Unterhaltsrecht - OLG - 29.06.2022

  1. Der betreuende Elternteil erfüllt seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen auch dann durch die Pflege und Erziehung des Kindes, wenn er berufstätig ist und sich zur Versorgung des Kindes der Hilfe Dritter bedient.
  2. Die Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt ist gewahrt, wenn der betreuende Elternteil einen nennenswerten Teil der Betreuung selbst wahrnimmt.
  3. Art und Umfang der zu erbringenden Betreuungsleistung hängen vom Alter des Kindes ab.

Beschluss:
Gericht: OLG Koblenz
Datum: 29.06.2022
Aktenzeichen: 13 UF 178/22
Leitparagraph: § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB
Quelle: NZFam 2023, Seite 418

Kommentierung:

Die gemeinsame Tochter hat zunächst bei der Mutter gelebt, ist dann in den Haushalt der Großeltern väterlicherseits gewechselt. Dort lebt auch die Schwester des Vaters. Der Vater ist berufstätig, er hält sich hauptsächlich bei seiner andernorts wohnenden Lebensgefährtin auf. Der Vater verlangt den Mindestkindesunterhalt von der Mutter und wendet insbesondere ein, dass auch der Vater zum Barunterhalt verpflichtet sei, da er selbst keine oder kaum Betreuungsleistungen für das Kind erbringt.

Das Amtsgericht hat die Kindsmutter zum Mindestkindesunterhalt verpflichtet und keine Barunterhaltspflicht des Vaters angenommen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde zum OLG. Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen mit dem Argument, der Vater sei von der Barunterhaltspflicht nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB befreit, da er seine Unterhaltspflicht durch die (teilweise) Pflege und Erziehung des Kindes erfülle. Das OLG begründet weiter, dass ein Berufstätiger sich bei der Versorgung des Kindes Dritter bedienen kann, solange er noch einen nennenswerten Teil der Betreuung übernimmt. Das hat das OLG bejaht. Der Schwerpunkt in der persönlichen Beziehung zu einem Kind liege nicht in den hauswirtschaftlichen Leistungen – die der Vater unstreitig nicht erbringt -, sondern entscheidend ist, ob der Elternteil als verantwortlicher Ansprechpartner zur Verfügung steht, den persönlichen Kontakt pflegt und die soziale Bindung festigt. Dieser Elternverantwortung kommt der Vater nach. Er kann jederzeit in den Haushalt seiner Eltern, er nimmt unstreitig täglich am gemeinsamen Abendessen der Familie teil und erledigt auch Fahrdienste für due Hobbies des Kindes. Zudem verbringen Vater und Kind gemeinsame Zeit im Haushalt der Lebensgefährtin, Entscheidungen im sozialen Bereich für das Kind trifft der Vater und nicht die Großeltern/Schwester. Nach Auffassung des OLG liegt daher keine umfassende Fremdbetreuung durch Abgabe der Erziehungsverantwortung vor, mit der Folge, dass § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB keine Anwendung findet und die Kindsmutter allein barunterhaltspflichtig ist.

Über diese Entscheidung kann man zweigeteilter Meinung sein. Reicht es für die Elternverantwortung, was hier im vorliegenden Fall maßgeblich war? Der BGH hatte schon im Jahr 1981 (BGH, FamRZ 1981, Seite 543) ausgeführt, dass es weder für die Erfüllung der Unterhaltspflicht noch für die Gleichwertigkeit der elterlichen Leistungen es ausschlaggebend sei, in welcher Weise und in welchen Zeiten ein Elternteil das Kind pflegt und erzieht. Leistungen Dritter, die in Anspruch genommen werden, sind als Betreuungsleistungen zuzurechnen. Der Vater war hier präsent, hat sich um die Tochter gekümmert, dies reiche zur Annahme von Betreuungsleistungen. Dem Gericht standen nur die hier mitgeteilten Kriterien zur Verfügung, es bleibt die Frage, ob die Großeltern nur „Kost und Logis“ oder ob sie auch andere Betreuungs- und Erziehungsaufgaben übernommen haben. Bei solchen Entscheidungen ist man immer im sogenannte Graubereich, das Gericht muss den Sachvortrag bewerten, offensichtlich konnte die Kindsmutter nicht ausreichend konkret und substantiiert diesen widerlegen.