaltsrecht - BGH - 16.09.2020


a) Ein Auskunftsanspruch des Kindes gegen den barunterhaltspflichtigen Elternteil entfällt nicht allein aufgrund der Erklärung des Unterhaltspflichtigen, er sei „unbegrenzt leistungsfähig“ (im Anschluss an Senatsbeschluss BGH, FamRZ 2018, 260).

b) Eine begrenzte Fortschreibung der in der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen Bedarfsbeträge bis zur Höhe des Doppelten des höchsten darin (zur Zeit) ausgewiesenen Einkommensbetrags ist nicht ausgeschlossen (Fortführung von BGH FamRZ 2018, Seite 260 und BGH FamRZ 2020, Seite 21; teilweise Aufgabe BGH FamRZ 2000, Seite 358 und FamRZ 2001, Seite 1603).

c) Übersteigt das Einkommen des Unterhaltspflichtigen diesen Betrag, bleibt eine Einkommensauskunft bei Geltendmachung eines neben dem Tabellenbedarf bestehenden Mehrbedarfs erforderlich, um die jeweilige Haftungsquote der Eltern bestimmen zu können.

Beschluss:
Gericht: BGH
Datum: 16.09.2020
Aktenzeichen: Az. XII ZB 499/19
Leitparagraph: §§ 1605, 1606 Abs. 3, 1610 BGB
Quelle: FamRZ 2021, Seite 28

Kommentierung:

Auf diese Entscheidung ist in der Düsseldorfer Tabelle ab 01.01.2021 ausdrücklich nach der 10. Einkommensgruppe, somit für Einkünfte des Unterhaltsverpflichteten ab 5.501 €, hingewiesen.

Bislang gingen die Rechtsprechung und der BGH davon aus, dass bei Einkünften oberhalb der 10. Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle ein höherer Bedarf als der, der sich aus 160 % des Mindestunterhalts errechnet, nur durch eine konkrete Unterhaltsbedarfsdarlegung geltend gemacht werden kann. Bislang wurde in der Düsseldorfer Tabelle auf die „Umstände des Einzelfalles“ verwiesen. Aus diesem Grund war es bislang dem Unterhaltspflichtigen möglich, sich für „unbegrenzt leistungsfähig“ zu erklären und sich zu verpflichten 160 % des Mindestunterhaltes zu bezahlen. Da das unterhaltsberechtigte Kind höheren Unterhalt nur durch eine konkrete Bedarfsdarlegung verlangen konnte, bestand auch grundsätzlich in diesen Fällen keine Auskunftsverpflichtung. Im zugrundeliegenden Fall war der Sachverhalt exakt dieser. Die minderjährige Tochter, vertreten durch die Mutter, verlangte Auskunft vom Vater, obwohl er sich unbegrenzt leistungsfähig erklärt hatte. Nachdem schon das Amtsgericht als auch das OLG die grundsätzliche Auskunftspflicht des Vaters bejaht hatten, hat der BGH diese Entscheidungen bestätigt und wie folgt begründet:

Ein Kind leitet seinen Unterhaltsanspruch von der Lebensstellung und somit auch von dem Einkommen des Unterhaltspflichtigen ab, ohne dabei einen Anspruch auf Teilhabe am Luxus zu haben. Der Höchstsatz der Düsseldorfer Tabelle ist insoweit kein Maßstab, um dies beurteilen zu können, vielmehr kommt es auf das tatsächliche Einkommen an, es macht eben einen Unterschied, ob der barunterhaltspflichtige Elternteil 6.000 € netto erzielt oder z. B. 20.000 €. Erst bei Kenntnis des tatsächlichen Einkommens kann man Aussagen darüber treffen, ob etwaige Zusatzaufwendungen des Kindes oder höhere Ausgaben des Kindes als diejenigen, die in den Unterhaltsbeträgen prozentual „eingearbeitet“ sind, angemessen sind oder Luxus darstellen. Da das Kind seine Lebensstellung vom Unterhaltspflichtigen ableitet, ist es daher schon von Bedeutung, ob monatliche/jährliche Urlaubsausgaben in einem 3-Sterne-Hotel oder in einem 4/5-Sterne-Hotel als Luxus zu bezeichnen sind oder nicht.

Die Düsseldorfer Tabelle ist insoweit für Nettoeinkommen bis 5.500 € „schematisiert“. Ab 5.501 € erlaubt der BGH nunmehr auch eine angemessene Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle zumindest bis zum Doppelten der obersten Einkommensgruppe der DT (11.000€). Insoweit bezieht sich der BGH auf seine neue Rechtsprechung zum Ehegattenunterhalt wonach auch bis zu diesem Nettoeinkommen eine schematisierte Quotenunterhaltsberechnung nach dem Halbteilungsgrundsatz möglich ist und daher erst darüber hinaus eine konkrete Bedarfsdarlegung verlangt wird (zuletzt BGH, FamRZ 2020, Seite 21). Dies wendet der BGH nunmehr auch auf den Kindesunterhalt an und lässt eine schematisierte/pauschalierte Erhöhung der 160 % des Mindestunterhaltes zumindest bis zu einem Nettoeinkommen von 11.000 € zu – darüber hinaus verbleibt es bei der Verpflichtung zur konkreten Darlegung des Unterhaltes. Der BGH verweist zudem darauf, dass sogar anders als beim Ehegattenunterhalt ein Kind an Karrieresprüngen des Unterhaltspflichtigen teilhat und auch vom Splittingvorteil von einer neuen Ehe profitiert.

Einschränkend weist der BGH darauf hin, dass der Unterhaltsanspruch des Kindes nicht dazu führen kann, dass das Kind am Luxus der Eltern teilnimmt und insbesondere, dass Unterhalt nicht zur Vermögensbildung dient. Trotzdem ist eine sogenannte degressive (stetig abnehmende) Fortschreibung der DT bis 11.000 € möglich, zudem verbleibt natürlich dem Kind die konkrete Darlegung eines höheren Bedarfs.

Aus diesem Grund kann der Unterhaltspflichtige sich seiner Auskunftsverpflichtung nicht dadurch entziehen, dass er sich uneingeschränkt leistungsfähig erklärt, und daher hat der BGH den Vater zur Auskunft verpflichtet. Letztendlich gesteht der BGH mit der Fortschreibung der DT über 5.501 € hinaus dem Kind erhöhte Bedarfspositionen zu, die in der Struktur der DT grundsätzlich enthalten sind (wie z. B. erhöhter Wohnbedarf, erhöhter Urlaubsbedarf, erhöhter Freizeitbedarf). Zusätzlich kann ein Kind einen darüber hinaus gehenden Mehrbedarf/Sonderbedarf, der in der Struktur der DT nicht beinhaltet ist zusätzlich geltend machen.

Die Auskunftsverpflichtung besteht nicht nur deshalb, um etwa bei einem Mehrbedarf/Sonderbedarf eine Quote im Verhältnis zum anderen Elternteil ermitteln zu können, sondern auch und insbesondere um eine mögliche Fortschreibung der DT über die 10. Einkommensgruppe hinaus beurteilen zu können und um festzustellen, ob im Verhältnis zur Lebensstellung des Unterhaltspflichtigen von Luxusansprüchen des Kindes zu sprechen ist oder ob die Höhe des Unterhalts noch als angemessener Bedarf zu werten ist.

Für die Praxis wird das in Zukunft bedeuten, dass bis zu einem Nettoeinkommen von 11.000 € die unterhaltsberechtigten Kinder ihren Unterhaltsanspruch auch über die 160 % des Mindestunterhaltes hinaus beziffern werden, ohne ihren konkreten Bedarf darlegen zu müssen, sondern ausschließlich indem durch degressive Fortschreibung der DT eine Art „erhöhten Tabellenbetrag“ geltend gemacht wird. Wer also mehr als 5.500 € netto erzielt, wird sich darauf einstellen müssen, in Zukunft mehr als die 160 % des Mindestunterhaltes bezahlen zu müssen. Es steht zu erwarten, dass ab dem Jahr 2022 die Düsseldorfer Tabelle bis zu einem Einkommen von 11.000 € fortgeschrieben wird und diese Entscheidung in Tabellenform umgesetzt wird.