Unterhaltsrecht - OLG Oldenburg - 08.04.2021


Zins- und Tilgungsleistungen, die dem Erwerb einer selbstbewohnten Immobilie dienen, sind auch im Mangelfall bis zur Höhe des anzurechnenden Wohnvorteils zu berücksichtigen.

Beschluss:
Gericht: OLG Oldenburg
Datum: 08.04.2021
Aktenzeichen: Az. 3 UF 29/21
Leitparagraph: §§ 1601, 1603 BGB
Quelle: NZFam 2021, Seite 604

Kommentierung:

Die Entscheidung, wonach Tilgungsleistungen auch im Mangelfall auf den Wohnvorteil anzurechnen sind, gab es in dieser Klarheit bislang nicht. Schon immer hat die Rechtsprechung dem Einkommen einen sogenannten Wohnwertvorteil zugerechnet, der mit Ausnahme im Trennungsjahr beim Ehegattenunterhalt in Höhe der objektiven Marktmiete anzusetzen ist. Die vormalige Rechtsprechung des BGH ging davon aus, dass nur Zinskosten von diesem Wohnwertvorteil abzuziehen sind, da Tilgungsleistungen einseitige Vermögensbildung darstellen und somit nicht abzugsfähig waren (so noch BGH, FamRZ 2007, Seite 879 oder FamRZ 2014, Seite 1098). Tilgungsleistungen wurden lediglich im Rahmen der zusätzlichen Altersvorsorge (4 % des Bruttoeinkommens) akzeptiert. In einer Entscheidung zum Elternunterhalt hat der BGH dann auch Tilgungsleistungen bis zur Höhe des Wohnwertes zugelassen, dies mit dem Argument, dass ohne die Finanzierungsleistung einschließlich der Tilgung es nicht zu einer Bildung des Wohnwerts kommen würde (BGH FamRZ, 2017, Seite 519). Diese Entscheidung hat der BGH in BGH, FamRZ 2018, Seite 1506 verstärkt und auch auf andere Unterhaltstatbestände außerhalb des Elternunterhalts erweitert (Palandt, 80. Auflage, § 1361 BGB, Rdn 37, Schürmann FamRZ 2018, Seite 1041). Das bestätigt in der hiesigen Entscheidung das OLG auch für den Kindesunterhalt und geht sogar so weit, dass dies auch im sogenannten Mangelfall gilt. Dass dies auch im sogenannten Mangelfall gelten soll, d. h. wenn aufgrund der Abzugsbeträge noch nicht einmal der Mindestunterhalt für das Kind gesichert ist, ist „neu“.

Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit darauf verwiesen, dass die 4 % aus dem Bruttoeinkommen für zusätzliche Altersvorsorge nicht abzugsfähig sind, wenn der Mindestunterhalt nicht abgedeckt ist (BGH, NJW 2013, Seite 1005). Das ist jedoch keine Aussage zur Berücksichtigung der Tilgungsleistung zur Generierung des vollen Wohnwerts.

Zur Begründung wird ausgeführt, dass allgemeine Tilgungsleistungen, die der sonstigen Vermögensbildung dienen und im Mangelfall nicht berücksichtigungsfähig sind, von solchen Tilgungsleistungen zu unterscheiden sind, die dem Erwerb des selbstbewohnten Eigenheims dienen und damit erst die Möglichkeit schaffen, dem Unterhaltspflichtigen einen Wohnwert anzurechnen. Soweit auf einen möglichen Widerspruch hingewiesen wird, wonach durch Anerkennung von Tilgungsleistungen Vermögen aufgebaut wird und im Mangelfall aber auch der Vermögensstamm heranzuziehen ist, so gilt dies jedenfalls nicht, sofern es um die angemessene, selbstbewohnte Immobilie geht. Diesbezüglich besteht auch in der Regel keine Verwertungspflicht für diesen Vermögensstamm (OLG Hamm, FamRZ 2019, Seite 531).

Das Argument was letztendlich greift ist, dass ohne Zins- und Tilgung der Wohnwert nicht geschaffen worden wäre und der Unterhaltsberechtigte nicht einseitig an den Wohnwert teilhaben kann und darf. Es ist daher auch berechtigt weiterzudenken, ob diese Argumentation nicht auch bei einer fremdvermieteten Immobilie gelten muss, da es auch ohne die Tilgungsleistung nicht zur Bildung des Vermögenswertes und somit nicht zu den Einkünften aus Vermietung kommen würde, die schließlich auch beim Einkommen des Unterhaltspflichtigen als positive Einkünfte nach Abzug von Steuern berücksichtigt werden. Warum dann nicht auch hier etwaige Zins- und Tilgungsleistungen bis zu den Mieteinnahmen abzüglich Steuern anrechnen? Rechtsprechung hierzu ist noch nicht bekannt.

Sehr interessant hierzu auch der Aufsatz von Finke (Forum Familienrecht 2019, Seite 2 ff.), der auch darauf verweist, dass nicht nur beim Wohnvorteil der selbstgenutzten Immobilie, sondern auch bei der fremdvermieteten Immobilie diese als Einkommen zuzurechnenden Mieteinnahmen auch um Tilgungsleistungen bis zur Höhe der unterhaltsrechtlich relevanten Mieteinnahmen abzugsfähig sein müssen. Dies muss auch nach diesseitiger Auffassung zumindest gelten außerhalb des Mangelfalls.

Tilgungsleistungen bis zur Höhe des Wohnwertes oder der unterhaltsrechtlich relevanten Mieteinnahmen stellen keine Vermögensbildung zu Lasten des Unterhaltsberechtigten dar, wenn auf der anderen Seite in die Berechnung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens beim Unterhaltspflichtigen sowohl der Wohnwert als auch die Mieteinkünfte einfließen. Ohne die Aufnahme der Schulden für ein mietfreies Wohnen oder einer fremdvermieteten Immobilie gäbe es weder einen zurechenbaren Wohnwert, noch eine zu berücksichtigende Mieteinnahme. Es muss daher auch bei einer fremdvermieteten Immobilie die Tilgungsleistung entsprechend berücksichtigt werden.

Diese Rechtsansicht hat sich für die Anrechnung von Tilgungsleistung bei der selbstgenutzten Immobilie und dem damit zusammenhängenden Wohnwert durchgesetzt (Borth, FamRZ 2017, Seite 682; Engels, FF 2017, Seite 325; Schürmann, FamRZ 2018, Seite 1041; BGH, FamRZ 2018, Seite 1506). Dies sogar im Mangelfall beim Kindesunterhalt – siehe die hiesige Entscheidung OLG Oldenburg – das OLG hat die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen, die Beschwerde wurde eingelegt und wird beim BGH unter dem Az. XII ZB 233/21 geführt. Es bleibt abzuwarten, ob diese Rechtsprechung sich auch auf die fremdvermietete Immobilie erstrecken wird (so Finke, FF 2019, Seite 2 ff.), konsequent, logisch, nachvollziehbar und wünschenswert wäre es.