Unterhaltsrecht - BGH - 31.01.2008

 

1. Ein nicht geltend gemachter Unterhaltsanspruch kann grundsätzlich schon vor Eintritt der Verjährung und auch während der Hemmung nach § 207 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB verwirkt sein.

2. Das bloße Unterlassen der Geltendmachung des Unterhalts oder der Fortsetzung einer begonnenen Geltendmachung kann das Umstandsmoment der Verwirkung nicht begründen.

Beschluss:
Gericht: BGH
Datum: 31.01.2008
Aktenzeichen: XII ZB 133/17
Leitparagraph: §§ 242, 1613 BGB
Quelle: FF 2018, Seite 160 ff.

Kommentierung:

Im vorliegenden Fall hat der Vater aufgrund erteilter Auskünfte und einer von ihm errechneten Unterhaltsquote den zu zahlenden Volljährigenunterhalt errechnet und seinen Sohn aufgefordert dies zu bestätigen. Dieser hat hierauf nicht reagiert. Knapp zwei Jahre später hat der Sohn dann den Unterhaltsanspruch (höher) beziffert. Der Vater hat Zahlung verweigert. Mehr als ein Jahr später hat der Sohn einen Mahnbescheid beantragt und nach Einzahlung von Gerichtskosten weitere sechs Monate später seinen Anspruch begründet. Das Amtsgericht hat zum Unterhaltsrückstand geurteilt, das OLG hat wegen Verwirkung abgewiesen. Dies mit dem Argument, dass eine Verwirkung vorliegt, da das sogenannte Umstandsmoment erfüllt ist, der Vater nicht mehr damit rechnen konnte, dass dann doch noch höherer Unterhalt geltend gemacht wird.

Der BGH hält fest, dass an das sogenannte Zeitmoment keine strengen Anforderungen zu stellen sind, wonach bei Nichtgeltendmachung von mehr als einem Jahr dieses Zeitmoment erfüllt ist. Zudem sind jedoch auch die sogenannten Umstände (Umstandsmoment) zu beachten, wonach der Unterhaltsverpflichtete darauf vertrauen konnte, der Unterhaltsberechtigte werde seinen Unterhaltsanspruch nicht mehr geltend machen (BGH, Urteil vom 09.10.2013, Az. XII ZR 59/12). Dieser Vertrauenstatbestand kann nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden. Bloßes Unterlassen der Geltendmachung des Anspruchs löst kein besonderes Vertrauen des Unterhaltsschuldners aus. Dies gilt nicht nur für die bloße Untätigkeit des Unterhaltsberechtigten, sondern auch für die von diesem unterlassene Fortsetzung einer bereits begonnenen Geltendmachung. Ein Vertrauen beim Unterhaltsverpflichteten kann insbesondere dann ausgelöst werden, weil in irgendeiner Weise erkennbar wird, dass der Unterhaltsberechtigte seinen Rechtsstandpunkt aufgegeben hat. Dies wird selten der Fall sein. Derartiges muss auch der Unterhaltspflichtige darlegen und beweisen.

Diese Entscheidung räumt mit dem häufigen Irrglauben auf, dass in jedem Fall nach einjährigem „Nichtstun“ ein Unterhaltsanspruch verwirkt sei. Es müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass der Unterhaltsberechtigte seinen Rechtsanspruch aufgegeben hat, was in den seltensten Einzelfällen der Fall sein wird. Beispielsfälle könnten sein, dass jemand widerspruchslos 500 € entgegennimmt, obwohl 1000 € verlangt wurden (OLG Karlsruhe, FamRZ 2002, Seite 1039). Auch sind Instanzgerichte insoweit häufig schneller bei der Verwirkung, so bei einem strittigen Anspruch schon nach einjähriger Untätigkeit, weil der Anspruch eben vorher hoch strittig war und dann nicht mehr weiterverfolgt wurde. Da geht man dann davon aus, dass der Unterhaltsberechtigte seinen Rechtsstandpunkt – der vorher strittig war – aufgegeben hat (BGH, NJW 2010, Seite 3714, OLG Brandenburg, NJW 2013, Seite 3188). Trotzdem steht aufgrund der jetzigen Entscheidung des BGH zu erwarten, dass gerade das Umstandsmoment sehr häufig nicht erfüllt sein wird.