Unterhaltstitulierung - OLG Bamberg - 14.05.2018
Ein minderjähriges Kind hat einen Anspruch auf die Errichtung eines unbefristeten Titels über zu zahlenden Kindesunterhalt, also eines Titels, der nicht auf die Zeit der Minderjährigkeit begrenzt ist.
Beschluss:
Gericht: OLG Bamberg
Datum: 14.05.2018
Aktenzeichen: 2 UF 14/18
Leitparagraph: § 1601 BGB
Quelle: NZFam 2018, Seite 998
Kommentierung:
Bei einem minderjährigen Kind ist es ständige Rechtsprechung, dass ein Anspruch auf Titulierung des Kindesunterhaltes besteht. Titulierung bedeutet die Vorlage einer vollstreckbaren Urkunde, die es dem unterhaltsberechtigten Kind ermöglicht, bei Ausbleiben der Unterhaltszahlung direkt in eine Zwangsvollstreckung einzutreten und nicht erst ein gerichtliches Verfahren zu führen. Vollstreckbare Titel sind z. B. ein gerichtliches Urteil/Beschluss, ein gerichtlicher Vergleich, eine notarielle Urkunde mit Zwangsvollstreckungsunterwerfung, aber auch und insbesondere eine Jugendamtsurkunde, die kostenfrei bei jedem Jugendamt auf Antrag des Unterhaltsverpflichteten errichtet werden kann. Insbesondere weil es diese kostenfreie Möglichkeit gibt, besteht bei Minderjährigenunterhalt die Verpflichtung des Unterhaltsverpflichteten, einen solchen vollstreckbaren Titel errichten zu lassen.
Im vorliegenden Fall hat der unterhaltsverpflichtete Vater zwar eine Notarurkunde errichten lassen, mit der er eine Zahlungspflicht i. H. v. 144 % des jeweiligen Mindestunterhaltes der jeweiligen Altersstufe unter Abzug des jeweils hälftigen Kindergeldes anerkannt hat. Er hat sich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen. Er hat jedoch auch diesen Unterhalt in der Urkunde befristet bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (Volljährigkeit) des Kindes. Auch Jugendämter befristen zum Teil auf Wunsch des Unterhaltsverpflichteten Jugendamtsurkunden bis zur Volljährigkeit (sehr unterschiedliche Handhabe der Jugendämter). Das Kind wendet sich im Rahmen einer Abänderungsklage gegen die Befristung und verlangt einen über die Volljährigkeit hinausgehenden Unterhaltstitel. Das OLG Bamberg hat dem Kind Recht gegeben, mit dem Argument, dass Unterhaltstitel grundsätzlich unbefristet zu erstellen sind. Zudem ist der Kindesunterhaltsanspruch, der seine Grundlage in den §§ 1601, 1612 a BGB hat, ein einheitlicher Anspruch, nämlich der Verwandtenunterhalt, der keine Differenzierung zwischen minderjährigem und volljährigem Kind vorsieht (anders bei Getrenntlebendunterhalt und nachehelichem Unterhalt, dies sind zwei unterschiedliche Unterhaltsansprüche). Das OLG stellt zwar fest, dass eine dynamisierte, in Prozenten ausgedrückte Titulierung nur in der Zeit der Minderjährigkeit verlangt werden kann und dass sich grundsätzlich der Minderjährigenunterhalt (Barunterhalt des nicht betreuenden Elternteiles gemäß Düsseldorfer Tabelle) und der Volljährigenunterhalt (Quotenbarunterhalt beider Elternteile unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse) anders berechnen, trotzdem überwiegt der Grundsatz der „Anspruchsidentität“ beim Verwandtenunterhalt, mit der Folge, dass ein Anspruch auf Titulierung über die Volljährigkeit hinaus besteht. Das OLG führt weiter aus, dass eben zukünftige Entwicklungen nicht vorhergesehen werden können und dass Veränderungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht vom Unterhaltsverpflichteten zu gegebener Zeit mit einem Abänderungsverfahren geltend gemacht werden können.
Der Kommentator (Vorsitzender Richter OLG Frankfurt a. Main, Klaus-Jürgen Grün) stimmt dieser Entscheidung ohne Einschränkungen zu und verweist darauf, dass dies auch der herrschenden Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte entspricht (OLG Hamm, FamRZ 2012, Seite 129; OLG Celle, Beschluss vom 15.12.2016, Az. 19 UF 134/16, BeckRS 2016, 125550). Er führt weiter aus, dass es allein der Unterhaltsberechtigte bestimmen kann, ob eine Titulierung des Unterhalts in dynamisierter Form (§ 1612 a BGB) erfolgen soll, und dass für solche Titel § 244 FamFG ausdrücklich vorsieht, dass die nach Titulierung eingetretene Volljährigkeit eine Vollstreckung aus dem Titel nicht verhindert. Er empfiehlt sogar, gerade wegen § 244 FamFG und der dort beschriebenen Fortgeltung über die Volljährigkeit, in der Minderjährigkeit immer einen dynamisierten Titel errichten zu lassen.
Das OLG hat die Revision zum BGH zugelassen, die zunächst eingelegte Rechtsbeschwerde wurde wieder zurückgenommen.
Die Argumente für die Verpflichtung zur Errichtung eines unbefristeten Titels über die Volljährigkeit hinaus hält der Verfasser (RA Heinzel) nicht für stichhaltig. Mag auch in § 244 FamFG stehen, dass auch ein dynamisierter Titel eine Vollstreckung nach Volljährigkeit nicht verhindert, das heißt jedoch noch lange nicht zwingend, dass nicht ein befristeter Titel erstellt werden könnte. Auch ist nach diesseitiger Ansicht das Argument der Anspruchsidentität nicht stichhaltig, da eben Minderjährigenunterhalt und Volljährigenunterhalt völlig anders berechnet werden. Zudem hat ein volljähriges Kind seinen Unterhaltsanspruch darzulegen und zu beweisen, dies gilt insbesondere zur Frage, ob sich das Kind in einer Ausbildung befindet, ob das Kind Eigenverdienst erzielt, ob das Kind noch bei einem Elternteil lebt, ob das Kind Vermögen hat mit dem es ggf. seine Ausbildung zunächst selbst finanzieren muss. Zudem sind Unterhaltsansprüche volljähriger Kinder gegenüber minderjährigen Kindern sowie etwaigen Ehegatten nachrangig (es sei denn, es ist ein privilegiert volljähriges Kind im Alter zwischen 18 und 21 Jahren im Haushalt eines Elternteils lebend und sich in allgemeiner Schulausbildung befindend). Das kann dazu führen, dass ab Volljährigkeit überhaupt kein Unterhaltsanspruch mehr besteht. Das volljährige Kind muss Zeugnisse vorlegen, Studienbescheinigungen etc. Es besteht eine Mitwirkungsverpflichtung des Kindes. Weigert sich das Kind, hier mitzuwirken, sind die Eltern berechtigt, den Unterhalt bis zur Beibringung der Nachweise zurückzubehalten (Wendl/Klinkhammer, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Auflage, § 2, Rdn. 90; OLG Hamm, FamRZ 2013, Seite 1407). Wenn aber ein vollstreckbarer Titel besteht, prüft ein Gerichtsvollzieher diese Fragen nicht und die Vollstreckung droht. Zudem gibt es auch zur Frage des Zurückbehaltungsrechts unterschiedliche Auffassungen.
Warum soll dann der Unterhaltsverpflichtete derjenige sein, der eine Abänderungsklage des über die Volljährigkeit hinausgehenden Titels führen muss?
Warum soll nicht das volljährige Kind, welches aufgrund seiner ab der Volljährigkeit eintretenden Mitwirkungsverpflichtung und Darlegungslast seinen Unterhaltsanspruch geltend machen muss, nicht aktiv derjenige sein, der seinen Unterhaltsanspruch ggf. einklagen muss? Warum soll nicht insbesondere aufgrund der völlig anderen Berechnung des Unterhaltes und der oben genannten erheblichen Veränderungen, die mit der Volljährigkeit eintreten können, eine Befristung eines Unterhaltstitels auf die Zeit bis zur Volljährigkeit möglich sein?
Es ist daher zu empfehlen, bei Jugendamtsurkunden oder auch bei notariellen Urkunden eine Beschränkung auf die Minderjährigkeit festzuschreiben, in der Hoffnung, dass das minderjährige Kind/andere Elternteil sich damit zufrieden gibt. Aufgrund der bedauerlicherweise tatsächlich bestehenden als fast gesichert anzusehenden Rechtsprechung sollte man jedoch bei Verlangen nach einem unbefristeten Titel dem auch nachkommen, da die Erfolgsaussichten einer gerichtlichen Klärung auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des OLG Bamberg und der anderen Gerichte als gering einzuschätzen sind. Das ändert jedoch nichts an der hier geäußerten Kritik an dieser Rechtsprechung. Auch zeigt die Zulassung der Rechtsbeschwerde zum BGH durch das OLG Bamberg, dass auch das OLG erkannt hat, dass dies höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und hat wohl auch die Möglichkeit gesehen, dass diese Rechtsfrage durch den BGH auch anders entschieden werden könnte.
Die Sonderproblematik beim Minderjährigen zum Volljährigenunterhalt wird ausführlich dargestellt in Merkblatt Nr. 22 „Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder“ des Verbandes ISUV/VDU e. V.